Wir wollen Freiheit, Würde und Gerechtigkeit
20. September 2012
Wir landen in Tunis. Der Unterschied zu dem 20-Millionen-Einwohner Moloch Kairo fällt sofort auf. Tunis ist sehr viel grüner und beschaulicher als die lärmende ägyptische Hauptstadt. Wir treffen uns mit Taher Berberi, dem Generalsekretär der Gewerkschaft der Metall- und Elektroindustrie und Belgacem Ayari, dem stellvertretenden Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes UGTT. Die UGTT war das Rückgrat der revolutionären Erhebung gegen die Diktatur Ben Alis im Januar 2011.
Die beiden geben uns einen Einblick in die prekären Arbeitsbedingungen in Tunesien. 20- 24 Prozent der Tunesier sind arbeitslos. Der Mindestlohn liegt bei 321 Dinar, das sind ca. 160 Euro. Der Druck der starken Arbeiterbewegung hat dazu geführt, dass die islamische Regierungspartei Ennahda, die bei den Wahlen nach der Revolution die meisten Stimmen bekommen hat, den Mindestlohn um 30 Dinar angehoben hat. 100.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst konnten gerade einen Zuschlag von 70 Euro im Jahr erkämpfen. Dieser Widerstand ist wichtig, denn die soziale Lage ist prekär. Arbeit ist unsicher, Leiharbeit hat dramatisch zugenommen. 20 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Die Zahl der Armutsproteste und der Unmut darüber, dass die Regierung die sozialen Probleme nicht anpackt, ist riesig. Andauernd kommt es zu wilden Streiks und Straßenblockaden.
Auch deutsche Unternehmen spielen mit bei der Lohndrückerei in Tunesien: So der deutsche Autozulieferbetrieb LEONI, der eins von vier Werken in Tunesien schließt. Taher Berberi ist sich sehr klar, wie Dumpinglöhne in Deutschland und in Tunesien gleichermaßen schaden: "Es geht darum hier wie dort die Löhne zu drücken". Taher Baberi kritisiert die USA und die Golfstaaten, die versuchen, Einfluss auf die neue Regierung zu nehmen: "Wir wollen Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Wir vergessen nicht, dass die USA jahrzehntelang Diktaturen unterstützt hat und Saudi-Arabien und Katar keine Demokratie zulassen."
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Neoliberale Programme und Widerstand
19. September 2012
Hier mein Bericht aus Kairo vom 18. September
Wir treffen uns mit Amr Adly und Ahmed Mossallem von der Egyptian Initiative for Personal Rights. Diese NGO macht aktionsorientierte Forschung, einer ihrer Schwerpunkte ist die Politik von IWF und Europäischer Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die maßgeblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung in Ägypten nehmen.
Diese wollen die ägyptische Wirtschaft mit neoliberalen Rezepten ummodeln. Die Bedingungen für Kredite sind Privatisierung, Preisliberalisierung und die Kürzung von Subventionen. Für die Mehrheit der Menschen, die bereits jetzt 80 Prozent der Gesundheitskosten und 50 Prozent der Bildungskosten aus eigener Tasche bezahlen, ist das eine absolute Katastrophe.
Die nächsten Wochen werden entscheidend dafür sein, ob IWF und EU ihr Wirtschaftsmodell diktieren können oder ob der Widerstand in Ägypten stark genug sein wird, um dagegen zu halten. Amr und Ahmed kämpfen dafür, dass nur die Subventionen gekürzt werden, die den Reichen nützen, dass Dividenden von Finanztransaktionen besteuert werden, es eine einmalige Reichenabgabe gibt und die Gas-Exportpreise neu verhandelt werden.
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Die Revolution ist noch lange nicht zuende
18. September 2012
Hier mein Bericht aus Kairo vom 17. September
Unser erstes Treffen am heutigen Tag führt uns ins El Nadeem Zentrum für die Rehabilitierung von Gewaltopfern. Eine Klinik, die 1993 von mehreren Ärztinnen und Ärzten gegründet wurde. Eine von ihnen ist Aida Seif ad-Dawla, Professorin für Psychiatrie. Wir treffen sie in einem der Räume der Klinik, in der Folteropfer, Flüchtlinge und andere Gewaltopfer behandelt werden. Sie berichtet von ihrer Arbeit und dem System der Folter, dass seit mehr als zwanzig Jahren systematisch praktiziert wurde und zunächst ein Mittel war, um die normale Bevölkerung in Angst zu versetzen. Die ersten Jahre wurden kaum politische Aktivisten, sondern einfache Bürgerinnen und Bürger von der Polizei eingeschüchtert und gefoltert. Dann wurden auch Aktivistinnen und Aktivisten im größeren Umfang Opfer der Polizeigewalt. Während in den 90er Jahren Folter in der öffentlichen Diskussion ein Tabu war, gelang es Menschenrechtsaktivisten wie Aida, das Thema Mitte des letzten Jahrzehnts an die Öffentlichkeit zu bringen. Dann waren es die Bloggerinnen und Blogger, die die Zeugnisse und Bilder von Folteropfern veröffentlichten und das Schweigen brachen.
Kairo: Streiks, Graffitis und der linke Kandidat Hamdeen Sabahi
17. September 2012
Hier mein Bericht aus Kairo vom 15. und 16. September
Am Abend des 15. September sind wir in Kairo angekommen. Während die deutschen Medien ausschließlich von den Anti-US-Protesten berichten, sieht die Lage vor Ort ganz anders aus. Aktivistinnen und Aktivisten berichten von einer Vielzahl von Streiks, die am heutigen Sonntag stattfinden. Lehrerinnen und Lehrer nutzen den ersten Schultag nach der Sommerpause, um zu streiken. Insgesamt sind heute 10.000 Lehrkräfte in sieben Provinzen im Ausstand. Wir besuchen einen kleinen Streikposten vor dem Gebäude der Volksversammlung. Als wir dort mit einem Lehrer reden, umringen uns Arbeiter eines metallverarbeitenden Unternehmens, die gerade gefeuert wurden. Sie fordern Arbeitsverträge von der Regierung.
Wir fahren weiter zur Universität von Kairo. Dort streiken, wie in acht weiteren staatlichen Universitäten im Land, die Verwaltungsangestellten. Auch sie fordern Verträge und bessere Bezahlung. In weiteren Branchen streiken die Beschäftigten, zum Beispiel die Busfahrer.Read more
Revolution hautnah: Reise nach Ägypten und Tunesien
15. September 2012
Zwischen dem 15. und 22. September werden meine Kollegin Annette Groth und ich zusammen für
die Linkfraktion und in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach Ägypten und Tunesien reisen, um uns einen Eindruck von Verlauf und Wirkungen des revolutionären Prozesses zu machen.
Es waren diese beiden Länder, die am Anfang des arabischen Frühlings standen. Im Januar 2011 erzwang eine Massenbewegung zunächst die panikartige Flucht des tunesischen Diktators Ben Ali aus dem Land, einen Monat später folgte der Sturz des Alleinherrschers Mubarak in Ägypten. Diese revolutionären Umstürze haben in fast allen anderen arabischen Ländern und darüber hinaus den Widerstand gegen Unrecht und Armut inspiriert.
Seitdem sind in beiden Ländern massive Veränderungen eingetreten. Es bilden sich neue politische Kräfte, Arbeiterinnen und Arbeiter kämpfen um ihre Rechte und ihre Löhne, islamische Parteien haben die ersten freien Wahlen gewonnen. Leider kann man von Deutschland aus viele der Vorgänge nur erahnen. Ab dem 15. September, wenn wir in Kairo angekommen sind, könnt ihr meine Eindrücke und die Ergebnisse der Gespräche sowohl auf meiner Homepage als auch über Facebook direkt verfolgen.
Beschneidung: Jüdische und muslimische Religionspraxis ist Teil der Gesellschaft
12. September 2012
Ich dokumentiere hier meinen Beitrag zur Debatte über Beschneidung im Parteivorstand am 9. September. Er setzt sich mit der Position von Raju Sharma, wie ich Mitglied im Parteivorstand der LINKEN auseinander:
„Darum müssen Minderheiten in dem Augenblick nervös werden, in dem sie vom Recht nicht mehr gegen die Urteile und Vorurteile der Mehrheit geschützt werden. Das ist jetzt Deutschlands Minarettverbot – allerdings mit viel weitreichenderen praktischen und symbolischen Folgen, falls das Urteil Bestand haben sollte.“
Navid Kermani, Schriftsteller
1) Für 100.000 jüdische und vier Millionen muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger ist die Frage existentiell, ob sie zukünftig in der von ihnen gewählten Art und Weise Beschneidungen von Jungen durchführen können. Hier sind sich konservative und liberale Juden und Muslime einig. Von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) bis zu liberalen Rabbinerinnen, vom liberalen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, bis zum linken Schriftsteller Feridun Zaimoglu.
Ich zitiere die Orthodoxe Rabbinerkonferenz. Was sie sagen, bestätigen fast alle anderen jüdischen und muslimischen Gemeinden, Vereine und Verbände: „Wenn man uns Juden in solch einem wichtigen und identitätsstiftenden Grundsatz unserer Lehre verbieten würde, unsere Religion frei auszuüben, empfänden wir dies, als seien wir insgesamt hier nicht erwünscht solange wir auf unserer eigenen jüdischen Besonderheit bestehen. Wenn wir uns die immer offener zu Tage tretenden Anfeindungen in der laufenden öffentlichen Diskussion ansehen, scheint dies Bestätigung zu finden und verunsichert bereits jetzt viele unserer Gemeindemitglieder.“ [1]
Die Tatsache, dass es in Deutschland einen seit Jahren wachsenden Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus gibt, muss meiner Ansicht nach immer Teil der Erwägungen der LINKEN sein.Read more
Menschen vor Profite. Keine Panzer nach Saudi-Arabien!
31. August 2012
Meine Rede auf der Demonstration am 31. August gegen den Export der Leopard-2-Panzer in Kassel.
270 Panzer will Krauss-Maffei nach Saudi-Arabien liefern, genehmigt von der Bundesregierung. Mittlerweile ist bereits die Rede von 600 bis 800 Panzern nach Saudi-Arabien. Der Scheich von Katar hat 200, Indonesien 100 Panzer bestellt. Die Bundesregierung stellt sich auf die Seite der Profitinteressen der Krauss-Maffei Wegmann-Erben: einer Handvoll deutscher Millionärsfamilien, die ein Milliarden-Geschäft machen wollen.
Diese Leopard-Panzer werden in Zukunft gegen Protest- und Demokratiebewegungen eingesetzt werden. Der Leopard-2 ist extra für die Bekämpfung von Aufständen in Städten ausgerüstet.
Während die Bundesregierung in Afghanistan einen blutigen Kriegseinsatz der Bundeswehr mit Menschenrechten rechtfert, opfert sie beim Panzerdeal die Menschenrechte kurzer Hand geostrategischen Interessen. Das ist doppelzüngig.
Außenminister Westerwelle rechtfertigt den Panzerexport mit den „Sicherheitsinteressen unserer Verbündeten.“ Und Merkel erklärt: „Wir müssen Staaten, die bereit sich, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. (..) Das schließt auch den Export von Waffen mit ein.“ Saudi-Arabien sei „von Bedeutung für die Stabilität einer ganzen Region.“ Read more
Krisenalltag in Griechenland – Gewerkschafterinnen berichten
30. August 2012
Die Lehrerin Agiro Baduva, Vorstandsmitglied der Lehrergewerkschaft, und die Software-Ingenieurin Alkistis Tsolakou, Betriebsratsvorsitzende von Nokia-Siemens Hellas, sind auf Einladung der DGB-Jugend Hessen-Thüringen auf Solidaritätstour in Hessen unterwegs. Drastisch schilderten sie gestern im Wahlkreisbüro von Werner Dreibus in Hanau die aktuelle Lage in Griechenland und diskutierten mit den drei linken Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz, Werner Dreibus und Sabine Leidig sowie etlichen Gästen.
„Fünf Jahre Sparpolitik der sozialdemokratischen und konservativen Regierungen in Griechenland zeigen: so funktioniert das nicht“, stellte Alkistes Tsolakou unter anderem fest. Die Staatsschulden seien weiter gewachsen, die Arbeitslosenquote auf über 27 Prozent gestiegen. Die Aufhebung der Tarifverträge habe zu einer deutlichen Verringerung der Einkommen, des Konsums und der Steuereinnahmen geführt. Die Privilegien der Reichen seien dagegen geblieben.Read more
umfairteilen – neues Mobilisierungsvideo
24. August 2012
umfairteilen nennt sich das Bündnis, das für eine gerechtere Vermögensverteilung in unserem Land eintritt und fordert:
- eine Vermögensteuer und eine einmalige Vermögensabgabe, um die notwendigen öffentlichen und sozialen Ausgaben gerecht zu finanzieren und die Verschuldung abzubauen;
- einen konsequenten Kampf gegen Steuerflucht und Steueroasen und eine Steuer auf Finanzmarktgeschäfte, gegen die Spekulation und gegen die Armut, weltweit.
Am 29. September soll diesen Forderungen in vielen Städten bei einem bundesweiten Aktionstag Nachdruck verliehen werden. Was in Ihrer Nähe stattfindet und wohin Sie sich wenden können, wenn Sie dieses Bündnis unterstützen wollen, erfahren Sie hier: www.umfairteilen.de
„Regime, Revolution, Intervention? DIE LINKE und Syrien“
24. August 2012
Hier dokumentiere ich mein Referat DIE LINKE und Syrien auf der Sommerakademie der Sozialistischen Linken am 18. August 2012 in Bielefeld.
Diese Woche hat US-Außenminister Panetta gesagt, die USA werden mit allen Mitteln die Versuche des Iran unterbinden, in Syrien aktiv zu werden. Das war eine Drohung mit Krieg.
Vorgestern sagte der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte General Dempsey, er habe in Ankara und Amman über Schutzzonen für Flüchtlinge diskutiert – auf syrischem Territorium. Die sind ohne Flugverbotszonen nicht zu haben. Und die können nur mit westlichen Truppen durchgesetzt werden.
Von den USA und den anderen imperialistischen Staaten hat die Revolution in Syrien nichts zu erwarten. Den USA geht es darum, die eskalierende Situation zum eigenen Vorteil zu nutzen und gegebenenfalls eine ihnen genehme Regierung zu installieren – die zugleich den revolutionären Prozess abwürgt.
In der Linken herrscht Einigkeit, dass wir jede Form der militärischen Intervention ablehnen. Ebenso wie Sanktionen, die die Bevölkerung treffen.
Keine Einigkeit herrscht aber in unserem Verhältnis zur Demokratiebewegung.Read more