Am 25. Juni 2020 lud die Linksfraktion Initiativen im Bereich Antidiskriminierung, Antirassismus und Religionsfreiheit, sowie Vertreterinnen und Vertreter muslimischer Organisationen und Verbände zu einem Online-Fachgespräch ein. Insgesamt nahmen bis zu 50 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet an der Veranstaltung teil.
In ihrer Begrüßung stellte die Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali heraus, dass antimuslimischer Rassismus in Deutschland ein großes Problem sei: „In vielen Bereichen werden Muslime diskriminiert. Die Bundesregierung verzeichnet alleine für das Jahr 2019 184 Fälle islamfeindlich motivierter Angriffe auf Moscheen, muslimische Einrichtungen und muslimische Repräsentanten. Das ist nicht hinnehmbar!“
Die Zahl geht aus einer Großen Anfrage der LINKEN hervor. Deren Fazit allerdings war ernüchternd: Die Bundesregierung formuliert keine klare Strategie zur Bekämpfung von Antimuslimischen Rassismus und Diskriminierung. Im Fachgespräch wurden daher die unterschiedlichen Dimensionen von antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung dargestellt und Schlussfolgerungen und Anforderungen an die Politik beraten.
Die Abgeordneten Gökay Akbulut, Christine Buchholz und Ulla Jelpke stellten zunächst die für die LINKE entwickelten Forderungen an die Bundesregierung vor. Aus innenpolitischer Sicht sprach sich Ulla Jelpke gegen Repression gegen Musliminnen und Muslime aus. „Racial Profiling durch die Polizei, die zahlreichen Razzien in Shishabars und die gegen Musliminnen und Muslime verhängte „Sippenhaft“ müssen gestoppt werden.“ Angesichts von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem in staatlichen Einrichtungen forderte Gökay Akbulut, Sprecherin für Migrationspolitik, anonymisierte Bewerbungsverfahren: „Ich habe erlebt, wie Arbeitgeber junge Frauen mit Kopftuch bei der Ausbildungsplatzsuche ablehnen. Und wir brauchen eine Ausweitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf staatliches Handeln, auf Jobcenter, Arbeitsagenturen und Krankenkassen.“ Die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christine Buchholz, kritisierte, dass Muslimen die Freiheit ihren Glauben zu leben, abgesprochen wird: „Wir müssen weg von der Kultur des Generalverdachts, hin zur Anerkennung der Vielfalt muslimischen Lebens.“
Im Anschluss diskutierten die Referenten und Referentinnen die vorgestellten Forderungen und formulierten Anforderungen an linke Politik. Um antimuslimischen Rassismus zu erkennen und zu ächten, forderte Rima Hanano von der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (CLAIM) daher die Einrichtung der Expertenkommission Islamfeindlichkeit noch in dieser Legislaturperiode. Beauftragte der Bundesregierung für Rassismus in seinen unterschiedlichen Formen als auch für antimuslimischen Rassismus seien notwendig.
Sindyan Qasem, Autor einer Studie zu diskriminierenden Auswirkungen von Antiterror- und Islamismus-Präventionsmaßnahmen, lenkte den Fokus auf das „verdeckte und kaschierte rassistische Handeln“ des Staates. Für Linke ergebe sich daraus folgender Grundsatz: „Der Schutz aller Menschen – unabhängig von Religiosität und auch unabhängig von politischen Ansichten – vor staatlicher Willkür, Kriminalisierung und Verfolgung muss Ziel linker Politik sein.“
Gabriele Boos-Niazy vom Aktionsbündnis muslimischer Frauen berichtete, wie muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, in ihrer beruflichen Existenz bedroht seien, wenn der Gesetzgeber de facto Berufsverbote ausspreche wie beim Kopftuchverbot für Lehrerinnen. Sie mahnte an: „Politisches Handeln findet nicht im luftleeren Raum statt. Ein Großteil der Diskriminierung kommt von staatlicher Seite (.) Diskriminierung beim Zugang zum Beruf muss Thema der ganzen Gesellschaft werden.“ Zwischen verfassungsrechtlicher Theorie und Praxis klaffe eine Lücke. Sie kritisierte, dass mehrere Bundesländer nun Kopftuchverbote für Justizangestellte einführten oder bereits eingeführt haben.
Für den Kampf gegen antimuslimischen Rassismus schlussfolgerte Said Barkan vom Zentralrat der Muslime: „Muslime sind Teil dieser Gesellschaft (ob als Geflüchtete oder schon seit Jahrzehnten hier), ihnen muss Gleichberechtigung zuteilwerden. Unsere Perspektive sollte sein: Der Kampf für Art. 1 und 3 des Grundgesetzes.“ Artikel 1 schützt die Menschenwürde und Artikel 3 gegen Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Herkunft und Glauben und weiteren Merkmalen. Auch Staatsrechtler Prof. Dr. Hans Markus Heimann wies auf die Neutralität des Grundgesetzes hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Religion hin. Die Ausgestaltung durch die Handelnden in Verwaltung, Justiz und Politik werfe allerdings Probleme auf. Hanna Attar von der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit erklärte, der Islam und Muslime werden nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt, deshalb werde auch antimuslimischer Rassismus nicht als solcher erkannt und es gäbe es auch keine klaren Strategien zu dessen Bekämpfung. Muslimische Organisationen sollten Unterstützung bekommen für das Empowerment von Musliminnen und Muslime.
Es kristallisierte sich eine gemeinsame Problemanalyse heraus: Muslime und Musliminnen sind nicht als Teil der Gesellschaft anerkannt, sondern werden von Politik und Medien mit einem Generalverdacht belegt und als Sicherheitsrisiko dargestellt. Es gibt einen strukturellen und institutionellen antimuslimischen Rassismus. Dadurch wird Musliminnen und Muslimen die Gleichbehandlung – die ihnen durch das Grundgesetz zugesichert ist – verwehrt. Diese muss eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein und kann nicht alleine bei den Betroffenen liegen. Auch überparteiliche Bündnisse im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus seien wichtig. Rassismus diene auch der Ablenkung und Spaltung der Bevölkerung.
Die Bundestagsabgeordneten begrüßten, dass Verbände, selbstorganisierten Gruppen, NGOs und Gemeinden selbstbewusst auf die LINKE zugehen. Einig waren sich die Teilnehmenden, es sei lange überfällig, dass der Bundestag antimuslimischen Rassismus endlich ächte, Diskriminierungsschutz verbessern und der Ankündigung der Bundesregierung einer Unabhängigen Expertenkommission Islamfeindlichkeit auch die Einberufung durch den Bundestag folge.