Als Antwort auf meine Nennung im Antisemitismusbericht habe ich diesen Brief an den Unabhängigen Expertenkreis Antisemitismus, an Dr. Juliane Wetzel und Patrick Siegele, geschrieben.

Sehr geehrte Frau Dr. Wetzel,
sehr geehrter Herr Siegele,

im April dieses Jahres wurde dem Deutschen Bundestag durch die Bundesregierung der „Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ zugestellt (Bundestagsdrucksache 18/11970).
Ich habe den Bericht mit großem Interesse wahrgenommen und studiert. Ich stimme ihm in weiten Teilen zu. In Zeiten des stärker werdenden Rassismus müssen wir feststellen, dass auch der Antisemitismus neuen Nährboden findet. Ich teile die im Vorwort getroffene Feststellung, dass „Antisemitismus durch die seit Jahren aufgeheizte Debatte über Islam, Terrorismus und Zuwanderung / Flucht begünstigt“ wird, und dass rechtspopulistische und verschwörungstheoretische Bewegungen und Parteien „mit hetzerischen Parolen, einer nationalistisch-völkischen Ideologie … ein politisches Klima der Polarisierung geschaffen“ haben.
Ich begrüße es daher, dass der vorliegende Bericht detailliert und umfangreich antisemitische Tendenzen, Vorfälle und Straftaten analysiert, offenlegt und Handlungsempfehlungen formuliert.

Umso entsetzter war ich, dass Sie mich an zwei Stellen als Beleg anführen, dass innerhalb der Partei DIE LINKE „Antisemitismus mit Israelfeindlichkeit“ einhergehe. Auf Seite 155 führen Sie diesbezüglich an, ich hätte mich im Libanonkrieg 2006 „auf der Seite der Friedensbewegung, aber auch der Hisbollah“ positioniert. Auf Seite 156 führen Sie an, dass ich zusammen mit meinen Kolleginnen Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen am Ende der Rede von Shimon Peres im Bundestag am 27. Januar 2010 anlässlich einer Gedenkstunde zum Gedenken an die Opfer des Holocausts demonstrativ sitzen geblieben sei.
Den Vorwurf, ich sei antisemitisch, ist haltlos. Ich weise ihn scharf zurück. Ich empfinde die Nennung meines Namens als vermeintlichen Beleg für Antisemitismus in der Partei DIE LINKE als ehrverletzend.

Seit Jahren setze ich mich in Wort und Tat aktiv gegen Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ein. Als religionspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE versuche ich einen Beitrag zu leisten, die Kontakte zwischen meiner Partei und jüdischen Gemeinden und Verbänden voranzubringen. Immer wieder habe ich mich für den Dialog zwischen den Religionen und Weltanschauungen stark gemacht und jede Form von Unterdrückung und Stigmatisierung kritisiert.
Dazu gehört unter anderem mein Engagement gegen das Verbot von Beschneidungen, das Juden und Muslime in ihrer Religionsfreiheit einschränkt. Ich bin in der entsprechenden Bundestagsdebatte für die Minderheit meiner Fraktion aufgetreten, die sich gegen das Verbot ausgesprochen hat. Darüber hinaus habe ich mich dafür eingesetzt, jüdische und muslimische Feiertage in Deutschland offiziell anzuerkennen – diese Position findet sich inzwischen im Wahlprogramm der LINKEN.
Auf meine zahlreichen Aktivitäten und Stellungnahmen gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und andere Formen des Rassismus findet sich im Bericht kein Hinweis. Stattdessen werden zwei einzelne, aus dem jeweiligen Kontext herausgerissene Beispiele genannt, die weit vor dem eigentlichen Untersuchungszeitraum lagen. Dies muss beim Leser zu einem völlig verzerrten Bild meiner politischen Überzeugungen führen. Dies überrascht angesichts einer Untersuchung, die ansonsten auf Wissenschaftlichkeit großen Wert legt.
Im Jahr 2006 war ich schockiert über den Krieg und die Vertreibungen der Bevölkerung aus dem Südlibanon. In dem angeführten Interview habe ich kritisiert, dass die USA während der Kampfhandlungen 100 bunkerbrechende Bomben an Israel lieferten, und dass die Bundesregierung während des Krieges auf einer Konferenz der EU-Außenminister eine Resolution für einen sofortigen Waffenstillstand verhindert hat. Zugleich habe ich mich in dem Interview von der Ideologie der Hisbollah sowie deren Raketenangriffe auf zivile Ziele distanziert.

Die in Ihrem Bericht angedeutete, inkriminierte Passage lautete: „Es handelt sich bei diesem Krieg um einen asymmetrischen Konflikt von internationaler Dimension. Auf der einen Seite steht die israelische Regierung, die viel internationale Rückendeckung hat […] Auf der anderen Seite stehen in diesem Konflikt die Hisbollah, die Friedensbewegung in Israel und die internationale Antikriegsbewegung. Das ist die Seite, auf der auch ich stehe.“
Man kann unterschiedlicher Meinung über diese Positionierung sein. Aber sie ist nicht antisemitisch – auch nicht, wenn man die im Bericht als Arbeitsdefinition genannte Grundlage heranzieht: „Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Ich habe den Krieg abgelehnt, wie ich jeden Krieg ablehne. Die Wahrnehmung des Staates Israel „als jüdisches Kollektiv“, wie es in der Arbeitsdefinition heißt, spielte dabei keine Rolle. Ich habe mich in meiner Funktion als friedens- und verteidigungspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag in den letzten acht Jahren genauso vehement gegen die Bombardierungen durch amerikanische Streitkräfte in Afghanistan, durch russische und westliche Streitkräfte in Syrien und Irak, sowie französische Streitkräfte in Mali gestellt. In allen Fällen stand und steht die Unterstützung der bombardierenden Mächte durch die Bundesregierung im Zentrum meiner Kritik.
In meinen Positionierungen differenziere ich grundsätzlich zwischen Regierungshandeln und der Gesellschaft, die regiert wird. Tatsächlich habe ich in dem angeführten Satz ausdrücklich die Solidarität mit der israelischen Friedensbewegung mit einbezogen.
Zum Vorwurf, ich sei nach der Rede von Shimon Peres im Januar 2010 demonstrativ sitzen geblieben, habe ich bereits im Jahr 2010 wie auch jüngst in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen Stellung bezogen. Als Staatspräsident Peres zum Andenken an die Opfer des Holocausts das Kaddisch sprach und sich der Bundestag zum ersten Mal erhob, bin ich keineswegs sitzengeblieben, sondern habe mich selbstverständlich erhoben. Der Respekt gegenüber den Opfern des Holocausts gebot dies, und dies entspricht meiner tiefen Überzeugung.

Allerdings hat Shimon Peres im weiteren Verlauf seiner Rede – so meine Wahrnehmung damals – dem Iran mit Krieg gedroht. Das habe ich abgelehnt und es hat mich überdies mit großer Sorge erfüllt. Deshalb blieb ich sitzen, als sich der Bundestag zum zweiten Mal erhob.
Ich hoffe sehr, dass dieses Schreiben Sie dazu anregt, Ihre Position zu überdenken und mich künftig nicht mehr mit antisemitischen Haltungen in Verbindung zu bringen. Für Rückfragen und das persönliche Gespräch stehe ich gerne zur Verfügung.
Unabhängig von dem Anliegen dieses Briefes bin ich an einem Austausch über Antisemitismus in Deutschland mit Ihnen sehr interessiert.
Mit freundlichen Grüßen,
Christine Buchholz