Antworten auf Fragen infolge des Parteitagsbeschlusses von Hannover zu Staatsverträgen
Von Christine Buchholz
Auf dem Hannoveraner Parteitag kam es zu Irritationen um einen von der Stadtteilgruppe Barmbek aus dem Bezirksverband Hamburg-Nord eingebrachten Antrag zur Aufkündigung der „Staatsverträge mit den Kirchen“[1]
Dieser Antrag wurde am 10. Juni zu später Stunde von einer knappen Mehrheit des Parteitages angenommen. Am 11. Juni meldeten sich mehrere Personen mit persönlichen Erklärungen zu Wort, darunter die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, der Berliner Kultursenator Klaus Lederer, Benjamin Hoff, Chef der Thüringer Staatskanzlei, Claudia Haydt, Mitglied im Vorstand der LINKEN und der Europäischen Linken, mehrere Aktive aus Basisstrukturen der LINKEN sowie ich als Vorstandsmitglied und religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.[2] Alle waren sich einig, dass auch wenn diese Forderung keine praktische Konsequenz gehabt hätte, eine solche Positionierung eine fatale politische Wirkung hätte.
Nach einer begrenzten Debatte beschloss der Parteitag, den am Vortag herbeigeführten Beschluss zu revidieren und lehnte den Antrag aus Hamburg-Barmbek mit einer deutlichen Mehrheit ab.
Ich möchte nun dazu auf ein paar Fragen eingehen:
Frage 1: Sind wir nicht mehr für die Ablösung von Staatsleistungen
Bei den „Staatsverträgen“ geht es nicht um „Staatsleistungen“. Wir sind selbstverständlich für die Ablösung von Staatsleistungen. Das haben wir im Programm auch beschlossen. Im Bundestag haben wir bereits einen Gesetzentwurf zu dem Thema eingebracht und den Antrag auf Einsetzung einer Kommission zur Evaluierung und Ablösung der Staatsleistungen seit dem Jahr 1803, die Wege ausloten soll, diesen Prozess zu organisieren. Alle Anträge wurden von SPD und CDU bisher abgelehnt. Wir werden uns weiter für die Ablösung von Staatsleistungen einsetzen.
Frage 2: Sind wir nicht mehr für die Trennung von Staat und Kirche?
Selbstverständlich sind wir weiterhin für die Trennung von Staat und Kirche. Staatsverträge sind eine Konsequenz aus der Trennung von Staat und Kirche. Sie regeln Angelegenheiten dort, wo es praktisch sinnvoll oder politisch gewollt ist. Von daher ist es unsinnig, die Verträge pauschal in Frage zu stellen. Die Forderung nach Kündigung ist insofern auch folgenlos, weil die Verträge nicht einseitig gekündigt werden können.
Wir kritisieren die Staatsverträge, die wir in der Sache falsch finden und machen gesellschaftlichen Druck für eine Änderung. So beispielsweise den über den Bund und die Kirchen über Militärseelsorge bei der Bundeswehr. Dagegen stellen wir eine Forderung nach einem Vertrag, der eine religiöse Betreuung durch alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und eine freie Religionsausübung der Angehörigen der Bundeswehr garantiert.
Frage 3: Haben die Staatskirchenverträge etwas mit jüdischen und muslimischen Gemeinden und Weltanschauungsgemeinschaften zu tun?
Auch die Rechte von anderen Religionen und Weltanschauungen können über Staatsverträge gesichert werden. Der Zentralrat der Juden und die jüdischen Gemeinden in den Ländern haben Staatsverträge geschlossen, die ihre Arbeit absichern. Auch der humanistische Verband fordert den Abschluss von Staatsverträgen mit allen relevanten Weltanschauungsgemeinden, ebenso muslimische Verbände. Der Humanistische Verband betreibt genauso wie die Kirchen und die jüdischen und muslimischen Vereine Kitas und Schulen. All diese Organisationen leisten ihren Beitrag für die ganze Gesellschaft, auch wenn sie für sich zunächst verschiedene Gruppen ansprechen.
Die Forderung nach Kündigung der Staatsverträge wird von Minderheitenreligionen als Problem empfunden, weil sich für die Gleichberechtigung mit den Kirchen einsetzen.
Deshalb ergänzen wir unsere Grundsatzforderung nach einem Ethikunterricht, in dem auch das Wissen über Religionen vermittelt wird, mit der folgenden Forderung: „Soweit bekenntnisorientierter Religionsunterricht an Schulen als Wahlfach angeboten wird, sollten sich alle Religionsgemeinschaften beteiligen können.“ Auch der Humanistische Verband als der größte Verband areligiöser Menschen spricht sich für Religionsunterricht als Wahl- und einen Ethikunterricht als Pflichtfach aus.
Der Antrag aus Hamburg-Barmbek hätte bedeutet, dass wir uns für die ersatzlose Streichung der Seelsorge in Krankenhäusern und Gefängnissen einsetzen. Das träfe die, die am meisten darauf angewiesen sind, und kann nicht ernsthaft eine linke Position sein.
Religionspolitische Forderungen weiter entwickeln
Das Wahlprogramm 2017, das DIE LINKE im Juni 2017 auf ihrem Parteitag in Hannover beschlossen hat, entwickelt religionspolitische Forderungen weiter.[3] Während das Bundestagswahlprogramm 2009 noch keine religionspolitischen Forderungen enthielt und das Bundestagswahlprogramm 2013 Forderungen nach der Trennung von Kirche/Religion und Staat in den Vordergrund gestellt hat, sind in dem aktuellen Wahlprogramm sowohl Trennung von Staat und Kirche, als auch die Fragen der Religionsfreiheit gleichermaßen ausgearbeitet.
So wird in dem Programm erstmalig gegen Bekleidungs- und Bauverbote Stellung bezogen. Erstmalig werden gleiche Rechte für alle Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften bei Seelsorge oder bekenntnisorientiertem Religionsunterricht gefordert. Zudem gibt es einen stärkeren Bezug auf innerkirchliche Auseinandersetzungen und Reformprozesse, indem die Forderung von militärkritischen Initiativen bei der Militärseelsorge aufgegriffen werden und zu gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Kirchen genauso Stellung bezogen wird, wie zu dem gemeinsame Einsatz von Kirchen, Gewerkschaften u.a. für den erwerbsarbeitsfreien Sonntag.
Zehn Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 2007 diskutiert DIE LINKE intensiver als je zuvor über ihr Verhältnis zu Religion und Religionsgemeinschaften und kommt damit ihrem selbstgesteckten Ziel, sich sowohl für umfassende Religionsfreiheit einzusetzen, als auch für die Trennung von Staat und Kirchen, einen wichtigen Schritt näher.
Mit der vom Parteivorstand beschlossenen Kommission Religionen, Weltanschauungen, Staat und Kirche werden wir die Positionen weiter entwickeln.