Am 19. Mai entscheidet der Bundestag über die Verlängerung der Bundeswehr-Militärmissionen in Mali und den Nachbarländern der Sahel-Region. Wie in Afghanistan setzt die Bundesregierung in Mali darauf, mit militärischen Mitteln die Bedingungen für Frieden und Entwicklung zu schaffen. Was in Afghanistan katastrophal gescheitert ist, funktioniert auch in Mali nicht. Die Bundesregierung muss aus Afghanistan die Lehre ziehen und die Bundeswehr aus Mali abziehen. Hier dokumentiere ich meinen Artikel für die Rosa-Luxemburg-Stiftung
Nach inzwischen 20 Jahren Einsatz zieht die Bundeswehr voraussichtlich bis zum 1. Juli 2021 aus Afghanistan ab. Nach dem Motto «Entwicklung braucht Sicherheit» wurden in Afghanistan von Anfang an Militärinterventionen mit zivilen Maßnahmen und Entwicklungszusammenarbeit verknüpft. Zurück bleibt ein Desaster. Keines der Probleme des Landes wurde gelöst.
Afghanistan zeigt das Scheitern des militärischen Anti-Terror-Krieges. Es zeigt aber auch das Scheitern des von den Bundesregierungen der letzten Jahre verfolgten «vernetzten Ansatzes». Die Vermischung von ziviler Hilfe mit Militärinterventionen ist kontraproduktiv, weil Hilfe so nicht neutral ist. Das haben mir Entwicklungshelfer*innen schon 2010 in Afghanistan erzählt und wird beispielsweise von Reinhard Erös von der Kinderhilfe Afghanistan bestätigt.
Anstatt daraus Lehren zu ziehen, wird derzeit die Sahel-Region mit den gleichen Argumenten in eine Kampfzone verwandelt. Seit acht Jahren ist die Bundeswehr an zwei Militärmissionen in Mali und den Nachbarländern beteiligt. Mit bis zu insgesamt 1700 Soldat*innen handelt es sich derzeit um den größten Bundeswehr-Einsatz. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer kündigte an, der Einsatz brauche seine «Zeit». Die deutsche Regierung plant aber nicht nur das Einrichten für «eine lange Dauer», sondern auch eine stetige Erweiterung des Mandats.
Bereits 2020 entschied der Bundestag, die EUTM Mali schrittweise auf Gesamtmali sowie – nach Schaffung der Voraussetzungen auf europäischer Ebene – auf alle G5-Sahel-Staaten (Burkina Faso, Mauretanien, Mali, Niger und Tschad) auszuweiten. Damit wollte man insbesondere die Möglichkeit schaffen, künftig auch militärische Beratung und Ausbildung in Burkina Faso und Niger durchzuführen. Im Niger findet das bereits statt: Durch die Mission Gazelle unter dem Dach von EUTM Mali werden nigrische Spezialkräfte durch Spezialeinheiten der Bundeswehr ausgebildet. Die Personalstärke wurde bereits 2020 von 350 auf 450 Soldat*innen aufgestockt. Dieses Jahr soll die Obergrenze erneut um 150 ausgeweitet werden. Seit 2020 dürfen Bundeswehrsoldat*innen der europäischen Ausbildungsmission EUTM Mali malische Soldat*innen bis zum Kampfgeschehen begleiten. Damit verschwimmen Grenzen zwischen Ausbildung und Kampfhandlungen. Außerdem übernimmt die Bundeswehr in diesem Sommer die Führung der europäischen Ausbildungsmission und damit stärker als bislang Verantwortung für deren (Miss-)Erfolg.
Unverändert hoch bleibt mit 1100 die Zahl der an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) beteiligten Soldat*innen. Die UN-„Peacekeeping“-Mission hat den Auftrag, die Umsetzung des auf großen Druck der internationalen Gemeinschaft 2015 geschlossenen Friedensabkommens zu unterstützen. Die Mali-Expertin Charlotte Wiedemann sagt: «Der offizielle Friedensprozess für Nordmali hat nicht zur Entmachtung der bewaffneten Gruppen geführt, sondern zur Vervielfachung von Milizen. Die Grenzen zwischen Bündnispartnern, Dschihadisten und Großkriminellen sind fließend. In Zentralmali vermischt sich unterdessen Dschihadismus mit sozialer Revolte». Das Friedensabkommen, das von MINUSMA umgesetzt werden soll, schafft also neue Konflikte statt alte zu lösen.
Die deutschen Debatten um die Bundeswehr-Einsätze in Mali sind währenddessen komplett losgelöst von den Realitäten vor Ort. So attestierte Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, dem deutschen Engagement in der Bundestagsdebatte um die Verlängerung der Einsätze: «An der Seite unserer europäischen Partner leisten wir einen in der Region hochgeschätzten Beitrag zur Stabilisierung der Sahelregion». Es würden die Voraussetzungen für eine Konfliktlösung geschaffen werden. EUTM Mali, und damit die Bundeswehr, würden dabei eine «entscheidende Rolle» spielen.
Das ist falsch. Militärinterventionen bringen keine Sicherheit. Wie bereits schon seit langem in Afghanistan absehbar, zeigt sich auch in Mali bereits das Scheitern dieses auf Militär fokussierten Sicherheitsansatzes. 2020 war das tödlichste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen in der Sahelregion – 2400 Zivilist*innen wurden getötet. Human Rights Watch, die Vereinten Nationen und andere Akteure in der Region berichten, dass seit Ende 2019 über 600 Tötungen auf Sicherheitskräfte aus Burkina Faso, Mali und Niger zurückzuführen sind. Konflikte und Umweltprobleme, die durch den Krieg und die Klimakrise verschärft werden, vertreiben immer mehr Menschen in der Region: Seit 2019 hat sich die Zahl der Binnenvertriebenen auf 2 Millionen vervierfacht. Gleichzeitig hat sich der malische Militärhaushalt seit 2013 verdreifacht. Sogar regierungsnahe Think Tanks stellen den Militärinterventionen Deutschlands und Frankreichs ein schlechtes Zeugnis aus: Die Lage ist verfahrener, «als es sich selbst die pessimistischsten Beobachter 2013 vorstellen konnten», bilanziert Wolfram Lacher für die Stiftung Wissenschaft und Politik im Februar 2021. Denn die Bundeswehr spielt eine führende Rolle bei der Aufrüstung und Verschärfung der Kampfhandlungen in der Region.
Doch die Bundesregierung hat kein Interesse an einer ehrlichen Bilanz. Ihr geht es nicht um die Interessen und Bedürfnisse der Malier*innen. Die Mali-Einsätze sind für die Bundesregierung militärisches Praxistraining für größere Interventionen der Zukunft: Es geht darum, das Konzept der «Ertüchtigung» in der Praxis zu erproben und Einsatzerfahrung zu sammeln, sowie Material unter widrigen Bedingungen zu testen. Ziel ist eine global handlungsfähige Einsatzarmee zur Durchsetzung und Absicherung geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen mit militärischer Macht. Dabei geht es der Bundesregierung auch um ihren Platz im europäischen Machtgefüge und ihre Stellung in der so genannten Internationalen Gemeinschaft.
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich ist mit über 5000 Soldat*innen in Mali. Frankreich führt mit der Operation Barkhane einen blutigen «Krieg gegen den Terror». Der französische Präsident Emmanuel Macron schlägt martialische Töne an. Sein Land werde alles tun, um Terrorgruppen zu «enthaupten». Frankreich will auch die anderen europäischen Staaten in die Pflicht nehmen. Zwar schloss Außenminister Heiko Maas bisher die Beteiligung der Bundeswehr an der französischen Aufstandsbekämpfung aus. Für die Bundesregierung gehören der französische Anti-Terror-Kampf und die Bundeswehr-Einsätze jedoch zusammen. In ihrem bislang unveröffentlichten Strategiepapier für die Sahel-Region wird der Einsatz der «Partner» gewürdigt, insbesondere «in jenen Teilbereichen, in denen sich Deutschland nicht beteiligt». Dazu zähle auch der «militärische Kampf gegen den Terrorismus».
Vor Ort arbeiten deutsche und französische Streitkräfte eng und arbeitsteilig zusammen. Die deutsche Luftwaffe unterstützt französische Kampf- und Aufklärungsflugzeuge immer wieder mit Luftbetankungen und transportiert Truppen aus westafrikanischen Ländern nach Mali. Die deutsche Heron-Aufklärungsdrohne liefert Drohnenbilder, auf die auch der MINUSMA-Truppensteller Frankreich zugreifen kann. Die Bundeswehr unterstützt so indirekt die französischen Kampfeinsätze. Der «vernetzte Ansatz» dient als Deckmantel, um dem Krieg in der Sahel-Region ein humanitäres Antlitz zu geben und somit – wie in Afghanistan seit zwanzig Jahren – militärische Handlungen überhaupt erst zu ermöglichen und zu normalisieren.
Die Folgen dieser fatalen Strategie zeigt das Dorf Bounti in Zentralmali beispielhaft. Französische Kampfflugzeuge der Antiterroroperation Barkhane bombardierten Anfang Januar eine Hochzeitsgesellschaft. 22 Zivilist*innen starben, belegt durch eine Untersuchung von MINUSMA. Die französische Regierung wischte den Bericht vom Tisch und behauptete weiterhin, es seien nur «Terroristen» getötet worden. Die Bundesregierung schweigt zu den Vorwürfen. Man wolle die «vertrauensvolle» Zusammenarbeit mit den Partnern weiterführen.
Angefacht durch Übergriffe wie in Bounti nimmt die anti-französische Stimmung im Land zu, die auch die Sicherheitslage für Bundeswehr-Soldat*innen beeinträchtigt. Bei einer Unterrichtung der Bundesverteidigungsministerin erzählte ein in Mali stationierter Bundeswehrsoldat, dass sie sich bei zivilen Ausfahrten immer gut sichtbar deutsche Fahnen an die Fahrzeuge klebten, damit sie nicht für Französ*innen gehalten würden; so würden sie ihre Sicherheit erhöhen.
Die Unzufriedenheit der Malier*innen brach sich in der Massenbewegung im letzten Jahr Bahn. Der vom Westen gestützte Präsident wurde vom malischen Militär abgesetzt. Auf großen Druck internationaler Akteure wurde im September 2020 eine vom Militär dominierte Übergangsregierung gebildet. Sie steht stark in der Kritik der malischen Oppositionskräfte, insbesondere der malischen Linken. Die internationale Staatengemeinschaft setzt auf die Wiederherstellung des Status Quo und fordert schnelle Wahlen. In Mali selbst wird das sehr kritisch gesehen.
Aus der afghanischen Katastrophe lernen heißt: Demokratie, gesellschaftlicher Fortschritt und Sicherheit können nicht mit Kriegen von außen aufgezwungen werden. In Mali gibt es eine aktive Linke, die gegen die ausländischen Truppen im Land argumentiert. Es gibt Gewerkschaften, die gegen Armut und für höhere Löhne kämpfen. Und es gibt Bürgerrechtsbewegungen, die sich für den Ausgleich zwischen den Ethnien einsetzen. Dies sind die Kräfte, die die Probleme in Mali lösen können, nicht internationale Militärs. Die Bundesregierung schafft in Mali keine Stabilität, sie ist an einem Krieg beteiligt und zerstört damit den Widerstand von unten. Es bleibt nur eine Lösung: Die Bundeswehr muss aus Mali abgezogen werden, damit sich Afghanistan nicht wiederholt.
Der Artikel wurde hier bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentlicht.