Mein Beitrag auf der Tagung „Shrinking space im Israel-Palästina-Konflikt – Aufbruch zu einem konstruktiven Miteinander“ der Evangelischen Akademie zu Bad Boll am 22. September 2018

Am 22. September 2018 richtete die Evangelische Akademie zu Bad Boll eine Tagung unter dem Titel „Shrinking space im Israel-Palästina-Konflikt – Aufbruch zu einem konstruktiven Miteinander“ aus. Die Tagung wurde wie folgt angekündigt: „Der Diskurs um den Nahostkonflikt in Europa ist in eine Krise geraten. Der Demokratie- und Menschenrechtsdiskurs wird durch unterschiedliche Vorwürfe blockiert. Veranstaltungen werden abgesagt bzw. untersagt, der Vorwurf der Einseitigkeit schnell erhoben. Zivilgesellschaftliche Friedensgruppen haben zunehmend Schwierigkeiten, Räume für Diskussionen zu bekommen, so dass die Handlungsspielräume der internationalen Zivilgesellschaft immer kleiner werden. Dabei wären auf Grund der Komplexität des Konfliktes ein verstärkter Dialog und eine offenere Auseinandersetzung mit Informationen dringend angezeigt.
Auf der Tagung vertrat ich DIE LINKE auf einem Panel unter dem Titel „Offener Menschenrechtsdiskurs Israel – Palästina“, zu dem auch Vertreterinnen und –vertreter von CDU/CSU, SPD und Grüne eingeladen waren. Leider erschien von den anderen Parteien niemand. Ich dokumentiere hier meinen Beitrag:
„Die Evangelische Akademie hat mich darum gebeten, etwas zu meiner Wahrnehmung des Menschenrechtdiskurses über Israel und Palästina in Bundestag, Medien und Gesellschaft zu sagen. Und dazu, wer oder was einen offenen Dialog verhindert. Beziehungsweise, wie ein offener Diskurs gelingen kann.
Das tue ich gerne. Zunächst möchte ich mich aber bei Michael Blume, dem Antisemitismusbeauftragten der baden-württembergischen Landesregierung, bedanken. Dafür, dass er gekommen ist und nicht dem Druck abzusagen nachgegeben hat. Und ich möchte mich bei der Akademie-Leitung bedanken, dass sie diesen Diskurs möglich macht und diese Veranstaltung durchführt.
Michael Blume hat gesagt: Wenn wir es unter den friedlichen Bedingungen in Deutschland und Europa nicht schaffen, miteinander zu diskutieren, wir könnten wir dann einen Dialog von den Konfliktparteien in der Krisenregion einfordern? Ich stimme Herrn Blume hier ausdrücklich zu.
Nun zu der Wahrnehmbarkeit des Menschenrechtsdiskurses bezüglich Israels und Palästinas im Bundestag. Dass die anderen eingeladenen Fraktionen heute nicht an der Tagung teilnehmen, sagt eigentlich alles. Er spielt im Bundestag keine große Rolle.
Anträge der LINKEN zu diesem Themenkomplex – sei es zur Administrativhaft, der Anerkennung Palästinas, zu 70 Jahren Nakba oder auch zur UNRWA werden regelmäßig von den anderen Fraktionen abgelehnt.

Das heißt nicht, dass es nicht häufig Gespräche mit NGOs und Initiativen geben würde, die sich für die Menschenrechte in Nahost engagieren – auch mit Vertretern der anderen Fraktionen. Selbst die Reise einer Delegation des Verteidigungsausschusses nach Israel/Palästina sah Gespräche mit regierungskritischen Organisationen wie „Breaking the silence“ oder „Bet’selem“ vor. Nur leider haben solche Treffen kaum Konsequenzen.

Stattdessen positioniert sich die Regierung immer wieder einseitig auf der Seite der israelischen Regierung. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, mit dem ich mich als Mitglied des Verteidigungsausschusses beschäftige: Es gibt es die kontinuierliche Rüstungskooperation der Bundesregierung mit der israelischen Regierung. Seit Jahren werden Steuergelder zur „Beschaffung von Verteidigungssystemen für Israel“ bereitgestellt. Allein im Bundeshaushalt 2019 sind dafür 50 Millionen Euro vorgesehen – nicht als Kredit, sondern als nichtrückzahlbare Zuwendung. Mitten im letzten Gasakrieg wurde ein Atom-U-Boot ausgeliefert. Es gibt gemeinsame Übungen der israelischen Streitkräfte und der Bundeswehr, zum Beispiel zur Ausbildung von Soldaten in Urban Warfare und Tunnelkampf. In Kürze wird die Bundeswehr bewaffnungsfähige Drohnen vom Typ Heron-TP aus Israel beziehen.

Wir kritisieren die Rüstungskooperation nicht nur in Bezug auf Israel. Wir kritisieren auch die Rüstungskooperation mit anderen Ländern. Wir wollen, dass es grundsätzlich keine militärische Zusammenarbeit mit Ländern im Nahen und Mittleren Osten gibt. Wir sind grundsätzlich gegen Rüstungsexporte und dementsprechend auch gegen Rüstungsexporte an die Länder in dieser Region.
In der medialen Darstellung in Deutschland findet der Menschenrechtsdiskurs ebenfalls nur schwache Resonanz. Die tödlichen Schüsse durch israelische Heckenschützen über den Zaun von Gasa in diesem Frühjahr, die über hundert Palästinenser das Leben kosteten, das neue ausgrenzende Nationalitätengesetz und die breiten Proteste dagegen fanden nur am Rande Eingang in die Berichterstattung.

Wer sich ein umfassendes Bild über die Lage in Israel in Palästina verschaffen will, muss viel Energie, Zeit und Kraft in eine eigenständige Recherche stecken.
Während des letzten Gasakrieges gab es teilweise eine mediale Unterstützung für die Kriegspropaganda. Ich will ein Beispiel nennen: In Essen organisierte unter anderem die Linksjugend‘ „Solid“ eine Friedensdemonstration. Es kamen 4000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle.
Nach Beendigung der Veranstaltung ging eine Gruppe arabischer Jugendlicher an einer Kundgebung vorbei, auf der für die Unterstützung der israelischen Angriffe geworben wurde. Dabei sollen sie als Reaktion darauf den Hitlergruß gezeigt haben. Das ist natürlich völlig inakzeptabel und muss zurückgewiesen werden.
Doch die BILD-Zeitung und andere nutzten dies aus, um tagelang gegen die Friedensdemonstration als solche Stimmung zu machen. Es ging ihnen darum, jede Bewegung gegen die Bombardierung der Wohngebiete in Gasa als „antisemitisch“ zu denunzieren. Ziel war es, die Friedensbewegung, auch in Israel und Palästina selbst, zu delegitimieren und so die Folgen der Bombardierungen aus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verdrängen.

Es ist ein Muster zu erkennen: Die Gleichsetzung jeder Kritik an der Regierung Israels mit Antisemitismus verhindert wieder und wieder einen offenen Dialog.
Ich bin für die scharfe Zurückweisung von Kritik an der israelischen Regierung, wenn sie tatsächlich antisemitisch ist. Das heißt, wenn sie Menschenrechtsverletzungen auf die jüdische Religion von handelnden Akteuren zurückführt. DIE LINKE steht gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und jede andere Form von Rassismus.
In der Art, wie aktuell über Antisemitismus diskutiert wird, sehen wir, dass die politische Rechte die Agenda gesetzt hat. So haben CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP zu Beginn dieser Wahlperiode einen gemeinsamen Antrag in den Bundestag eingebracht, der vor allem Zuwanderer für den erstarkenden Antisemitismus in Deutschland verantwortlich macht. In seinen praktischen Konsequenzen fokussiert der Antrag gegen einen „muslimischen Antisemitismus“. Hier werden verschiedene Opfergruppen rassistischer Gewalt gegeneinander ausgespielt. Es ist bezeichnend, dass sich die AfD durch den Antrag nicht angegriffen fühlte und ihm ohne weiteres zustimmen konnte.

DIE LINKE hat sich enthalten, weil sie die im Antragstitel formulierte Intention – den entschlossenen Kampf gegen Antisemitismus – unterstützt, nicht aber den Versuch, vor allem muslimische Migrantinnen und Migranten die Hauptverantwortung für den Antisemitismus in Deutschland zuzuweisen. So lehnen wir die Forderung ab, Migrantinnen und Migranten auszuweisen, wenn sie antisemitisch auffallen, weil wir grundsätzlich gegen Sonderstrafen für bestimmte Gruppen von Menschen sind.
In dem Antrag wird auch die BDS-Kampagne kriminalisiert. Um es klar zu stellen: DIE LINKE unterstützt die Kampagne BDS nicht. Angesichts der Tatsache, dass die Nazis 1933 eine Boykottkampagne gegen jüdische Geschäfte entfacht haben, kann eine Kampagne gegen israelische Waren und Dienstleistungen leicht denunziert und von rechter Seite instrumentalisiert werden. DIE LINKE respektiert es aber, wenn Menschen aus Kritik an der israelischen Besatzungspolitik, die in zahlreichen UN-Resolutionen verurteilt worden ist, ein Zeichen setzen wollen und deshalb die BDS-Kampagne unterstützen. Hier richtet sich Kritik und Protest gegen die Politik der israelischen Regierung, und nicht gegen Juden. Das ist legitim und darf nicht pauschal verleumdet werden.
Wem nützt die Gleichsetzung der Kritik an der israelischen Regierung mit Antisemitismus?

Zunächst der rechten Regierung in Israel. Das ist eine Regierung, die immer wieder Öl ins Feuer gießt. Eine Regierung, die mit dem weiteren Ausbau der Siedlungen die vorgeblich angestrebte Zwei-Staaten-Lösung unmöglich gemacht hat und die dafür verantwortlich ist, dass der Raum für Menschenrechtsorganisationen, für Vertreterinnen und Vertretern von Minderheiten, nicht zuletzt auch für Friedens- und Verständigungsinitiativen, immer enger wird. Denn nicht nur in Deutschland können wir von einem Shrinking Space reden. Der Raum für offene Debatte ist in Israel selbst weitaus dramatischer eingeengt worden.
Übrigens: Im Umkehrschluss macht es dies zugleich schwieriger, dass sich innerhalb der palästinensischen Bevölkerung Kritik an Korruption und Demokratiedefiziten bei PA und Hamas artikuliert. Dort, wo nicht offen über Menschenrechtsverstöße gesprochen werden darf, profitiert stets die bestehende Regierung. Das gilt in Deutschland genauso wie in Israel oder den palästinensischen Gebieten.

Dies ist daher auch der Ort, um einmal über die Bundesregierung zu sprechen. Denn sie selbst hat ihre ganz eigenen Interessen in diesem Konflikt. Die Bundesregierung versucht seit einiger Zeit, eine größere Eigenständigkeit gegenüber den USA zu gewinnen und die Beziehungen zu verschiedenen mittleren Mächten auszubauen. Die Rüstungs- und Militärkooperation mit solchen mittleren Mächten ist ein Ausdruck davon. Es profitiert bei der Gelegenheit die deutsche Rüstungsindustrie. Denn am Ende am Ende kassiert sie die Gelder, die als Zuwendungen an die israelische Armee im Haushalt jedes Jahr verbucht werden.
Eines ist mir noch wichtig. Zu häufig wird Israel als eine Art eindimensionaler Block dargestellt. Israel ist voller innerer Gegensätze. Gesellschaftliche Widersprüche sozialer oder politischer Natur jenseits ethnisch-religiöser Konfliktlinien finden kaum einen Widerhall in der Berichterstattung. So war beispielsweise der Widerstand gegen das Nationalstaatsgesetz getragen von sehr breiten Schichten der israelischen Bevölkerung.
Nun zur Frage: Wie kann ein offener Diskurs in Deutschland gelingen?

Erstens brauchen wir eine Anerkennung der Realitäten in Israel und Palästina. Wir müssen uns trauen, über die Auswirkungen der inhumanen Besatzungspolitik auf die palästinensische Bevölkerung zu reden. Wir müssen Widersprüche innerhalb der israelischen und palästinensischen Gesellschaft als etwas Selbstverständliches wahrnehmen. Wir müssen offen die sich einengenden Räume in der Debatte und in der Menschenrechtsarbeit problematisieren. Dabei sollten wir nie vergessen, positive Ansätze des menschenrechtlichen Engagements hervorzuheben.

Zweitens gehört dazu eine Analyse der aktuellen Situation und der Regierungspolitik der Netanjahu-Regierung. Die Regierung Netanjahu fährt mit ihrer Siedlungspolitik, der gesetzlich fixierten Ausgrenzung nichtjüdischer Bevölkerungsteile, den gewalttätigen Reaktionen auf Proteste der Bevölkerung im Gasastreifen einen Kurs, der wegführt von einer gerechten Friedenslösung.

Drittens müssen wir feststellen, dass Deutschland in diesem Konflikt nicht neutral ist. Deshalb fordert DIE LINKE unter anderem von der Bundesregierung, die Rüstungskooperation und Rüstungsexporte in den gesamten Nahen Osten zu beenden und die Umsetzung von Menschenrechten ins Zentrum ihrer Politik zu stellen.
Viertens muss Antisemitismus da, wo er sich äußert, benannt und zurückgewiesen werden. Das ist eine Selbstverständlichkeit und gilt besonders in einer Zeit, in der mit der AfD eine Partei stärker wird, in der Antisemiten wie Wolfgang Gedeon einen Platz haben. Wolfgang Gedeon relativiert den Holocaust und erklärt die Protokolle der Weisen von Zion für echt. Jörg Meuthen dichtet George Soros die Parole „No border – no nation“ an. Er bezieht sich damit auf die Logik von FPÖ-Fraktionssprecher Johannes Gudenes, der Soros unterstellt, für die Masseneinwanderung in Europa mitverantwortlich zu sein und einen Bevölkerungsaustausch in Europa organisieren zu wollen. Das sind antisemitische Äußerungen, die direkt an den Nationalsozialismus anknüpfen. Doch sie werden gedeckt durch den Fraktionsvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, der stolz auf die Leistungen der Wehrmacht im zweiten Weltkrieg ist und die Verbrechen der Nazis als einen „Vogelschiss“ relativiert hat.
Fünftens erleben wir gerade eine gesellschaftliche Rechtsentwicklung in Deutschland, der wir uns gemeinsam entgegenstellen müssen. Gestern, am 21. September, gab es gleich zwei Neonazi-Demonstrationen in Dortmund. Auf einer soll die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ gerufen worden sein. In Chemnitz wurden Migrantinnen und Migranten sowie Linke durch die Straßen gehetzt, aber auch das koschere Restaurant „Shalom“ angegriffen. Die Gefahr für die Demokratie und für Minderheiten kommt von rechts.

Sechstens müssen wir uns gegen Diffamierungen zu Wehr setzen, wie es mit Bezug auf diese Tagung passiert ist. Wer vorab eine Tagung der evangelischen Kirche mit Unterstellungen als „antisemitisch“ denunziert, in der es um die Menschenrechtsverletzungen im Nahen Osten geht, will die Debatte um die Menschenrechtsverletzungen verunmöglichen. Das ist ehrverletzend und erzeugt Angst – und schützt letztlich die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen.

Diejenigen, die Muslime angreifen, greifen auch Juden an – und umgekehrt. Wir dürfen die Problematik des Antisemitismus und der Islamfeindlichkeit nicht gegeneinander ausspielen. Im Bericht des unabhängigen Expertenkreises „Antisemitismus“ heißt es richtigerweise: „Antisemitismus wird durch die seit Jahren aufgeheizte Debatte über Islam, Terrorismus, Zuwanderung und Flucht begünstigt.“

Das muss sich dringend ändern. In diesem Sinne, lasst uns den Menschenrechtsdiskurs weiterführen und hier in Deutschland gemeinsam den Kampf gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und die Gefahr von rechts aufnehmen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.