Heute stimmen wir über einen Antrag ab, der die Bundesregierung auffordert, bis zum 30. Juni 2016 einen Bericht über den Stand der Religionsfreiheit weltweit vorzulegen. Die Linke wird diesem Antrag zustimmen.
Zwei Aspekte möchte ich in der Debatte besonders hervorheben.
Wenn es um Religionsfreiheit geht, sollten wir zuerst vor der eigenen Haustür kehren. Das betrifft sowohl die Situation in der Bundesrepublik, als auch in der EU.
Zum anderen will ich hervorheben, dass viele Konflikte, die religiös bemäntelt werden, in aller Regel im Kern politische und soziale Auseinandersetzungen darstellen. Das Eintreten für Religionsfreiheit darf im Übrigen nicht für eine Außenpolitik instrumentalisiert werden, die diese Konflikte nicht löst, sondern befördert.
Zum ersten Punkt: Wie steht es um die Religionsfreiheit in Deutschland und Europa? Dazu zählt nicht nur das formale Recht auf Ausübung der Religion der eigenen Wahl. Es muss auch ein Klima herrschen, in dem alle Menschen ohne Angst sich zu ihrem Glauben bekennen können.
Dies ist nicht der Fall. Es herrscht ein Klima der Feindseligkeit gegen Muslime in vielen europäischen Ländern. Dies wurde jüngst durch eine Umfrage des US-Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center bestätigt, wonach 56 % der Bevölkerungen in den sechs größten EU-Ländern negativ gegenüber Muslimen eingestellt seien.
Die Folgen dieser feindseligen Haltung gegenüber dem Islam sind dramatisch. So jährte sich gestern zum sechsten Mal der Mord an Marwa El Sherbini, die im Dresdner Landgericht vor den Augen ihres Kindes und ihres Mannes von einem Rassisten niedergestochen wurde. Die damalige Bundesregierung hat mehrere Tage gebraucht, bevor sie sich überhaupt zu diesem Verbrechen geäußert hat.
Zurückhaltung bei der Verteidigung von Muslimen gibt jenen Rückenwind, die mit dem Hass gegen Muslime Menschen mobilisieren. Pegida konnte so Tausende in Dresden mobilisieren. Viele Politiker stellten sich gegen Pegida. Nur die wenigsten sprachen aus, was diese Bewegung antrieb: Rassismus gegen Muslime.
Pegida ist nur der sichtbare Ausdruck für ein verbreitetes Problem. Moscheen wurden in den vergangen Jahren zu Dutzenden Ziele rassistischer Anschläge. Es gab wiederholt Proteste gegen den Bau von Moscheen. In einigen Orten versuchen kommunale Verwaltungen über Bauvorschriften und andere bürokratische Tricks, den Bau von Moscheen in zentraler Lage zu verhindern.
So lange Muslime, Juden und andere religiöse Minderheiten nicht Gotteshäuser nach ihren Vorstellungen bauen oder angstfrei besuchen können, ist die Religionsfreiheit bei uns nicht für alle garantiert.
Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im März darf Lehrerinnen nicht mehr pauschal verboten werden, an Schulen das Kopftuch zu tragen. Dies ist ein Schritt nach vorn. Denn das Kopftuchverbot ist nichts anderes als ein Akt der Unterdrückung einer religiösen Minderheit. Doch wir erleben weiterhin tagtäglich die Diskriminierung von muslimischen Frauen, die Kopftuch tragen.
Eine der Gründe sind Äußerungen und Schriften bekannter Politiker, nicht zuletzt der Sozialdemokraten Sarrazin und Buschkowski. In dem Bezirksamt von Berlin-Neukölln, dort wo Buschkowski Bürgermeister war, bewarb sich die kopftuchtragende Muslima Betül Ulusoy als Rechtsreferendarin. Sie musste erleben wie ihr eine telefonische Zusage zurückgezogen wurde, nachdem sie dort persönlich vorstellig wurde. Das ist Diskriminierung und widerspricht geltendem Recht. Leider ist diese Erfahrung ist kein Einzelfall.
Häufig wird mit dem Finger auf andere Länder gezeigt, wenn es darum geht religiöse Diskriminierung anzuprangern. Doch wie verhält sich die deutsche Auslandsvertretung in dem Land gegenüber diesem Phänomen? Die Ahmadiyya-Gemeinde wird in Pakistan verfolgt, ihre Eheschließungen in Pakistan nicht anerkannt. Wenn nach Deutschland ausgewanderte Mitglieder der Ahmadiyya-Gemeinde Ehegatten oder -gattinnen im Zuge der Familienzusammenführung nachholen wollen, bekommen sie Probleme. Oft müssen sie erleben, dass sich die deutsche Botschaft in Pakistan die Position der pakistanischen Behörden zu eigen macht und die Eheschließungen nicht anerkennt.
Wer weltweit glaubwürdig für Religionsfreiheit eintreten möchte, darf nicht gleichzeitig diskriminierende Standards bei der Vergabe von Visa und Aufenthaltsberechtigungen übernehmen. Hier gibt es Handlungsbedarf.
Herrn Kauder setzt sich besonders für die Religionsfreiheit von Christinnen und Christen ein, zum Beispiel in Ägypten. Ich bin auch für die Religionsfreiheit der Koptischen Gemeinde in Ägypten. Wer aber die Rechte der Kopten hochhält und dann dem ägyptischen Diktator Al Sisi den roten Teppich in Berlin ausrollt, der predigt eine Doppelmoral. Unter Präsident Sisi wurden rund 1500 Todesurteile gegenüber Muslimbrüdern und anderen Oppositionellen verhängt. Man kann sehr wohl die Rechte der Kopten verteidigen, ohne sich vor den Karren Al Sisis spannen zu lassen.
Nicht nur Sisi, auch das saudische Regime wird hofiert – obgleich in dem Land auf die Ausübung der christlichen Religion die Todesstrafe steht. Offenbar trägt der Vorsatz einer „wertegeleiteten“ Außenpolitik nur so weit, wie die „Werte“ nicht mit wirtschaftlichen oder strategischen Interessen kollidieren. Das ist leider die Realität.
Die Redner der Union haben in der ersten Lesung dieses Antrages auf die Verbrechen des so genannten Islamischen Staates verwiesen. Der IS mordet, versklavt und vergewaltigt im Namen der Religion Christen und Jesiden. Das ist richtig. Allerdings ist es falsch, den Eindruck zu erwecken, es handele sich beim Krieg im Irak um einen Krieg zwischen Christentum und Islam.
Erstens sind es in der Mehrzahl Muslime, die unter dem IS leiden. Zum anderen werden von Seiten der radikal-schiitischen Milizen Verbrechen begangen, die jenen des IS gleichen. Doch diese Milizen sind es, auf die sich das mit der westlichen Allianz verbündete Regime in Bagdad stützt. Die Religion dient nicht nur dem IS, sondern beiden Seiten als Vorwand, um Ortschaften zu plündern, Gefangene hinzurichten und Bevölkerungen zu vertreiben.
Wir sind gespannt auf den Bericht der Bundesregierung zur Religionsfreiheit. Und wir sind gespannt, wie sie das eigene Agieren in der Frage bilanzieren wird. Es geht um die Stärkung der Religionsfreiheit und aller anderen Menschenrechte. Hierzulande und weltweit.
Rede zu Protokoll zur Beratung zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit“ (DS 18/5206, 18/5408)