Die Große Koalition opfert die Rechte von Migrantenkindern. Dagegen habe ich habe gestern im Bundestag gesprochen. Für die Doppelte Staatsbürgerschaft! Optionszwang abschaffen!

 
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir finden es gut, dass drei rot-grüne Bundesländer die Bundesratsinitiative gestartet haben, das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder, die hier geboren sind, zu gewähren; denn damit würde der diskriminierende Optionszwang, nach dem sich diese Kinder zwischen zwei Staatsbürgerschaften entscheiden müssen, endlich bedingungslos abgeschafft.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da klatsche ich doch glatt mit!)
Denn was bedeutet Optionszwang praktisch? Im Regierungsbezirk Darmstadt, in dem mein Wahlkreis liegt, haben bereits im ersten Halbjahr 2013  28 Jugendliche die deutsche Staatsangehörigkeit automatisch verloren, fast alle Kinder türkischer Eltern. Diese jungen Menschen besitzen jetzt nur noch die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. In Hanau verlor eine 23-Jährige ihren deutschen Pass, weil sie nicht rechtzeitig zwischen deutscher und türkischer Staatsangehörigkeit gewählt hat. Dabei hätte sie lieber den deutschen Pass behalten. Sie hat keine Chance, das Versäumnis zu heilen; die Behörde sieht keinen Spielraum.
248 jungen Menschen wurde 2013 durch den Optionszwang bundesweit die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, der überwiegenden Mehrheit, weil sie Fristen versäumt hat. Was bedeutet das für diese jungen Menschen, die bereits 23 Jahre lang Deutsche waren? Wie fühlt sich das für sie an?
Was bedeutet das für diese jungen Menschen, die in Deutschland eine Wohnung, eine Arbeit, einen Ausbildungsplatz oder einen Studienplatz finden wollen, da doch klar ist, dass es Diskriminierung gibt und das ohne eine deutsche Staatsbürgerschaft schwieriger ist?
Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Kindern von Zuwanderern die doppelte Staatsangehörigkeit zu gewähren, sofern sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Man könnte es so verstehen, als ob der Optionszwang damit abgeschafft würde. Aber ich sage Ihnen: Ihr angeblicher Doppelpasskompromiss ist faul. Die Optionspflicht bleibt, und sie wird noch bürokratischer. Sogenannte Optionskinder müssen unter Beweis stellen, dass sie richtige Deutsche sind. Als Nachweis sollten dafür die Betroffenen die Geburtsurkunde, eine deutsche Meldebescheinigung und ein deutsches Schulabschlusszeugnis vorlegen. Wenn Sie, Herr Kollege Strobl, sagen: „Das sollen sie doch machen“, dann ignorieren Sie bewusst und wissentlich, dass es eine Diskriminierung von Migranten im deutschen Bildungssystem gibt. Herr Strobl, damit erschweren Sie gerade diesen Jugendlichen die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft und damit des Doppelpasses.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN   Helmut Brandt (CDU/CSU): Wo nehmen Sie das jetzt her?)
Warum wollen CDU und CSU diese Optionspflicht unbedingt beibehalten, dieses bürokratische Monster, wie es der Kollege Veit in der vergangenen Legislatur richtigerweise bezeichnet hat? Eine Überprüfung von Hunderttausenden Lebensläufen wird damit verewigt. Selbst nach Angabe von Innenminister de Maizière werden 90 Prozent aller sogenannten Optionskinder beide Staatsangehörigkeiten behalten können. Warum dann diese Schikane? Ich sage es Ihnen: Die Optionspflicht gilt nicht für Kinder von EU-Bürgern oder Schweizern. Im Wesentlichen ist die Optionspflicht eine Diskriminierung von Kindern türkischer Eltern in Deutschland.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie ist in Gesetz gegossener Rassismus. Auch deshalb muss der Optionszwang dringend weg.
Es ist eine Schande, dass die Bundestagsfraktion der SPD, die SPD-geführten Länder und auch die Grünen in Hessen nun dem Gesetzesantrags der drei rot-grün geführten Bundesländer in den Rücken fallen.
(Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Richtig!)
Selbst die Initiatoren dieses Antrags dieser drei Länder sind weichgekocht worden. Der Gesetzentwurf soll nun nach Aussage der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer nicht einmal im Plenum des Bundesrates diskutiert werden   eine Beerdigung erster Klasse. Es ist schade, dass die Grünen dazu nichts gesagt haben. Die hessischen Grünen lassen sich von der CDU am Nasenring durch die Manege führen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Ulli Nissen (SPD))
Im Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün steht:
Auf bundespolitischer Ebene werden wir die Aufhebung der Optionspflicht und die Akzeptanz von Mehrstaatigkeit im Staatsangehörigkeitsrecht für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern unterstützen.
Selbstverständlich haben die Wählerinnen und Wähler und auch viele Betroffene gehofft, dass damit auf Bundesebene klare Kante gezeigt wird. Jetzt wollen sie sich enthalten. Gerade das macht die Entscheidung für die Betroffenen so bitter.
(Beifall bei der LINKEN)
Außerdem zeigt es, dass die Geister, die Roland Koch 1999 im Hessen-Wahlkampf mit seiner Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft rief, immer noch spuken und wirksam sind. Leider ist der faule Kompromiss nicht der einzige, den die Große Koalition fabriziert hat. Die Große Koalition hat ausdrücklich vereinbart, dass es zu keiner Erleichterung der Einbürgerung kommt und dass es für Migranten auch weiterhin keine doppelte Staatsbürgerschaft und auch nicht die notwendige Reform des auf dem Blutsprinzip beruhenden Staatsbürgerschaftsrechtes geben wird.
Die Linke fordert, Einbürgerungen endlich zu erleichtern, das Wahlrecht für alle, die mehr als fünf Jahre hier leben, einzuführen und die doppelte Staatsbürgerschaft für alle Migranten zu ermöglichen. Ich sage Ihnen: Die Integrationsverweigerer sitzen hier auf der Regierungsbank. Zeigen Sie den jungen Menschen aus Migrationsfamilien endlich, dass sie hier willkommen sind   ohne Wenn und Aber.
(Beifall bei der LINKEN)