130317_Regionalkonferenz_Frankfurt.hpHier dokumentiere ich mein Einleitungsreferat, das ich auf der Regionalkonferenz zur Programmdebatte in Frankfurt am Main am 17.03.2013 gehalten habe.
 
Liebe Genossinnen und Genossen,
 
Ich freue mich sehr, dass wir heute den ersten Entwurf zum Wahlprogramm, den Katja Kipping und Bernd Riexinger vorgelegt haben, zusammen diskutieren werden.
Unser Wahlprogramm ist dafür da, zu zeigen, wer wir sind, wofür wir stehen und was wir wollen. In der nächsten Legislaturperiode – aber auch ganz grundsätzlich.

Wir sind 100 Prozent sozial.
Im Mittelpunkt stehen folgende sechs Punkte:
1) Wir kämpfen gegen Armut.
2) Wir wollen konsequent nach unten Reichtum umverteilen.
3) Wir treten für gute Löhne und Renten ein.
4) Wir geben dem Ruf nach Gerechtigkeit für die Menschen im Osten eine Stimme.
5) Wir sind unbestechlich gegen Kriege und Waffenexporte.
6) Und wir haben eine Vision für den sozialökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, wir sind eine sozialistische Partei.
 
Wir sind angriffslustig!
Wir legen den Finger in die Wunde, wir gehen dorthin, wo die anderen nicht hingehen: Zu den Jobcentern, in die Betriebe und in die Flüchtlingsheime.
Wir geben denen eine Stimme, die in der großen Politik keine Lobby finden.
Wir machen Druck und lassen nicht locker: wir zeigen, wie es gehen könnte.
 
Wir haben konkrete Forderungen, die in der nächsten Legislaturperiode umsetzbar wären.
Ich will nur einige aufzählen, die deutlich machen, was uns wichtig ist:
 
Wir wollen sofort die Hartz-IV-Sätze auf 500 Euro anheben und die Sanktionen abschaffen. Das kann sofort gemacht werden.
Längerfristig sind unsere Ziele natürlich weiter gesteckt: nach wie vor wollen wir das entwürdigende Hartz-IV-System abschaffen und durch solidarische Formen von Mindestsicherung und Arbeitslosenversicherung ersetzen.
Und wir wollen einen flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro einführen.
Damit wollen wir den Druck von den Erwerbslosen nehmen und die Beschäftigten und Gewerkschaften in ihren Auseinandersetzungen stärken: Wir machen Druck auf die Löhne – nach oben.
Die Agenda-Politik hat viele Menschen in die Zange von Schuldzuweisung und Demütigung genommen und gleichzeitig verhindert, dass schlechte Jobs abgelehnt werden können. Dadurch ist der Niedriglohnsektor explodiert. Und genau das war Ziel dieser Politik seitens der rot-grünen Regierung.
 
Die Löhne müssen insgesamt steigen! Dafür müssen die Lohnbremsen weg: Leiharbeit, Werkverträge, unbegründeten Befristungen von Arbeitsverhältnissen. Das ist der beste Schutz vor Armutsrenten.
Diese Zusammenhänge machen wir im Wahlprogramm stark. Wer den Niedriglohn bekämpfen will, muss auch die Hartz-Sanktionen abschaffen.
 
Wir wollen Altersarmut verhindern. Deshalb darf das Rentenniveau nicht unter 53 Prozent des Lohnniveaus gesenkt werden. Und die Rentenansprüche dürfen nicht erst mit 67 Jahren beginnen. Das hält doch niemand durch. Eine Mindestrente von 1.050 Euro schützt vor Armut.
 
Und es muss endlich Gerechtigkeit zwischen Ost und West geschaffen werden: Renten und Löhne müssen angeglichen werden.
 
Es geht nicht nur darum, Armut zu bekämpfen. Wir wollen auch Reichtum begrenzen.
Der Spitzensteuersatz muss auf 53  Prozent angehoben werden – wenn das zu Kohls Zeiten möglich war, muss es jetzt auch möglich sein.
 
Darüber hinaus wollen wir sehr hohe Einkommen von über einer Million im Jahr mit 75 Prozent besteuern. Umverteilen bedeutet, dass der Reichtum der Gesellschaft allen zugutekommt: Die öffentliche Daseinsvorsorge wollen wir ausbauen, die Qualität verbessern und gute Arbeit darin realisieren. Bildung, Verkehr, Wasser, Öffentlicher Verkehr, Gesundheit, Kinderbetreuung, Pflege, Energieversorgung und bezahlbarerer Wohnraum – darin hat Profitstreben nichts verloren.
 
Die Bundeswehr muss sofort und bedingungslos aus Afghanistan und den anderen Auslandseinsätzen abziehen. Es dürfen keine neuen Soldaten ins Ausland geschickt werden.
 
Darüber hinaus wollen wir Rüstungsexporte verbieten – jede Waffe findet ihren Krieg und niemand sollte damit Geschäfte machen.
Gerade haben Frankreich und Großbritannien angekündigt, Waffen nach Syrien liefern zu wollen. Wir sagen klar: Es darf auch keine Waffenexporte nach Syrien geben!
Die Rüstungsindustrie muss umgebaut werden, die Arbeitsplätze sollen in zivile Produktion überführt werden.
 
Wir sagen, Gesellschaft und Wirtschaft müssen ökologisch und sozial zugleich umgebaut werden: Die Energiewende darf nicht auf dem Rücken der Verbraucher umgesetzt werden. Wir wollen sozial gestaffelte Strompreise, ein Verbot von Stromsperren und flächendeckende Sozialtickets.
 
Wir wollen gute Gesundheit für alle: mit einer Versicherung, in die alle einzahlen, mit allen Einkommen. Die privaten Krankenversicherungen brauchen wir dann nicht mehr. Dafür könnten wir die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen besser ausstatten und den Stress für die Beschäftigten reduzieren. So könnten wir alle, ob Patienten und Pflegebedürfige, besser behandelt werden.
 
Das ist ein Teil unserer Forderungen. Wir werden ja Gelegenheit haben, in den Foren ausführlich über die verschiedenen Teile des Wahlprogramms zu sprechen.
 
Wichtig ist uns, dass wir einerseits von den Bedürfnissen und Interessen der Menschen ausgehen unduns andererseits den großen Systemfragen stellen. Gerade werden Millionen Menschen in Europa durch die deutsche Exportstrategie und das Krisenmanagement der EU an den Rand der Katastrophe gedrängt. Armut und Perspektivlosigkeit nehmen einen Umfang an, der in Europa viele Jahre lang nicht bekannt war.
Wir wollen einen solidarischen Weg aus der Krise. Die Reichen und die Profiteure sollen zahlen – nicht die Arbeiterinnen und Arbeiter, Rentnerinnen und Rentner und die Jugend Südeuropas.
Und es ist auch klar: Es gibt keinen grünen Kapitalismus. Der Umbau von Gesellschaft und Wirtschaft muss ökologisch und sozial sein.
 
Viele glauben, dass die LINKE nur meckern würde.
Wir sagen selbstbewusst Nein zu einer Politik, die Armut verschärft, neue Kriege provoziert, internationale Solidarität aushöhlt.Wir sagen Nein zu Schuldenbremse, Fiskal- und Wettbewerbspakt.
 
Unsere Forderungen sind machbar: Es braucht dafür nur den notwendigen politischen Willen und gesellschaftlichen Druck.
Dabei ist es doch so: Was wir hier fordern, sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Wir würden eine solche Politik auch im Parlament unterstützen.
Wir haben immer gesagt, wie sind bereit für richtige Forderungen der anderen im Parlament zu stimmen. Wir haben dazu auch Anträge eingebracht. Zum Beispiel den Text der SPD, in dem sie den Mindestlohn fordert. Leider hat sie dagegen gestimmt.
 
Wir führen keine Regierungskonstellationsdebatten.
Deshalb sollten wir auch nicht den Eindruck erwecken, wir würden Steinbrück Koalitionsangebote machen. Das sage ich auch ganz deutlich in Richtung Lothar Bisky, der meint, es sei „klug“ Peer Steinbrück zum Kanzler zu wählen und „eine Chance“ für DIE LINKE, sich für ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl zu öffnen. Er könne sich sogar vorstellen, dass die Linke dafür viele ihrer außenpolitischen Positionen, etwa zu einem ‚Ausstieg aus der Nato‘, über Bord werfe.
 
Nein, nicht unsere außenpolitischen Positionen sind das Problem. Sie sind keine „Glaubenssätze“, auf denen wir uns „nicht ewig ausruhen können“, sondern unsere teilweise bittere Erfahrung aus den letzten fünfzehn Jahren von Opposition gegen Krieg und Militarisierung – auch und besonders unter rot-grün.
 
Da ja angesichts der Papstwahl alles über Religion spricht benutze ich mal dieses Bild:
Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass Steinbrück eine Politik macht, die für die LINKE akzeptabel ist.
Das heißt: Wir kämpfen für unsere Inhalte, wir machen Druck auf die anderen Parteien und wir helfen, dass es Druck von unten gibt, mit dem wir unsere Forderungen durchsetzen können. Die bessere Idee gewinnt nicht automatisch. Entscheidend ist, ob es ausreichend gesellschaftlichen Gegendruck gibt oder nicht.
 
Viele der oben genannten Forderungen sind in den letzten Wochen populär geworden:
Die SPD entdeckt ihr Herz für den sozialen Wohnungsbau und für Mietobergrenzen. Nachdem Steinbrück als Minister den Mindestlohn bekämpft hat, ist die SPD jetzt dafür.
Die Renten will die SPD jetzt doch nicht so stark absenken. Sie fordert sogar eine Vermögenssteuer und will die Hartz- IV-Sätze ein bisschen anheben. Bei den Grünen sieht es ganz ähnlich aus. Sogar Angela Merkel wird sich im Wahlkampf auf soziale Gerechtigkeit konzentrieren. Die CDU ist auch schon für einen Mindestlohn.
 
Wir sollten uns nicht ärgern, dass uns die anderen angeblich die Themen klauen. Es ist gut, dass es sich keine Partei erlauben kann, die sozialen Interessen der Menschen zu ignorieren! Niemand kommt in diesem Wahlkampf am Thema soziale Gerechtigkeit vorbei. Und soziale Gerechtigkeit ist das Feld der LINKEN. Wir sollten das auch als einen Erfolg von uns sehen!
 
Aber es werden viele Nebelkerzen geworfen. SPD und Grüne übernehmen ja nicht wirklich unsere Konzepte, sondern nur die Überschriften. Wir wollen – auch mit dem Wahlprogramm – darauf setzen, dass die Wählerinnen und Wähler die Unterschiede merken.
Und dass die SPD vor den Wahlen immer links ist und nach den Wahlen nicht – das kann vielleicht als die größte Kontinuität in der Geschichte der SPD gelten. Auch das wissen viele Leute noch.
Die Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit von SPD und Grünen meint nicht alle. Die der CDU und der FDP schon gar nicht, aber das hat ja niemand erwartet.
Auf den ersten Blick sehen die Unterschiede so aus, als würden SPD und Grüne nur ein bisschen weniger fordern und wären deshalb auch etwas realistischer.
 
Tatsächlich sind die Konzepte von SPD und Grüne nicht realistisch:
1) Ein Mindestlohn, der unter 10 Euro liegt, führt in eine Rente unterhalb der Armutsgrenzte.
2) Ein Rentenniveau von unter 53 Prozent bedeutet, dass auch Menschen mit mittlerem Einkommen im Alter kaum über die Mindestrente kommen können.
3) Wer die Hartz-IV-Sanktionen nicht abschaffen will, kann Billiglöhne nicht wirksam bekämpfen; der Druck auf die Löhne bleibt. Wenn auch schlechte Jobs angenommen werden müssen, bildet sich kein Lohnabstand heraus.
4) Wer den Reichen nicht in die Tasche greifen will, der kann die Reformen nicht bezahlen. Die öffentlichen Kassen bleiben leer, Investitionen, gute Löhne und gute Arbeit scheinen Luxus. Dann bereitet man sich schon darauf vor, dass die Versprechen nach der Wahl leider, leider nicht zu halten sein werden.
Die Solidarität von SPD und Grüne schließt die Unteren nicht ein, sie kann Niedriglohn und Armut nicht wirklich bekämpfen. Ihre Solidarität ist eine privilegierte Solidarität: die unten gehören nicht dazu und die oben müssen nicht beitragen.
 
Und die SPD und die Grünen stehen für das Prinzip der Schuldenbremse, für den Fiskalpakt und den Wettbewerbspakt. Sie stehen für die Bundeswehr als Einsatzarmee.
Nimmt man dies zum Maßstab, ist es leider traurige Realität, dass alle anderen ein politisches Lager bilden und wir die einzigen sind, die eine Alternative darstellen.
 
Lasst mich einen Punkt ergänzen, der im Programm noch erweitert werden muss. Der Kampf gegen Rassismus. Das betrifft zum einen den Kampf gegen den wachsenden antimuslimischen Rassismus. Das betrifft zum zweiten den Rassismus gegen Roma im speziellen und Einwanderer aus Bulgarien und Rumänen im allgemeinen. Denn Bundesinnenminister Friedrich fordert in BILD eine „Einreisesperre für Armutsflüchtlinge“ und spricht von einem „Flächenbrand“ und einem „Sprengsatz für die europäische Solidarität“.
Liebe Genossinnen und Genossen, das erinnert mich sehr an die Stimmungsmache in der Asylkampagne Anfang der 1990er Jahre und der Kampagne der hessischen CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft 1999. Wir dürfen nie zulassen, dass durch rassistische Stimmungsmache von den wahren Ursachen der Krise abgelenkt wird!
 
Im Wahlprogramm wollen wir neben den Forderungen unsere Argumente entwickeln. Deshalb wollten wir nicht einfach lange Listen von Forderungen zusammenstellen. Wir wollen zeigen: Wir haben eine Alternative anzubieten, die aufgeht. Und: unser Blick geht auch über die Legislaturperiode hinaus: Wir wollen erste Schritte auf einem Weg gehen, der in eine Gesellschaft jenseits von Armut, Klassen und Ausbeutung führen kann.
 
Ein Wahlprogramm ist für unterschiedliche Zielgruppen geschrieben und hat mehrere Funktionen. Es ist nicht zuerst zum Verteilen am Info-Tisch gedacht. Dazu ist es zu lang, zu umfangreich – selbst wenn wir es geschafft hätten, ein paar Seiten einzusparen.
Das Wahlprogramm ist neben der Presse und den Fachverbänden vor allem für diejenigen da, die den Wahlkampf machen. Also für euch. Für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, die unsere Politik und unsere Ziele erklären, übersetzen und vermitteln. Auch deshalb soll das Wahlprogramm keine lange Liste von Forderungen werden. Wir wollen uns verständlich machen. Euch, uns selbst und allen, die sich interessieren. Deshalb wollen wir zugänglich schreiben und eine Erzählung schaffen, die zeigt, wie die Teile zusammen gehören.
Und es ist nicht zuletzt die politische Grundlage, auf der die zukünftigen Abgeordneten gewählt werden, auf die sie sich verpflichten.
 
Liebe Genossinnen und Genossen, wir diskutieren jetzt unser Programm, gleichzeitig bauen wir den Gegendruck auf. Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass die Aktion Umfairteilen erfolgreich wird. Wir mobilisieren zu den Blockupy-Aktionstagen. Wir unterstützen die Belegschaften in betrieblichen und tariflichen Auseinandersetzungen. Wir beteiligen uns an den Ostermärschen und wir stoppen die Nazis am 1. Mai in Frankfurt und anderswo.
 
Der Wahlkampf ist eine Chance, unsere Mitglieder zu aktivieren und unser politisches Umfeld zu erweitern. Die Diskussion um das Programm und die eben erwähnten Aktivitäten sind ein guter Anlass dafür. Dabei kommt es auf jede und jeden von Euch an!