Die Regierungen feiern die Gründung der NATO vor 60 Jahren. Während die französische und die deutsche Regierung noch angestrengt um jede Minute verhandeln, in der sich Sarkozy und Merkel bei den Jubiläumsfeiern im Lichte des anwesenden US-Präsidenten Obama sonnen können, beteiligt sich DIE LINKE am Bündnis, das die vielfältigen Protestaktionen vorbereitet, an der Gegenkonferenz und der großen internationalen Demonstration am 4. April in Strasbourg. „Wir streiten für die Beendigung des Afghanistankriegs, gegen die NATO-Osterweiterung und den Raketenschild ebenso wie für einen Verzicht auf die atomare Erstschlagsoption der NATO“, betont Christine Buchholz, Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der Partei DIE LINKE.
Vor zehn Jahren, am 24. März 1999, startete die NATO ihren Krieg gegen das damalige Jugoslawien um die Provinz Kosovo. Ein Mandat der Vereinten Nationen hierfür gab es nicht. Der Bundestag stimmte bereits am 16. Oktober 1998 einer Beteiligung von Streitkräften der Bundeswehr zu. Hat die damals gerade erst gewählte Regierungskoalition von SPD und Grünen damit nicht indirekt das Überleben des transatlantischen Militärpakts gesichert, den viele nach dem Ende des Kalten Krieges bereits als überflüssig abgeschrieben hatten?
Ja, denn der Krieg gegen Jugoslawien war der erste Angriffskrieg der NATO. Sie hat die Option auf eine offensive Kriegsführung im Anschluss in eine neue Strategie übersetzt. Damit hat  sich die NATO ein praktisches Instrument gegeben, um ihr strategisches Ziel – die Übernahme der Konkursmasse der ehemaligen Sowjetrepubliken und den Zugang zu den neu entdeckten Ölquellen im Kaspischen Raum – zu sichern und sich gegen potentielle neue Konkurrenten aufzustellen. ?Rot-Grün hat damit wesentlich zur Militarisierung der deutschen Außenpolitik beigetragen. Der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war ein Tabubruch, den eine konservative Regierung wahrscheinlich nicht hätte durchsetzen können.
Wie war es möglich, dass der damalige Kanzler Schröder und sein Vize Fischer SPD und Grüne trotz massiver Proteste in den eigenen Reihen auf Kriegskurs bringen konnten?
Mit ihren Kriegslügen haben Schröder und Fischer nicht nur die öffentliche Meinung für den Kriegseinsatz beeinflusst, sondern auch die Kritiker in den eignen Reihen gezähmt und moralisch unter Druck gesetzt. Sie stellten Milosevic auf eine Stufe mit Hitler. Scharping tat sich mit Holocaustvergleichen hervor und Fischer setzte den NATO-Krieg mit dem Kampf gegen den Franco-Faschismus gleich. Die rot-grüne Führung verharmloste Faschismus und Holocaust, um die Grundsätze einer linken Außenpolitik zu opfern. Damit hat sie sich zur Vorkämpferin gemacht für das Streben des deutschen Kapitals nach der Fähigkeit, seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen auch militärisch durchzusetzen.
Kanzlerin Merkel hat die kürzlich angekündigte Rückkehr Frankreichs in die Kommandostruktur der NATO als Schritt begrüßt, der die europäische Komponente auch im Zusammenhang mit einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärkt. Wieso setzen Sarkozy und Merkel auf die Stärkung der NATO?
Frankreich und Deutschland haben eigene Interessen, die sie aber nicht ohne die NATO durchsetzen können. Deswegen geht es Merkel und Sarkozy darum, zugleich ihre eigene Rolle und die der EU in der NATO zu stärken. Es gibt schon lange eine enge Kooperation zwischen EU und NATO, so eine Dauervereinbarung, die es der EU erlaubt, auf NATO-Mittel und -Fähigkeiten zurückzugreifen, um eigene militärische Operationen durchzuführen.
Heißt das nicht, dass Paris und Berlin eine eigenständige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union bereits abgeschrieben haben?
Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird gerade von Frankreich und Deutschland schon lange als Teil eines Gesamtkonzeptes der „Vernetzten Sicherheit“ gesehen. Die NATO und die Vereinten Nationen spielen die anderen Hauptrollen in diesem Stück. Deswegen bringt auch die Forderung nach einer „Eigenständigkeit“ der EU nichts. Die EU muss vielmehr mit einer Politik brechen, die die Sicherung der wirtschaftlichen und militärischen Dominanz eines Teils der Staaten über den Rest der Welt, also die Aufrechterhaltung einer ungerechten Wirtschaftsordnung, zum Ziel hat. Gerade angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise, die zwischenstaatliche Konflikte verschärft und damit das Risiko neuer Kriege steigert, ist das von enormer Bedeutung.
DIE LINKE fordert die sofortige Auflösung der NATO. Was sind die Alternativen?
Die Auflösung der NATO ist die Alternative. Wenn ich eine Krankheit habe, möchte ich sie loswerden und brauche keine alternative Krankheit. Die NATO ist ein Instrument der imperialen Interessen der mächtigen Industriestaaten. DIE LINKE macht sich diese Interessen nicht zu eigen. Wir streiten für das weltweit gleiche Recht aller Menschen auf Entwicklung und Wohlstand, für globale Kooperation im Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Krieg darf kein Mittel der Politik sein. Deswegen setzen wir auf globale Gerechtigkeit und zivile Sicherheit statt auf Krieg und Militärbündnisse. Konkret setzen wir uns dafür ein, dass die neue aggressive NATO-Strategie nicht verabschiedet wird. Wir streiten für die Beendigung des Afghanistankriegs, gegen die NATO-Osterweiterung und den Raketenschild ebenso wie für einen Verzicht auf die atomare Erstschlagsoption der NATO.
Die französische und die deutsche Regierung verhandeln derzeit noch angestrengt um jede Minute, in der sich Sarkozy und Merkel bei den Jubiläumsfeiern im Lichte des anwesenden US-Präsidenten Obama sonnen können. Wie bereitet sich DIE LINKE auf 60 Jahre NATO vor?
Die Frage ist, wie hell die Sonne Obama scheinen wird, denn seine Politik ist höchst widersprüchlich. Ich befürchte, dass seine Regierung dasselbe Ziel wie die Bush-Administration verfolgt, aber einen anderen Weg gehen wird – den Weg der Einbindung der europäischen Regierungen. Deshalb werden wir den Finger auch dort in die Wunde legen, z.B. beim Krieg und Bundeswehreinsatz in Afghanistan.?DIE LINKE beteiligt sich am Bündnis, das die vielfältigen Protestaktionen vorbereitet, an der Gegenkonferenz und der großen internationalen Demonstration am 4. April in Strasbourg. Vielerorts organisieren wir bereits im Vorfeld Veranstaltungen und Busse und nutzen den zehnten Jahrestag des Jugoslawienkriegs zur Information über die NATO und zur Mobilisierung.
Online-Interview vom 17.3.2009