Anfang April werden in Straßburg und Baden-Baden die Feierlichkeiten anlässlich des 60. Jahrestages der NATO stattfinden. Im Zentrum stehen eine neue NATO-Strategie und die Festigung der NATO als globale Ordnungsmacht. Krieg und Besatzung in Afghanistan sind dafür ihr Referenzprojekt.
Besondere Weihe soll der NATO-Gipfel durch einen prominenten Gast bekommen: Barack Obama wird den Feierlichkeiten bei seinem ersten Europabesuch als neuer US-amerikanischer Präsident beiwohnen.
60 Jahre NATO sind für uns kein Grund zum Feiern. Die NATO steht in unauflöslichem Zusammenhang mit dem Kalten Krieg. Die Philosophie der nuklearen Abschreckung gehört zu dieser Geschichte genauso wie der Rüstungswettlauf.
Treibende Kraft der NATO sind die USA, die in ihr ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung der eigenen Machtinteressen sehen. Sie konnten als nukleare „Schutzmacht“ von Anfang an eine dominierende Stellung im Bündnis einnehmen und bis heute behaupten. Auch die Umbrüche 1989/90, die bisweilen aufbrechenden Konflikte und Krisen in der Allianz, zum Beispiel im Falle des US-Krieges gegen den Irak, haben nichts daran geändert. Eine enge Abstimmung zwischen der EU-Außen- und -Sicherheitspolitik und der NATO ist strukturell gesichert. Mithilfe der NATO stellt auch die Bundesrepublik ihre militärische Handlungsfähigkeit her.
Nach 1990 hat sich die NATO veränderten Aufgaben zugewendet. Bereits auf dem Gipfel in Rom 1991 hatte die NATO ein neues strategisches Konzept verabschiedet. Neue Bedrohungen wurden ausgemacht: Terrorismus, die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und die Unterbrechung vitaler Ressourcen. Daraufhin strukturierte die NATO ihre Streitkräfte komplett um und beschloss, künftig „Out of area“-Einsätze durchführen zu können. 1999 führte die Allianz in Jugoslawien ihren ersten Krieg außerhalb des Bündnisgebietes.
Erstmals hat die NATO nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 den Bündnisfall ausgerufen. Alle Mitgliedsstaaten verpflichteten sich, den USA im Krieg gegen den Terror Beistand zu leisten. Zentrales Projekt ist der Krieg und die Besatzung in Afghanistan.
In Afghanistan führt die NATO mittlerweile einen brutalen Krieg, der immer mehr Zivilisten das Leben kostet. Er droht nach Pakistan überzugreifen. Sogar das selbst erklärte Ziel der NATO, die militärische Abstützung des Wiederaufbaus, ist zur Nebensache geworden. Es geht inzwischen offen um Aufstandsbekämpfung.
Dabei ging es der NATO nicht um Demokratie oder Frauenrechte. Ihr Ziel ist es, in Afghanistan ihre Interessen gegenüber Russland und den aufstrebenden Wirtschaftsmächten in Südostasien durchzusetzen.
Die Osterweiterung der NATO bringt neue Kriegsgefahren. Jüngstes Beispiel war der Krieg im Kaukasus im Sommer 2008. Eine Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO wäre eindeutig gegen Russland gerichtet und würde den Konflikt ausweiten, in dem es auch um die Kontrolle der Verteilung von Öl und Gas und um den Zugang zu den zentralasiatischen Staaten geht.
In einem nicht offiziellen, aber von fünf ranghohen NATO-Militärs – unter ihnen der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann – im Januar 2008 verfassten Papier „Towards a new Grand Strategy“ wird der Kurs der NATO weiter auf globale Kriege gerichtet. Es enthält scharfe Warnungen an die OPEC-Staaten und Russland und behält sich das Recht vor, Atomwaffen gegen Staaten einzusetzen, die im Verdacht stehen, sich Atomwaffen beschaffen zu wollen. Globale Militärinterventionen sollen auch ohne UN-Mandat durchgeführt werden können. Das Konsensprinzip im NATO-Rat soll abgeschafft werden, sodass jederzeit eine „Koalition der Willigen“ unter Rückgriff auf NATO-Kapazitäten Krieg führen könnte. Vorangetrieben von der Bundesregierung, will die NATO die „strategische Partnerschaft“ mit der EU stärker verankern.
Obama hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die NATO-Mitglieder dafür zu gewinnen, mehr Truppen für Wiederaufbau und Stabilisierungseinsätze bereitzustellen und die Entscheidungsprozesse innerhalb des Bündnisses zu vereinfachen, um den NATO-Kommandeuren mehr Flexibilität im Feld zu geben. Das heißt: Auch unter Obama werden NATO-Kriege wie der in Afghanistan fortgeführt, die Besatzungen erhalten ein „zivil-militärisches“ Gesicht. Nicht Obamas Ziel unterscheidet sich von dem der Neokonservativen, sondern nur der Weg dorthin. Auch personell steht Obamas Team für Kontinuität: Robert Gates ist Verteidigungsminister; James Jones, ein Verfechter der Osterweiterung der NATO, ist Obamas Sicherheitsberater.
Gemeinsam mit der Friedensbewegung in den USA und mit Millionen Menschen, die hoffen, dass Obama eine bessere Welt bringt, bestehen wir darauf, dass „Change“ heißt, die Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen, die NATO-Osterweiterung zu stoppen, die nukleare Erstschlagsoption aufzugeben und die NATO aufzulösen.
Von Christine Buchholz und Wolfgang Gehrcke
Erschienen in Disput, Februar 2009