Die Machtübernahme der Taliban nach 20 Jahren westlicher Intervention ist eine Niederlage der USA und ihrer Verbündeten. Jetzt droht aufgrund der Dürre infolge des Klimawandels und aufgrund von Sanktionen durch die USA und ihre Verbündeten eine Hungersnot. Der Krieg muss aufgearbeitet und Hilfsgüter in das Land gelassen werden.

Der Afghanistankrieg forderte unzählige Todesopfer: Die Ärzteorganisation IPPNW ging bereits 2016 davon aus, dass 250.000 Menschen direkt oder indirekt durch den Krieg getötet und 12 Millionen Menschen vertrieben wurden. Auch 3600 Soldatinnen und Soldaten der westlichen Allianz verloren ihr Leben, darunter 59 Soldaten der Bundeswehr. Viele weitere kamen mit schweren Verletzungen und Traumata nach Hause. Die Kosten des Krieges waren enorm. Das „Cost of War-Project“ an der Brown Universität schätzt, dass für den US-Krieg in Afghanistan und Pakistan mindestens 2,313 Billionen Dollar ausgegeben wurden. Das ist nur ein Bruchteil der Gesamtkosten des Kriegs gegen den Terror. Der deutsche Afghanistan-Einsatz hat mindestens 12,5 Milliarden Euro gekostet. Schätzungen zufolge haben die Kriege nach 9/11 rund 59 Millionen Menschen in die Flucht geschlagen in Afghanistan, Pakistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Somalia und den Philippinen.

 

Der Krieg begann wie so oft mit Lügen

In Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 kündigte an, dass die USA Osama bin Laden und seine Al-Qaida-Organisation zusammen mit den Taliban und anderen Terrornetzwerken zur Strecke bringen würden. George W. Bush sagte in einer Rede am 11. September: „Wir machen keinen Unterschied zwischen den Terroristen, die diese Taten verübt haben und denen, die sie beherbergen.“ Und weiter: „Ihr seid entweder mit uns oder ihr seid mit den Terroristen“. Damit legte die Regierung Bush den Grundstein dafür, einem ganzen Land und seiner Bevölkerung den Krieg zu erklären. Die Taliban hatten zuvor eine Auslieferung Bin Ladens an das Vorlegen von Beweisen seiner Schuld und Verhandlungen geknüpft. Bin Laden wurde 10 Jahre nach Beginn des Krieges in Afghanistan in Pakistan durch eine Navy Seal-Operation am 1. Mai 2011 aufgegriffen und exekutiert.

 

Worum ging es wirklich?

Aus Sicht der US-Außenpolitik sollte der Krieg gegen Afghanistan die nötige Dynamik für weitergehende Ziele erzeugen: Den Krieg gegen Irak und andere Staaten, die US-Präsident Bush damals als „Achse des Bösen“ bezeichnete.

Bereits vor der Wahl Bush arbeiteten Neokonservative Berater eine Strategie aus. Dazu empfahl ein Strategiepapier von 1999 die »Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens«, das sogenannte »Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert«. Geschrieben wurde es unter anderem von Bushs späteren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und dem späteren Vizepräsident Dick Cheney.

Der Plan des Bush-Teams basiert auf einer genauen Einschätzung der langfristigen wirtschaftlichen und geopolitischen Bedrohungen, denen der US-Kapitalismus ausgesetzt ist. Die US-amerikanische militärische Macht sollte erhalten und ausgebaut werden, um die Entstehung von Konkurrenten zu verhindern. Es ging um den Zugang zu Energieressourcen in der geostrategisch wichtigen Region des Nahen und Mittleren Ostens, aber auch ganz generell darum, die Dominanz des US-Kapitalismus weltweit abzusichern und das anglo-amerikanische Modell des Freihandels-Kapitalismus weltweit zu verbreiten.

Zunächst wurde der NATO-Bündnisfall ausgerufen. Afghanistan wurde ab dem 7. Oktober aus der Luft angegriffen.

 

Deutschland zieht in den Krieg

Die militärische Präsenz in einer Region von zentraler geopolitischer Bedeutung und der Umbau der Bundeswehr zur global agierenden Einsatzarmee waren die Triebkräfte für die deutsche Kriegsbeteiligung.

Wer nicht mitkämpft, hat auf der Weltbühne nichts mitzureden. Der damalige Außenminister Joschka Fischer sagte: „Die Entscheidung `Deutschland nimmt nicht teil` würde auch eine Schwächung Europas bedeuten und würde letztendlich bedeuten, dass wir keinen Einfluss auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten. Genau darum wird es in den kommenden Jahren gehen. […] Das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens.“

Gerhard Schröder erklärte bereits am 11. September 2001: „Ich habe dem amerikanischen Präsidenten das tief empfundene Beileid des gesamten deutschen Volkes ausgesprochen. Ich habe ihm auch die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert. (…) Die gestrigen Anschläge in New York und Washington sind nicht nur ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von Amerika; sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt. Diese Art von terroristischer Gewalt, das wahllose Auslöschen unschuldiger Menschenleben stellt die Grundregeln unserer Zivilisation infrage. (…) Wir sind uns in der Bewertung einig, dass diese Terrorakte eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeuten.“

 

Der »Krieg gegen den Terror« produzierte mehr Terrorismus

Auch der Krieg im Irak wurde auf Grundlage von Kriegslügen begonnen: George Bush warnte vor „ernsten Konsequenzen“ für den Irak, weil er Massenvernichtungswaffen besitze. Das war eine vollständige Erfindung von Blair und Bush, die daran arbeiteten, mit gefälschten Beweisen einen Grund für die Invasion des Irak zu schafften.

Ausweitung auf die gesamte Region: Drohnenkriege in Jemen, Somalia, Pakistan, Sudan.

Zudem hat insbesondere die US-Regierung Hunderte Muslime ohne Gerichstverfahren in den Gefängnissen von Abu Ghraib, Guantanamo und anderswo inhaftiert und gefoltert.

Die Folge waren mehr Selbstmordattentate, sowohl gegen nordamerikanische und europäische Einrichtungen als auch gegen Zivilist:innen in Afghanistan, Irak und anderen muslimischen Ländern als je zuvor. Im Jahrzehnt vor 9/11 gab es 151 Selbstmordattentate weltweit. Im Jahrzehnt nach 9/11, waren es laut der Organisation „Action on Armed Violence“ 3155.

 

Das Wiedererstarken der Taliban

Besatzung führt zu Gegenwehr. Im Interview mit der taz sagte Guido Steinberg von der SWP: „2008/09 zählten die Taliban einige Zehntausend, heute sprechen wir von über 100.000 Kämpfern, die an der Offensive teilgenommen haben.“

Im Interview sagt Emran Feroz über die Korruption unter der, dem Westen genehmen Regierung: „In all diesen Regionen sind viele Dinge passiert, die dazu beigetragen haben, dass Menschen zu den Taliban übergelaufen sind. Vor allem die Korruption. 30, 40, 50 Minuten von Kabul entfernt gab es Dörfer ohne Infrastruktur. Die Menschen dort sagen mehr oder weniger das Gleiche, nämlich dass die Regierung in Kabul sie stets ignoriert hat. Dafür hat die Korruption ihren ganzen Alltag penetriert. Es geht um ganz einfache Dinge, zum Beispiel eine Erbstreitigkeit. Der Beamte der Regierung will Geld, nervt und macht seine Arbeit nicht. Dann geht die betreffende Person zum Taliban-Richter, der erledigt das und will nicht mal Geld.“

Die Art der Kriegsführung kommentiert er: „Drohnenangriffe, Razzien, großflächige Bombardements haben sehr oft Zivilist:innen getroffen. Ein bekannter Taliban-Kommandant hat mal gesagt, er brauchte gar nicht viel zu machen, die Amerikaner sorgten für die Rekrutierung.“

Kriegsverbrechen wie das von der Bundeswehr befehligte Kundus-Massaker blieben folgenlos, die Opfer wurden nicht einmal entschädigt.

 

„Feindbild Muslim*innen“: Auftrieb für den antimuslimischen Rassismus

Um die aggressive Außenpolitik im Nahen und Mittleren Osten zu rechtfertigen, wurde der »Islam« von den westlichen Regierungen gezielt zum neuen Feindbild aufgebaut – der Rassismus gegenüber Muslimen in westlichen Ländern erfuhr einen dramatischen Aufschwung.

Schon Anfang der 90er schrieb Samuel P. Huntington in seinem Buch „Clash of Civilization“: „Der ideale Feind für Amerika wäre ideologisch feindlich, rassisch und kulturell anders und militärisch stark genug, um eine glaubwürdige Bedrohung für die amerikanische Sicherheit darzustellen.“ Die Trennungslinie in Europa „hat sich mehrere hundert Meilen nach Osten verschoben. Es ist jetzt die Linie, die die Völker des westlichen Christentums … von den muslimischen und orthodoxen Völkern trennt“.

Muslimische Menschen wurden und werden als Gefahr für ‚innere Sicherheit‘ gebrandmarkt. Damit wird Einschränkung von Grundrechten gerechtfertigt.

Der Sturz des Taliban-Regimes in Afghanistan wurde von den westlichen Staaten nicht mit dem Interesse an afghanischen Ressourcen begründet, sondern mit dem Kampf für Demokratie und Frauenrechte, die angeblich durch den Islam bedroht würden.

Das Feindbild Islam wurde von sozialdemokratischen bis rechten Parteien instrumentalisiert, um von den wahren Ursachen für Kriege abzulenken – und um Sündenböcke für innenpolitische Probleme zu schaffen.

 

Fazit

„Krieg gegen den Terror“ ist noch nicht vorbei: In der Sahel-Zone, aber auch in Afghanistan selbst. Joe Biden kündigte an, weiter Drohnenschläge in Afghanistan durchzuführen. Zivile Opfer sind erwartbar.

Die Herrschende Klasse verspricht „Lehren“ aus Afghanistan. Es handelt sich um eine „Flucht nach vorne“: EU-Militarisierung und Forderung nach Aufbau einer EU-Armee. Statt ‚Nation building‘ zu betreiben, legt man den Fokus auf Anti-Terror-Kampf.

Rufe nach Kampfdrohnen werden laut und werden von der CDU zu einer Koalitionsbedingung gemacht. Die Grünen haben ihr „Nein“ zu Kampfdrohnen im Vorfeld des Wahlkampfs mit einer Mehrheit auf dem Bundesparteitag fallen gelassen.

Friedenspolitik muss auch antirassistisch sein. Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist nicht nur ein Mittel, um die Unterdrückung der größten religiösen Minderheit zu beenden, sondern auch ein wichtiger Schritt, um Kriegspropaganda zu entlarven. Diesen Kampf sollten wir gemeinsam mit den Betroffenen führen und so eine Bewegung schaffen, die sich gegen Rassismus und Krieg stellt.

CDU handelt nach dem Dogma „2015 darf sich nicht wiederholen“: Bis vor kurzem wurde nach Afghanistan abgeschoben. Maas reist nach Pakistan und bietet Entwicklungszusammenarbeit an, sofern Pakistan Zusagen über Aufnahme von Geflüchteten macht. Unter anderem sollen in Pakistan Projekte im Grenzmanagement finanziert werden. LINKE fordert: Offene Grenzen. Aufnahme von allen Menschen, die Afghanistan verlassen wollen.

In der Sahelzone, u.a. in Mali gibt eine ähnliche Dynamik wie in Afghanistan: Gewalt breitet sich aus. Terroristische Organisationen erhalten Zulauf, da sie Einkommen zahlen. In vielen Gebieten stellen dschihadistische Gruppen rudimentäre Leistungen bereit, die der Staat nicht bereitstellt. Die Zahl der Anschläge auf ausländische Militärs nimmt dabei zu – ebenso die Sprengkraft der verwendeten Bomben, Spreng- und Brandsätzen.

Die Konsequenz muss heißen, die Verbrechen des Krieges und die Folgen von 20 Jahren Besatzung für die Mehrheit der Bevölkerung jetzt endlich aufzuarbeiten. Dazu braucht es einen Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Die Bundeswehr muss aus dem Ausland, d.h. auch aus den Einsätzen in Mali zurückgezogen werden. Und die Konsequenz muss heißen, künftig massiv, ernsthafte humanitäre Hilfe zu leisten, um Mangelernährung und eine Hungersnot zu verhindern.