Vor zehn Jahren gingen die Ägypterinnen und Ägypter auf die Straße und forderten „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“. Während sich die Aufmerksamkeit der Welt auf den Tahrir-Platz konzentrierte, trugen ägyptische Linke die Auseinandersetzungen in die Fabriken und an die Arbeitsplätze. Ihre Bemühungen trugen dazu bei, die Streiks zu organisieren, die Hosni Mubarak letztlich zum Rücktritt zwangen. Auch nach dem Sturz Mubaraks setzten sich ägyptische Sozialistinnen und Sozialisten unermüdlich für soziale Gerechtigkeit und Freiheit ein.

Seit Abdelfattah Al-Sisi gewaltsam die Macht übernommen hat sind elementare Freiheitsrechte in Ägypten außer Kraft gesetzt worden. Al-Sisi startete einen sog. „Krieg gegen den Terror“ und inhaftierte mehr als 60.000 politische Gefangene. Unter ihnen befinden sich Islamistinnen und Islamisten, Liberale, Linke, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Medienschaffende sowie Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger. Unabhängige Gewerkschaften und Jugendorganisationen wurden zerschlagen.

Folter ist in ägyptischen Polizeirevieren an der Tagesordnung. Allein Anfang Dezember 2020 wurden in einer Hinrichtungsserie mindestens 57 Menschen getötet. Amnesty International vermutet, dass die Zahl der Hinrichtungen noch höher ist. Die knapp dreiwöchige Verhaftung der Menschenrechtsverteidiger der renommierten Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights, die als eine der wenigen noch in Ägypten aktiv ist, war nur ein neuer Tiefpunkt der Lage in Ägypten.Trotz dieses systematischen repressiven Vorgehens gegen die Zivilgesellschaft hofiert die Bundesregierung das Regime Al-Sisis weiterhin. Der ehemalige ägyptische Botschafter in Berlin erhielt im Oktober 2020 das Bundesverdienstkreuz der Bundesregierung. Ägypten war 2020 Hauptempfängerland deutscher Kriegswaffen-Exporte, allein von Januar bis September umfasste das Exportvolumen 585,9 Millionen Euro. Auch das Sicherheitsabkommen und die polizeiliche Aufbau- und Ausstattungshilfe wurden 2020 weitergeführt – und nur aufgrund der Einschränkungen während der COVID19-Pandemie vorübergehend ausgesetzt.

Wir, die Unterzeichnenden, stehen in Solidarität mit den ägyptischen Sozialistinnen und Sozialisten sowie allen Ägypterinnen und Ägyptern, die Widerstand gegen die Diktatur leisten. Wir fordern einen Stopp der Verkäufe von Waffen und Überwachungstechnologie an das Regime von Al-Sisi und eine dauerhafte Aussetzung der deutsch-ägyptischen Sicherheitskooperation.

Wir fordern die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen. Mit diesem Aufruf weisen wir exemplarisch auf das Schicksal von sechs der 60.000 politischen Gefangenen hin. Sie sind Sozialistinnen und Sozialisten, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen aktiv waren:

Ayman Abdel-Moati, 50 Jahre

Aktivist, Schriftsteller, Poet, Verleger, Blogger und Arbeitsforscher. Er wurde am 18. Oktober 2018 an seinem Arbeitsplatz verhaftet und beschuldigt, „mit einer terroristischen Gruppe zu konspirieren, um deren Ziele zu erreichen, und falsche Nachrichten und Aussagen zu verbreiten.“ Diese Anschuldigungen gehören zu einem Standardrepertoire an erfundenen Anklagen, die das ägyptische Regime gegen Dissidenten erhebt.

Hisham Fouad, 52 Jahre

Der Arbeiterjournalist war eine Schlüsselfigur in der Bewegung gegen den Krieg gegen den Irak sowie in der Solidarität mit streikenden Arbeitern und unabhängigen Gewerkschaften. Er wurde am 25. Juni 2020 verhaftet und wegen „wirtschaftlicher Verschwörung zur Finanzierung einer Terrororganisation“ angeklagt.

Haytham Mohammadein, 38 Jahre

Der Arbeitsrechtler setzt sich seit Jahren für unabhängige Gewerkschaftler ein. Er befindet sich seit dem 12. Mai 2019 wegen erfundener Anklagen in Untersuchungshaft. Diese umfassen die „Verbreitung von Fake News“ und „Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation“.

Khalil Rizk, 42 Jahre

Angestellter im öffentlichen Nahverkehr, insbesondere engagiert in der gewerkschaftlichen Organisierung. Er wurde am 17. November 2019 in seinem Viertel in Kairo verhaftet und wurde der „Beteiligung an einer Terrorgruppe, der Verbreitung von Fake News und des Missbrauchs sozialer Medien“ beschuldigt.

Mahienour El-Massry, 34

El-Massry ist eine Menschenrechtsanwältin aus Alexandria. Sie wurde mehrmals unter erfundenen Anschuldigungen – unter anderem „Verbreitung von Fake News“ und „Mitgliedschaft in einer illegalen Terrororganisation“ – verhaftet, zuletzt am 22. September 2019. 

Patrick George Zaki, 28

Der Gender-Forscher bei der Egyptian Initiative for Personal Rights wurde am 7. Februar 2020 am Kairoer Flughafen während seiner Ankunft aus Italien, wo er studierte, festgenommen. Patrick wurde mit Elektroschocks gefoltert und befindet sich weiterhin in Untersuchungshaft wegen erfundener Anschuldigungen wie „Missbrauch sozialer Medien“ und „Verbreitung von Fake News.“ 

Unterzeichnerinnen und –unterzeichner

  • Michel Brandt, MdB Die LINKE, Mitglied im Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
  • Christine Buchholz, MdB Die LINKE, Mitglied im Verteidigungsausschusses
  • Özlem Alev Demirel, MdEP Die LINKE, Vize-Präsidentin des Ausschusses für Sicherheit und Verteidigung
  • Cornelia Ernst, MdEP Die LINKE, Mitglied im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres
  • Andrej Hunko, MdB Die LINKE, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
  • Zaklin Nastic, MdB Die LINKE, Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
  • Tobias Pflüger, MdB Die LINKE, Mitglied im Verteidigungsausschuss
  • Martin Schirdewan, MdEP Die LINKE, Ko-Fraktionsvorsitzender der Linken (THE LEFT GUE/NGL) im Europäischen Parlament