2017 gab es einen Meldeboom von Eingaben an den Wehrbeauftragten. Soldaten beschwerten sich über rechtsextreme Vorfälle, brutale Ausbildungsmethoden oder sexuelle Übergriffe. Der Fall des Soldaten Cramer* zeigt, wie bedenkenlos der militärische Geheimdienst MAD den Ruf und die Gesundheit von Menschen ruiniert. Dabei geht es um mehr als Einzelfälle. Es ist das System Bundeswehr, das keine Rücksicht auf den Einzelnen nimmt.


Rede im Bundestag zum Jahresbericht 2017 des Wehrbeauftragten des deutschen Bundestages

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Sehr geehrter Wehrbeauftragter!
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten!
Ich begrüße auch ganz herzlich die Gäste auf der Tribüne. Ganz besonders begrüße ich den ehemaligen Soldaten Obermaat Fabian Cramer.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir beraten hier das erste Mal seit der letzten Bundestagswahl die Berichte des Wehrbeauftragten. Seine Aufgabe ist es – so die Website des Bundestages -, als Anwalt der Soldaten zu dienen.
Leider mussten wir feststellen, dass Herr Bartels in der Öffentlichkeit vor allem als Anwalt einer schnelleren Aufrüstung auftritt.

(Tobias Pflüger (DIE LINKE): So ist es!)

In seinem Bericht fordert er mehr Anstrengungen bei der Erhöhung des Militärhaushalts und bei den Rüstungsinvestitionen.

(Florian Hahn (CDU/CSU): Guter Mann!)

Herr Bartels, so nutzen Sie Ihren Jahresbericht, um für die Aufrüstungsagenda von Ministerin von der Leyen zu werben.
Und deswegen wird unsere Fraktion der Entschließung zum Bericht des Wehrbeauftragten nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens (CDU/CSU): So eine Überraschung! – Alexander Graf Lambsdorff (FDP): So eine Überraschung! Das haut uns echt um!)

Die Große Koalition setzt auf immer mehr Auslandseinsätze. Das führt zu immer mehr Aufrüstung, hinterlässt seine Spuren aber auch in der Bundeswehr. Das bekommen dann oft die Soldatinnen und Soldaten zu spüren.
Das verdeutlichen einige wirklich bemerkenswerte Fakten aus dem Bericht. Ich gebe Ihnen zwei Beispiele: 2017 stieg die Zahl der Selbsttötungen von Soldatinnen und Soldaten, ebenso wie die Zahl der Suizidversuche.
Mehr Soldaten wurden wegen einer einsatzbedingten psychischen Erkrankung in einer Einrichtung der Bundeswehr behandelt. Doch es gibt zu wenige Möglichkeiten, Wehrdienstbeschädigte zu behandeln. Und zu oft werden Soldatinnen und Soldaten noch nicht einmal ausreichend auf die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten hingewiesen.

Ein weiteres großes Problem in der Bundeswehr ist die Rücksichtslosigkeit, mit der Soldatinnen und Soldaten immer wieder behandelt werden.
2017 gab es einen Meldeboom bei auf dem Dienstweg angezeigten Vorfällen. Dabei ging es um rechtsextremistische Verdachtsfälle, um sexuelle Übergriffe und um brutale Ausbildungsmethoden. Allein infolge eines Gewaltmarsches bei Munster brachen sechs Soldaten zusammen, einer von ihnen starb. Ein halbes Jahr nach Munster bricht bei einem Gewaltmarsch in Pfullendorf erneut ein Soldat bewusstlos zusammen.
Wir sagen ganz deutlich: Das sind keine Einzelfälle. Es ist das System Bundeswehr, das keine Rücksicht auf den einzelnen Menschen nimmt.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Das ist unglaublich!)

Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel.
Hier im Bundestag sitzt heute Obermaat Fabian Cramer. Herr Cramer hat mir seine Geschichte erzählt, und was er erzählt hat, macht einen sprachlos.
Er hat sich ab 2010 bei der Bundeswehr für 15 Jahre verpflichtet.
Zwei Jahre später bekam er aus heiterem Himmel Besuch von zwei Mitarbeitern des Militärischen Abschirmdienstes. Diese verhörten ihn auf seiner Dienststelle über viele Stunden, ohne dass Herr Cramer erfahren hätte, warum.
Kein Wort dazu, dass gegen ihn ermittelt wurde!
Seine Dienstvorgesetzten hingegen wurden vor dem Gespräch informiert und mit falschen Tatsachenbehauptungen konfrontiert.
Ihnen wurde erzählt, Soldat Cramer sei in islamischer Kleidung in einer Moschee gewesen, sein Auto sei vor einem – Zitat – „Islamistentreff“ gesehen worden und seine Handydaten wiesen Verbindungen nach Nordafrika auf.
Das alles beruhe auf – Zitat – „einer bestätigten Information“.
Tatsächlich waren die Vorwürfe völlig haltlos. Aber die Ermittlungen gingen über Monate weiter. Kameraden wandten sich von Herrn Cramer ab und beäugten ihn misstrauisch.
Ein halbes Jahr nach dem Verhör wurde Herr Cramer lapidar informiert, es habe sich um eine – Zitat – „Verwechslung“ gehandelt. Da waren die Ermittlungen bereits mehr als drei Monate eingestellt worden.
Für Fabian Cramer war das deutlich zu spät. Er erkrankte psychisch und ist heute dienstunfähig. Das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm bestätigte, dass es – Zitat – „sehr wahrscheinlich“ ist, dass Verhör und Ermittlung durch den MAD es waren, die die Erkrankung ausgelöst haben.

Es ist das Mindeste, was man erwarten könnte, dass die Bundeswehr dafür geradesteht!

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Doch der Antrag von Herrn Cramer auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung wurde abgewiesen.

Meine Damen und Herren, dieser Fall muss aufgeklärt werden, und der Betroffene muss angemessen entschädigt werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In seiner Not hat sich Herr Cramer übrigens auch an den damaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus gewandt. Er hat Herrn Cramer leider ebenfalls alleingelassen.
In einem Schreiben heißt es, er könne – Zitat – „in dem Verhalten der Mitarbeiter des MAD und der Vorgesetzten keine Verletzung seiner Grundrechte als Soldat oder der Grundsätze der Inneren Führung sehen.“

(Kerstin Kassner (DIE LINKE): Unglaublich!)

Ich würde mich freuen, wenn sich Herr Bartels dieses Falles annähme.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn er zeigt ein grundsätzliches Problem: Wenn es hart auf hart kommt, ist ein Soldat oder eine Soldatin in der Bundeswehr allein auf sich gestellt.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP): Sie helfen bestimmt nicht!)

Für DIE LINKE ist es selbstverständlich: Menschenrechte und rechtsstaatliche Prinzipien haben auch in der Bundeswehr Anwendung zu finden.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus aktuellem Anlass noch eine kurze Anmerkung.
Wenn der Komplize des rechtsextremen und mutmaßlichen Terrorverdächtigen Franco A. im Büro des AfD-Abgeordneten Jan Nolte arbeitet;
und wenn derselbe Komplize, der übrigens im Vorfeld rechtsextrem auffällig geworden ist, immer noch bei der Bundeswehr beschäftigt ist;
und wenn dieses Beschäftigungsverhältnis von der Bundeswehr, wie ich heute in der Presse lesen konnte, auch genehmigt worden ist, dann ist eines klar:

Der Kampf gegen die extreme Rechte ist aktueller denn je –
in der Bundeswehr, im Bundestag und in der Gesellschaft überhaupt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

  • Name anonymisiert