Christine Buchholz und Cornelia Möhring*
Die sogenannte „Kopftuchdebatte“ flammt in regelmäßigen Abständen auf. Jüngst durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht vom März 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot nicht mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit zu vereinbaren ist. Damit revidiert es ein Urteil von 2003, das gesetzliche Grundlagen auf Landesebene für ein Kopftuchverbot forderte. Infolge dessen erließen acht Bundesländer Kopftuchverbote für Lehrerinnen, teilweise auch für den Öffentlichen Dienst.
Allerdings besteht auch mit dem neuen Urteil für Eltern, Schüler_innenschaft und Kollegium weiter die Möglichkeit gegen kopftuchtragende Lehrerinnen vorzugehen. Die Formulierung des Bundesverfassungsgericht, die ein Kopftuchverbot ermöglicht, soweit eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden bestehe, ist ein Einfallstor für antimuslimische Hetze, das nicht nur in Zeiten von PEGIDA eine Gefahr darstellt. Problematisch ist hier, dass das Gericht überhaupt davon ausgeht, dass ein Stück Stoff den Schulfrieden gefährden könne. Jurist_innen rechnen mit zahlreichen Folgeprozessen. Zu erwarten ist eine gezielte Instrumentalisierung scheinbar emanzipativer Argumente, die die eigentlich rassistische Motivation verschleiern sollen.
Wir sehen daher die Notwendigkeit als LINKE in der Debatte grundsätzlich Position zu beziehen – für das Recht, Kopftuch zu tragen, überall.
Denn DIE LINKE ist eine politische, keine Weltanschauungspartei. Sie steht für eine Gleichstellungspolitik, die Frauen den Zugang zu gesellschaftlichen Entscheidungen ermöglicht, ohne ihnen Lebensformen aufzudrängen, die sie mit Verzicht auf persönliche Entfaltungsmöglichkeiten bezahlen. Denn genau dem entspräche ein Verbot von Kopftüchern ebenso wie der Zwang dazu.
Dies hebt die Instrumentalisierung des Kopftuchs in der Debatte noch einmal hervor. Wie die Historikerin Yasemin Shooman anhand von u. a. Thilo Sarrazin, Umfragen und rechtspopulistischen Kreisen zeigt, „dient der Verweis auf einen vermeintlich genuin muslimischen Sexismus häufig der Externalisierung und Verschleierung des eigenen Sexismus und gleichzeitig der Legitimation rassistischer Argumentationsweisen“[1]. Aktuell ist dies unter anderem in der AfD sichtbar, wo antimuslimischer Rassismus – begründet mit Frauenrechten – und ein reaktionäres Frauenbild, das Frauen auf ‚völkische‘ Gebärmaschine reduziert und das Recht auf Abtreibung angreift, Hand in Hand gehen.[2] Es ist unsere Aufgabe, diesem Rassismus zu enthüllen und ihm entschlossen entgegenzutreten.
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Motivationen, ein Kopftuch zu tragen: es gibt kulturelle, ästhetische und traditionell religiöse Gründe, es mag eine selbstbewusste Reaktion auf den hier erfahrenen Rassismus sein, ein Symbol der Zugehörigkeit und vieles mehr. Damit ist es Teil eben jener Entfaltungsmöglichkeiten. Frauen besitzen das Recht und die Fähigkeit ihre persönliche Entscheidung zu treffen. Diesen Frauen, wird durch ein Verbot, die gesellschaftliche Teilhabe grundlos erschwert. Denn ihnen wird die freie Berufswahl und relativ sichere Einkommen im Öffentlichen Dienst verwehrt. Damit wird ein Aufstieg aus schlecht bezahlten, prekären Arbeiten unmöglich. Auch in der Privatwirtschaft wurde das Urteil als Vorwand verwendet, kopftuchtragende Muslimas nicht einzustellen.
Noch mehr jedoch trifft es gerade diese Minderheit von muslimischen Frauen, die das Kopftuch aus Zwang tragen und in deren scheinbaren Namen sich viele für ein Verbot aussprechen. Indem ihnen der Weg zu einer beruflichen Existenz und damit einer materiellen Grundlage erschwert wird, bleiben sie auf den Ehemann, die Familie oder das Jobcenter verwiesen.
Ehrhart Körting, ehemaliger Innensenator, äußerte inzwischen deutlich seine Zweifel an dem von ihm mitverfassten Gesetz: „Ich habe bei meinen Moscheebesuchen mit vielen jungen Frauen diskutiert, die überzeugend erklärt haben, dass sie das Kopftuch nicht tragen, weil sie dazu gezwungen werden. Sondern weil es zu ihrer religiösen Identität gehört. Und sie empfinden es als eine Diskriminierung, wenn sie mit dieser Identität bestimmte Berufe gar nicht mehr ergreifen können. Man muss sehen, dass insbesondere pädagogische Berufe eine der ganz wichtigen Aufstiegschancen für Musliminnen darstellen.“[3] Dass es nicht nur um empfundene Diskriminierung geht, machte er an anderer Stelle deutlich/In einem anderen Interview wird er noch deutlicher: „Ich frage mich deshalb, ob das Gesetz nicht das Gegenteil von dem bewirkt, was wir uns erhofft hatten. Dass es nämlich nicht die Emanzipation von muslimischen Mädchen und Frauen fördert, sondern eher behindert.“ [4]
Auch die Trennung von Staat und Kirche wird durch das Kopftuch nicht angegriffen: Individuen und Institutionen können hier nicht über einen Kamm geschert werden. Während der Staat und seine Institutionen einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichtet sind und daher das Kreuz von der Klassenwand und die Kirchensteuer vom Gehaltszettel verschwinden sollten, kann dies für Individuen nicht gelten. Statt also durch die Diskriminierung von Kopftuchträgerinnen der grassierenden Islamfeindlichkeit in Deutschland Vorschub zu leisten, sollten Kinder und Jugendliche frühzeitig lernen, Vielfalt anzuerkennen und wertzuschätzen.
Die Fraktion DIE LINKE. setzt sich dafür ein, dass eine stärkere Anerkennung von Vielfalt und eine größere Gerechtigkeit und Gleichheit für alle Bestandteil des gemeinsamen gesellschaftlichen Diskurses werden. Dazu gehört, Bevormundungen zu vermeiden, indem wir mit den Betroffenen sprechen – und zwar in ihrer Vielzahl –anstatt nur über sie.
* Die Autorinnen sind Mitglieder des Bundestages. Christine Buchholz ist Sprecherin für Religionspolitik der Linksfraktion, Cornelia Möhring ist frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion