Es ist Zeit, Farbe zu bekennen: für einen säkularen Staat, für persönliche Religionsfreiheit und gegen Rassismus. Ein Kommentar zum Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.
Das Bundesverfassungsgericht hat im März das Kopftuchverbot an Schulen relativiert. Mit Bezug auf das Grundrecht auf Religionsfreiheit darf Lehrerinnen nicht mehr pauschal verboten werden, an Schulen das Kopftuch zu tragen.
Das ist erst einmal zu begrüßen und ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings besteht für Eltern, Schülerschaft und Kollegium weiter die Möglichkeit, gegen Kopftuch tragende Lehrerinnen vorzugehen, wenn diese »den Schulfrieden stören«.
Diese Einschränkung ist falsch und kann als Einladung zur Mobilisierung gegen Lehrerinnen verstanden werden, die das Kopftuch tragen. Diese Gefahr besteht, da antimuslimischer Rassismus weit verbreitet ist und Islamhasser die Rechte von Muslimen einschränken wollen. So richtig es ist, dass in einem säkularen Staat die Institutionen neutral sind, so sehr gilt die persönliche Religionsfreiheit für alle.
Im Jahr 2003 hatte das Verfassungsgericht eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage auf Landesebene für ein Kopftuchverbot gefordert. Infolge dessen erließen acht Bundesländer Kopftuchverbote für Lehrerinnen, teilweise, etwa in Hessen, auch für Beamtinnen im öffentlichen Dienst. In Berlin verabschiedete der damalige rot-rote Senat im Jahr 2005 ein »Neutralitätsgesetz«, wonach sichtbare religiöse Symbole und religiös geprägte Kleidungstücke in weiten Teilen des öffentlichen Dienstes verboten sind.
Die Wirtschaft missbraucht das Kopftuch-Urteil
In der Praxis diskriminieren diese Gesetze muslimische Frauen. Und sie wirken nicht nur an Schulen und im öffentlichen Dienst, sondern auch in der Privatwirtschaft. Ehrhart Körting, ehemaliger Berliner Innensenator, der das Neutralitätsgesetz mitveranlasste, zieht selbstkritisch Bilanz. Das Gesetz »wurde von der Wirtschaft missbraucht«, schreibt der Sozialdemokrat, »obwohl es sich allein auf Staatsdiener bezieht: Supermärkte haben sich geweigert, Kassiererinnen mit Kopftuch einzustellen. Das Tragen des Kopftuchs wurde ihnen mit Hinweis auf das Kopftuchurteil und das Neutralitätsgesetz verwehrt. Auch in vielen anderen Bereichen wurde Musliminnen mit Kopftuch der Zugang erschwert. Ich frage mich deshalb, ob das Gesetz nicht das Gegenteil von dem bewirkt, was wir uns erhofft hatten. Dass es nämlich nicht die Emanzipation von muslimischen Mädchen und Frauen fördert, sondern eher behindert.«
Die Neutralität der Institutionen in einem säkularen Staat muss verteidigt werden. Ich bin gegen Kruzifixe und andere religiöse Symbole in Klassenzimmern und öffentlichen Gebäuden. Aber ich verteidige eben auch das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit in diesem säkularen Staat. Mir ist egal, ob meine Kinder von einem Katholiken in Deutsch, einer Muslima in Mathematik, einer Jüdin in Erdkunde oder einem Atheisten in Kunst unterrichtet werden. Für mich ist die Qualität des Unterrichts entscheidend.
Bisher haben sich die meisten Linken eher zurückgehalten, wenn es um die Aufhebung des Kopftuchverbots ging, manche haben sogar offensiv für das Verbot geworben. Ich habe das immer falsch gefunden. Angesichts von Pegida und weit verbreitetem antimuslimischen Rassismus ist es Zeit, Farbe zu bekennen: für einen säkularen Staat, für persönliche Religionsfreiheit und gegen Rassismus.
Wenn auf Länderebene die Diskussion beginnt, wie das Urteil umgesetzt wird, sind Linke gefordert, Stellung zu beziehen für das Recht von muslimischen Frauen, das Kopftuch zu tragen. Überall.
Dieser Kommentar ist in marx21, Nr. 2/2015 erschienen.