Folgenden Vortrag habe ich im Rahmen der Reihe: „Deutsche Verteidigungspolitik in neuer Verantwortung – Die Fraktionssprecher positionieren sich“ bei der ‚Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik‘ gehalten:
Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer,
ich freue mich, heute vor der DGAP sprechen zu können und aus linker Sicht einen Standpunkt zu entwickeln.
Dabei ist es mir wichtig mich nicht in tagespolitischen Details zu verlieren, sondern eine historische Perspektive zu entwickeln und Positionen zuzuspitzen.
1. Die Fokussierung auf ‚neue Bedrohungslagen’ verdeckt den zentralen Fakt, dass Kapitalismus und Krieg untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Welt gerät aus den Fugen. Die Anzahl der militärisch ausgetragenen Konflikte ist im Laufe der letzten drei Jahre deutlich angestiegen.
Es ist allerdings eine irreführende Vereinfachung, diese Problemlage als eine bloße Vervielfachung externer „Bedrohungen“ zu beschreiben, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richteten, und gegen die Deutschland im Verbund mit anderen Groß- und Mittelmächten „ordnend“, das heißt militärisch, einzugreifen hätte.
Denn: In einer Welt der allseitigen Konkurrenz wird die Verteidigung der Interessen der einen als Bedrohung der Interessen der anderen wahrgenommen. Wir sind gerade Zeuge eines solchen Prozesses.
Vor dem Hintergrund der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine wird im Weißbuch der Bundeswehr 2016 Russland vor allem als Begründung für die eigene Aufrüstung dienen.
In der neuen Militärdoktrin Russlands, die Putin im Dezember 2014 unterzeichnet hat, werden demgegenüber der „Ausbau des Kräftepotenzials“ des atlantischen Bündnisses, die „Dislozierung militärischer Kontingente ausländischer Staaten“ in den Nachbarstaaten Russlands und „das Heranrücken militärischer Infrastruktur der NATO“ als Bedrohungen verstanden.
Diese gegenseitig empfundene und reale Bedrohung ist nicht das Ergebnis von Missverständnissen oder der Politik der einen oder anderen Seite. Sie ist Ausdruck zugrunde liegender Interessenkonflikte.
Frau von der Leyen hat in diesem Sinne vorgestern auf der Weißbuchkonferenz die neue Marschroute begründet. Sie sagte – ich zitiere: „Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ“.
Frau von der Leyen fordert in diesem Zusammenhang auch den Tabubruch bei der Wahl der Mittel: Das heißt nichts anderes, als dass zur Durchsetzung der eigenen Interessen potenziell alle Mittel in Frage kommen, darunter eben auch militärische, und das ohne vorab auferlegte Beschränkungen bei der Definierung des möglichen Einsatzgebietes.
Die einzige Grenze ergibt sich aus der Begrenztheit der zur Verfügung stehenden Mittel, sowie der jeweiligen Abwägung von Kosten, Nutzen und Risiken. Klar ist: Je mehr Mittel zur Verfügung stehen, desto wirksamer werden Interessen durchgesetzt. Dies gilt allerdings nicht nur für einen Staat, sondern für alle Staaten.
Die Folge: uns droht ein neuer internationaler Rüstungswettlauf. Schon planen im Schatten der internationalen Aufmerksamkeit sowohl die USA, als auch Russland, die Modernisierung und Erweiterung ihrer strategisch-nuklearen Fähigkeiten.
Ministerin von der Leyen sagt: ‚Natürlich nutzen wir alle Hebel und beziehen auch Diplomatie und Entwicklungspolitik mit ein‘. Auch das ist nichts Neues.
Nach Clausewitz ist der Krieg nichts als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Das heißt im Umkehrschluss: die Politik kann auch die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein.
Auf der diplomatischen Bühne hängt in der Logik der Interessenspolitik die Durchsetzung der eigenen Interessen davon ab, wie glaubwürdig mit Machtmitteln gedroht werden kann. Militärische Macht ist dabei ein Instrument. Es kann sich auch um finanzielle und wirtschaftliche Machtmittel handeln – dies sehen wir gerade in der Auseinandersetzung der EU mit der griechischen Regierung.
2. Die Entstehung der modernen Staatenwelt geht parallel zur Entwicklung des industriellen Kapitalismus. Die Politik unterscheidet sich nicht fundamental von den Mustern, wie sie die Welt Ende des 19. Jahrhunderts geprägt hat.
Es geht hier heute um die Frage, wo Deutschland momentan in dieser Welt steht. Ist Deutschland eine Mittelmacht? Oder eine mittlere Großmacht, wie am Robin Niblett von Chatham House auf der Weißbuch-Konferenz formulierte?
Darüber kann man trefflich diskutieren. Entscheidend ist, dass im Kontext der aktuellen Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Bundeswehr sehr viel offensiver die deutschen Interessen definiert werden. Robin Niblett hat das auf den Punkt gebracht: Deutschland befindet sich unter den TOP Ten was die Rüstungsausgaben betrifft, ist viertgrößte Weltwirtschaft und bei den Exporten ganz weit vorne. Bei der aktuellen Diskussion geht es darum, den Abstand zwischen wirtschaftlicher Macht und militärischen Potential zu schließen.
Zur  historische Einbettung der aktuellen Lage:
Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich ein internationales Staatensystem entwickelt, in dem einige wenige Großmächte die Welt in unterschiedliche Einflusssphären und Kolonialreiche aufgeteilt haben.
1. Ein wichtiges Merkmal der Welt ab etwa 1875 war seine wirtschaftliche und politische Multipolarität
2. Die Konkurrenz zwischen den Großmächten führte zu einem internationalen Wettlauf um Kolonien und Einflusssphären. Sie führte auch zu einem Rüstungswettlauf.
3. In diesem Rüstungswettlauf entschied die Entwicklung der industriellen Basis der verschiedenen Großmächte. Wirtschaft und Politik, Staat und Kapital sind in einem hohen Maße miteinander verschmolzen
Dieses System rivalisierender Nationalstaaten besteht immer noch. Aber seit es entstanden ist, hat es gewissermaßen Mutationen durchlaufen – als Ergebnis unterschiedlicher industrieller Entwicklungstempi, aber auch des zerstörerischen Kräftemessens in den großen Kriegen.
So trat nach dem zweiten Weltkrieg an die Stelle eines politisch multipolaren Systems ein politisch bipolares System. Der Konflikt zwischen den Supermächten und ihren Bündnissystemen prägte und überlagerte alle anderen.
Die beiden Supermächte befanden sich in einer militärischen Konkurrenz, auch wenn der ganz große Krieg „kalt“ blieb.
Dafür war die Phase zwischen 1950 und 1989 von einem Rüstungswettlauf um strategische Waffensysteme gekennzeichnet. Es kam zu Rüstungsausgaben in USA und Sowjetunion, die man zuvor eher in Zeiten des Krieges als in Zeiten des Friedens kannte.
Das brachte die Mächte nicht nur in den Weltraum, sondern auch die Menschheit an den Rand der nuklearen Auslöschung. Auch dieser „Kalte Krieg“ wurde durch die industrielle Basis entschieden: der Westen war im Vorteil, der russisch dominierte Warschauer Pakt wurde in der Konkurrenz „totgerüstet“.
Aus Sicht der Kontrahenten im Kalten Krieg verhielten sich beide Seiten rationell. Aus Sicht der Menschheit war das Gesamtsystem im höchsten Maße irrational. Das Überleben aller hing an einem seidenen Faden und war zu bestimmten Zeitpunkten mehr eine Frage des Zufalls als von wohlüberlegten Entscheidungen in Moskau und Washington.
3. Die Welt nach 1989: Eine neue Phase von Konflikten
Der Riss der Blöcke, die sich zwischen 1949 und 1989 symmetrisch in industriell-militärischer Konkurrenz gegenüberstanden, verlief quer durch Deutschland.
Die DDR war vollständig von Moskau abhängig. Die Bundesrepublik blieb, in den Worten von Franz-Josef Strauß, ein politischer Zwerg, entwickelte sich aber zu einem wirtschaftlichen Riesen.
Entsprechend der geostrategischen Lage waren die Armeen aufgestellt:
Die Ereignisse von 1989/90 haben die Bevölkerung aus dem Alptraum eines Kriegsszenarios zwischen NATO und Warschauer Pakt in Europa erlöst. Sie haben uns nicht von den Kriegen und Kriegsgefahr an sich erlöst.
Die Welt ist seit 1990 wieder zu einem multipolaren System geworden wie vor 1945, allerdings mit Unterschieden. Die USA kamen aus dem kalten Krieg als alles dominierende Macht, sahen sich jedoch nicht nur mit dem Aufstieg Chinas konfrontiert, sondern auch mit einer großen Zahl von Regionalmächten, die keineswegs nach der Pfeife der Großmacht zu tanzen gedachten.
Exemplarisch möchte ich die Situation im Irak herausgreifen. Eine Folge waren die US-geführten Kriege gegen die Regionalmacht Irak: 1991 an der Spitze einer riesigen internationalen Koalition, ein Ausdruck des Sieges im kalten Krieg; 2003 an der Spitze einer Koalition der Willigen; schließlich seit dem letzten September an der Spitze einer Luftkriegskoalition, die unklar definiert und eine Mischung von Nationen mit sehr ungleichen Beiträgen darstellt, während am Boden im Irak die Regionalmacht Iran den größten Einfluss hat.
Alle diese Kriege wurden, wie eh und je, mit humanitären Beweggründen gerechtfertigt. Machtpolitisch stellten sie jeweils den Versuch der Korrektur der vorangegangenen Kriege dar: 1991 sollte unter George Bush Sr. der durch den Sieg über Iran gewachsene Einfluss Saddams zurecht gestutzt werden.
2003 wollte George Bush Jr. den nicht erledigten Job seines Vaters zu Ende bringen, um darauf aufbauend die militärische Stärke in wirtschaftliche Vorteile umzumünzen. Die sogenannten Neokonservativen hofften, „ein neues amerikanischen Jahrhundert“ zu etablieren. Die Folge war eine Kette von Kriegen und Kriegsdrohungen.
Das Vorhaben hinterließ einen immensen Schuldenberg und scheiterte dennoch. Im Irak konnte stattdessen Teheran nach dem Abzug der Amerikaner 2011 die Dominanz gewinnen. Auf Kosten der Sunniten wurde ein schiitisches Regime etabliert, das die Sunniten ausgrenzte. Im Irak tobt heute ein Krieg zwischen einer radikalsunnitischen Miliz, die in ihren Reihen wichtige Teile Saddams Armee integriert hat, unter dem Namen IS auf der einen Seite, und irakische Streitkräfte, Peschmerga und radikalschiitischen Milizen auf der anderen Seite. Letztere [Gruppen, die unter den Namen Badr-Miliz, Kataib Hisbollah und Asaib Ahl al-Haqq firmieren,] sind in ihren Methoden grundsätzlich nicht weniger grausam als der IS.
Die Linke lehnt selbstverständlich eine Beteiligung an diesem Krieg ab, weil es die Beteiligung an der Seite von Kräften bedeutet, die mit verantwortlich für die Entstehung des Terrors sind.
Wir lehnen die Beteiligung auch ab, da der Luftkrieg der USA unter dem Strich politisch den IS nur neue Kämpfer zutreibt.
Geopolitisch ist es ein Krieg um die Rückgewinnung von Einfluss auf ein Gebiet, in dem die USA Boden an den Iran verloren haben.
Selbst wenn er nach Jahren am Ende gewonnen werden sollte, was keineswegs sicher ist, dann ist nicht nur das Schicksal der sunnitischen Zivilbevölkerung offen. Aus dem Krieg wird der nächste Konflikt um Territorien erwachsen.
4. „neue Verantwortung“ als Kampfbegriff
Die Haltung der vergangenen Bundesregierungen in diesen drei Kriegen im Irak unterschied sich in auffälliger Weise.
Sie haben immer Interessenspolitik gemacht und damit auch „Verantwortung“ übernommen. In dem Rahmen, den sie zu dem Zeitpunkt ausfüllen konnten.
1991 wollte die Kohl-Regierung dabei sein, konnte sich aber militärisch nicht beteiligen. Also zückte sie das Scheckbuch und beteiligte sich finanziell. Doch es zeigte sich: mitreden über die Nachkriegsordnung können nur die, die militärisch siegen.
2002 stand Gerhard Schröder im Wahlkampf mit dem Rücken zur Wand. Er verweigerte der US-Regierung im Irak die offene Unterstützung, aber er unterstützte den Krieg indirekt unter anderem mit der Gewährung von  Überflugrechten.
2014 nun drängelt sich die Bundesregierung in den Konflikt hinein: erst mit Waffenlieferungen, dann mit Ausbildern. Es kann aber auch noch ein Kampfauftrag kommen – nach den Äußerungen von Frau von der Leyen diese Woche sehe ich das jedenfalls für die Zukunft nicht als kategorisch ausgeschlossen.
Der Bundeswehreinsatz im Irak findet wie alle weiteren Auslandseinsätze gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung statt.
Daher wird eine „Verantwortung“ ins Feld geführt, die eine Funktion hat: sie soll die bewusste Entscheidung für eine bestimmte Politik als einen Sachzwang darstellen.
Die unterschiedlichen Haltungen der Bundesregierungen in den drei Irak-Kriegen zeigen bereits: es gibt weder einen Sachzwang, noch eine „Verpflichtung“ gegenüber anderen Mächten, in außenpolitischen Entscheidungen.
Worum es geht, sind die „Interessen“ Deutschlands als Wirtschaftsmacht, und eine der führenden Exportmächte – auch auf dem Feld der Rüstungsindustrie.
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1990 geeint und politisch gestärkt auf die Weltbühne zurückgekehrt. Seitdem versuchen außenpolitische Entscheidungsträger diese Rolle militärisch zu untermauern. Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe hatte 1992 den Anspruch formuliert, Deutschland möge von Komplexen befreit „wie andere auch“ agieren. „Wie andere auch“ hieß: wie Großbritannien, wie Frankreich. Das war zwischen 1949 und 1989 undenkbar.
Um die Ablehnung von Auslandseinsätzen in der Bevölkerung zu umgehen, müsse man bei der Ausweitung des Einsatzgebietes und der Einsatzformen „Schritt für Schritt“ vorgehen.
So kam es auch: erst wurden Polizisten nach Kambodscha, dann deutsche Soldaten zum Brunnenbohren nach Somalia geschickt.
Die Sozialdemokratie gab ihren anfänglichen Widerstand gegen diesen Kurs auf. 1999 war es rot-grün, die die Bundeswehr am NATO-Krieg gegen Jugoslawien beteiligten. 2001 schließlich Afghanistan: dies war der Beginn des ersten asymmetrischen Kriegs, an dem sich die Bundeswehr beteiligte, mit den ersten echten Kampfoperationen am Boden.
Der Afghanistankrieg hat die Bundeswehr verändert und stand Pate für die Veränderung sowohl in der Ausrüstung, als auch im Aufbau.
Zu nennen, als sichtbarste Veränderungen: die Reduzierung des Panzerbestandes,  allgemeine Modernisierung der Kriegstechnik anhand der Erfordernisse im Einsatz
„Neue Verantwortung“ ist ein Kampfbegriff, um die eingeschlagene Entwicklung einen nächsten Schritt voranzutreiben.
5. Nato-Osterweiterung trifft auf wiedererstarktes Russland
Gleichzeitig war eine andere Entwicklung zu beobachten. Russland war in den 90er Jahren wirtschaftlich im freien Fall. Auch politisch und militärisch verlor es an Boden.
In der Situation orientierte sich die deutsche Wirtschaft gen Osten und gewann auch in Russland an Boden. Die USA hingegen haben verhältnismäßig wenig wirtschaftliche Positionen in Russland etablieren können.
Die Lage Moskaus ist heute offensichtlich völlig verändert. Frau von der Leyen sagte vorgestern: die „neue Politik des Kreml hat schon lange vor Ukrainekrise begonnen“. Das stimmt. Wirtschaftlich konnte sich das Land in den 2000er Jahren mit den steigenden Rohstoffpreisen erholen. Unter Putin konnten die divergierenden Interessen einiger Oligarchen unter das gemeinsame Dach einer autoritären Führung gebündelt werden.
Die Folge: Während der westliche Imperialismus im Irak und Afghanistan stecken blieb, ist der russische Imperialismus von neuem erwacht. Russland fügte mit Georgien einem Verbündeten der NATO 2008 eine Niederlage bei.
Dieses Vorgehen entspricht dem einer Großmacht, die ihre Interessen mit Machtmitteln durchsetzt. Die Empörung darüber im Westen ist allerdings wohlfeil. Denn das russische Vorgehen war zugleich eine Reaktion auf den Westen, der zugleich versuchte entgegengesetzte Interessen durchzusetzen.
Beispiel NATO-Osterweiterung: 40 Jahre lang wurde die Existenz der NATO mit der Bedrohung durch den Warschauer Pakt gerechtfertigt. Nach der Auflösung des Warschauer Paktes aber blieb die NATO nicht nur bestehen – sie weitete sich aus: bis tief in das Gebiet der Warschauer Pakt-Staaten, schließlich bis auf das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Man muss kein „Verständnis“ für Putin haben um zu erkennen, dass diese Politik einen offensiven Charakter trug und trägt. Sie ging im Übrigen vor dem Ausbruch der Ukrainekrise mit dem Aufbau eines Raketenabwehrschirms einher, der die Verträge zwischen den USA und der Sowjetunion aus den 80er Jahren in Frage stellten.
Schließlich ist auch der Konflikt in der Ukraine nicht allein in Moskau gemacht worden. EU wie Moskau haben exklusive wirtschaftliche Beziehungen mit der Ukraine zu etablieren versucht, die den jeweils anderen herausdrängen sollten und am Ende das Land buchstäblich zerreißen.
6. Wir stehen vor einer neuen Phase der Aufrüstung
Der Versuch, die Bundeswehr zu einer Armee im internationalen Einsatz zu machen, hat sie überdehnt. Dies ist kein neues Phänomen, sondern eines der Grundprobleme beim Durchsetzen von wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen mittels militärischer Macht, das u.a. Paul Kennedy in seinem Standardwerk zum „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ beschrieben hat.
Das Problem der Überdehnung kann man auf zwei Wegen lösen: Entweder man lässt von seinen globalen Ambitionen ab. Oder man richtet die Gesellschaft auf eine umfassende Aufrüstung aus.
Frau von der Leyen und mit ihr die gesamte große Koalition ist gewillt, den zweiten Weg zu gehen. Wir haben allein zwei wichtige Richtungsentscheidungen im letzten Jahr gesehen: auf der einen Seite den Einstieg in die Kampfdrohnentechnik inklusive der Ankündigung der Bundesregierung im letzten Jahr, die Entwicklung einer europäischen Kampfdrohne in Angriff zu nehmen.
Und zum anderen wurde im Herbst mit den Stimmen der Großen ein Großauftrag für die Beschaffung von 131 Transportpanzern vom Typ Boxer ausgelöst, begleitet von Rufen nach der Entwicklung einer ganz neuen Leopard-Kampfpanzer-Generation. Dies richtet sich klar auf die Fähigkeit, einen Landkrieg in Europa gegen den Feind im Osten führen zu können. In diese Kategorie passt die Übernahme der Verantwortung für den Aufbau der sogenannten Speerspitze innerhalb der NATO Response Force.
Der Streit im Regierungslager über die Frage, wieviel Rüstung in Deutschland selbst hergestellt werden soll, reflektiert unterschiedliche Interessen in der deutschen Wirtschaft.
Letztendlich geht es auch darum, ob  es eine Dauersubventionierung bestimmter großer Rüstungsunternehmen bzw. Rüstungssparten in Großunternehmen durch den Staat auf Kosten des Steuerzahlers geben wird, oder nicht.
7. Es geht um das Durchsetzen von Prioritäten auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung
Die Mehrheit der politischen Entscheidungsträger ist schon lange dafür, „mehr militärische Verantwortung“ zu übernehmen. Die Mehrheit der Deutschen ist schon lange dagegen „mehr militärische Verantwortung“ zu übernehmen.
Die Haltung der Linken ist in diesem Zusammenhang eindeutig. Wir sind gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und wollen, dass die Rüstungsausgaben zurückgefahren werden. Denn jede Million, die in die Rüstung gesteckt wird, muss an einer anderen Stelle eingespart werden. Jede Ausgabe für Rüstungsgüter befindet sich in einem grundsätzlichen Widerspruch zu den Interessen der Mehrheit der Bevölkerung.
Und sie steht auch im Widerspruch zu den Interessen derjenigen, die für die Kriege der Zukunft mit ihrem Leben sowie ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit zahlen müssen: die Soldatinnen und Soldaten.
Auffällig ist: Jeder Einsatz wird guten Absichten begründet. Hinterher wird keine ehrliche Bilanz gezogen.
Was hat der Afghanistankrieg gebracht? Sind die Taliban endgültig geschlagen? Nein: die USA planen gerade die Fortsetzung des Kampfeinsatzes über 2016 hinaus, aufgrund der weiterhin instabilen Sicherheitslage.
Hat sich die soziale Situation für die Mehrheit der Bevölkerung verbessert? Nein, das Elend ist geblieben, dazu kommt die Angst in vielen Landesteilen vor nächtlichen Razzien, vor Drohnenangriffen.
Hat sich die Lage der Frauen verbessert? Nein, für die meisten nicht. Stattdessen sind soziale Probleme zur individuellen Unterdrückung hinzugekommen.
Mit militärischen Zwangsmitteln von außen können keine Probleme gelöst können. Ich habe in meinem Beitrag deutlich zu machen versucht, dass dies auch nicht die Motivation hinter diesen Interventionen darstellt.
Es bleibt die Frage: Worauf orientiert die Linke?
Um zum Beispiel Russland zurückzukommen: Es ist offensichtlich, dass Putin auf die Anwendung militärischer Gewalt setzt. Dafür hat die Linke kein Verständnis. Doch die Eskalation des Konflikts – und darauf läuft die Antwort der NATO hinaus – ist genauso wenig eine Antwort.
Die Lösung kann nur von Innen kommen. Antimilitarismus in Russland ist die Antwort auf den Militarismus Putins. Aber diese Stimmen werden marginalisiert, solange Putin seine Eskalationspolitik mit dem Fingerzeig auf NATO, EU und ihre Verbündeten begründen kann.
Das hört sich zunächst abstrakt an aber führen wir uns vor Augen: Wer hat den Kalten Krieg beendet? Es war der Druck im Innern, der den Warschauer Pakt beendet hat. Und damit auch zumindest für eine Zeitlang die Gefahr eines großen Kriegs vermindert hat.
Wer hat den Vietnam-Krieg beendet? Die Kriegsmüdigkeit in den USA, und auch die Zersetzungserscheinungen in der US-Armee selbst, haben neben dem Widerstand in Vietnam selbst eine entscheidende Rolle gespielt.
Verantwortung im Sinne von mehr militärischem Eingreifen ist keine Alternative: sie führt immer mehr Soldaten in immer mehr Krisenherde, ohne dass eines der Probleme in den betroffenen Länder gelöst werden würde.