Heute wurde im Bundestag das sogenannte Gesetz zur Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr diskutiert. Hintergrund: Die Truppe hat ein Rekrutierungsproblem. Bewerber bleiben aus, denn die Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Armee im globalen Dauereinsatz ist unpopulär – zu Recht! DIE LINKE kritisiert das Attraktivitätsprogramm, das mit Lockprämien und halbherzigen sozialen Verbesserungen bei jungen Menschen die berechtigten Bedenken gegen Auslandseinsätze wegdrücken soll.
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit dem vorliegenden Gesetz die Attraktivität der Bundeswehr als Arbeitgeber steigern;
(Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU): Gut erkannt!)
denn der Dienst ist mehr als unattraktiv, und die Neubewerberquoten bei der Bundeswehr fallen seit Jahren. Der Grund dafür liegt aber nicht in erster Linie am Zustand der Kasernen oder an zu kleinen Betten oder an der wachsenden Konkurrenz am Arbeitsmarkt; das Kernproblem liegt in der ganzen Ausrichtung der Truppe.
(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold (SPD): Woher wissen Sie das?)
Die Bundesregierung weitet die Auslandseinsätze immer weiter aus. Gerade gestern haben wir Soldaten an einen neuen Kriegsschauplatz geschickt, nämlich in den Irak. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt solche Einsätze ab. Und ich sage Ihnen: völlig zu Recht.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl A. Lamers (CDU/CSU): Wir sind anderer Meinung!)
Bevor Sie überlegen, wie die Bundeswehr ein attraktiver Arbeitgeber sein könnte, sollten Sie sich fragen: Wofür haben über 50 deutsche Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan ihr Leben verloren? Wie viele Afghanen wurden durch den Einsatz der Bundeswehr getötet? – Denn das sind die Fragen, die junge Frauen und Männer und ihre Familien umtreiben, wenn sie über ihre Perspektiven und auch über die Rekrutierungsversuche der Bundeswehr reden. Deshalb gehen so wenig junge Leute zur Bundeswehr. Und ich sage Ihnen: Das ist auch gut so.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Linke geht es nicht darum, die Bundeswehr in ihrer jetzigen Ausrichtung attraktiver zu machen; uns geht es auch in dieser Diskussion darum, die Belastung für die Soldatenfamilien zu senken. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Die Umgestaltung der Bundeswehr zu einer Armee im globalen Dauereinsatz wird auf dem Rücken der Soldatinnen und Soldaten und ihrer Familien ausgetragen. Mit diesem Gesetz, Frau von der Leyen, wollen Sie jetzt einen Widerspruch überbrücken, der nicht zu überbrücken ist.
(Ingo Gädechens (CDU/CSU): Welchen denn?)
Auch wenn wir die Absicht hinter dem Gesetz ablehnen, heißt das nicht, dass wir uns gegen jede einzelne Maßnahme stellen. Schauen wir uns die Beispiele genauer an:
Die Arbeitszeit. Bisher war die Arbeitszeit für Soldaten gesetzlich nicht geregelt und der Willkür der Vorgesetzten unterworfen.
(Ingo Gädechens (CDU/CSU): „Willkür der Vorgesetzten“ – so ein Quatsch!)
Nun soll sie geregelt werden, und das ist eine seit Jahrzehnten überfällige Beendigung eines arbeitsrechtlichen Niemandslandes. Allerdings: Mit dem neuen Gesetz wird eine Lücke gelassen, die den Vorgesetzten weiterhin zu viele Spielräume lässt. Beispielsweise gibt es Ausnahmeregelungen, soweit es die Besonderheiten des Dienstes erfordern. Wir denken, dass das zu viele Spielräume sind, die dann wieder dazu führen, dass die Arbeitszeit willkürlich ausgedehnt wird. Im Übrigen gilt die 41-Stunden-Woche nach der Gesetzesvorlage nicht für Soldaten im Auslandseinsatz, auf See oder in Manövern, sondern nur im Grundbetrieb in Deutschland. In Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr soll weiterhin sogar bis zu 54 Stunden in der Woche gearbeitet werden. Das sind keine attraktiven Arbeitszeiten.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie wollen den Eindruck erwecken, die Bundeswehr würde auch auf die Familien und den Einzelnen Rücksicht nehmen. Das gilt allerdings nur so lange, wie die Vereinbarkeit von Familie und Dienst nicht im Widerspruch zur Verwendung im Ausland steht.
Auch die Teilzeitmöglichkeiten, die für die Berufssoldaten jetzt diskutiert werden, bestehen nur, wenn ein Kind oder ein pflegebedürftiger Angehöriger tatsächlich zu Hause betreut wird – dies auch nur nach einer Dienstzeit von vier Jahren und auch nur, soweit dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Und: Sie gelten mithin nicht für Soldaten im Auslandseinsatz. Tatsächlich lehnt es das Ministerium bis heute ab, alleinerziehende Väter und Mütter von Kindern unter drei Jahren von diesen Einsätzen auszunehmen. Das zeigt doch, wie weit es mit der Familienfreundlichkeit her ist.
Frau von der Leyen, Sie wollen jetzt mit Lockprämien und Zulagen Anreize schaffen, dass junge Menschen in die Bundeswehr kommen. Sie haben eben noch einmal sehr plastisch gesagt, was für ein Druck da auf Ihnen lastet. Ich will Ihnen ganz klar sagen: Auch bei dieser Absicht, zum Beispiel die Stellen- oder Erschwerniszulagen zu erhöhen, sehen wir ganz genau, wo der Hase eigentlich längs läuft. Seit 1990 wurden die Zulagen etwa für Feldwebel nicht mehr erhöht. Sie sollen nun um 80 Euro angehoben werden, doch die Kommandosoldaten im Einsatz sollen eine Sonderzulage von 900 Euro bekommen.
(Oswin Veith (CDU/CSU): Das ist in Ordnung! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Völlig richtig!)
Ich sage Ihnen: Die Linke ist dagegen, dass Einheiten wie das Kommando Spezialkräfte, die in Afghanistan einen geheimen Krieg an der Seite der US-Armee führen, belohnt werden. Sie müssen aufgelöst werden.
(Beifall bei der LINKEN – Rainer Arnold (SPD): Verschwörungstheorien!)
Richtig ist: Soldatinnen und Soldaten leiden unter denselben sozialen Problemen wie viele Beschäftigte in den zivilen Bereichen. So führt die verbreitete Einstellung von Soldaten auf Zeit zu enormen Problemen. Was machen diese Zeitsoldaten nach zwölf Jahren? Wie ist das mit der Altersabsicherung? Das ist übrigens ein Problem, das Millionen von Familien in Deutschland haben, die durch die Einführung grundlos befristeter Arbeitsverträge und die Absenkung des Rentenniveaus in soziale Unsicherheit gestürzt werden.
Bei den Soldaten fällt Ihnen nun auf, dass die Altersbezüge in den nächsten Jahren nicht ausreichend sein werden. Das ist erfreulich, weil es einen gewissen Erkenntnisgewinn darstellt. Aber Sie wollen jetzt mit dem Gesetz für Soldaten Sonderbemessungsgrenzen zur Erhöhung von Rentenansprüchen einführen, von denen im Übrigen vor allen Dingen die hohen Besoldungsgruppen profitieren werden. Die Linke bleibt bei ihrer Forderung, die Beitragsbemessungsgrenzen für alle Beschäftigten in einer solchen Art und Weise anzuheben, damit alle Beschäftigten und Soldaten eine armutssichere Rente erhalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich fasse zusammen: Es mag Sie wundern, aber wir sind nicht dagegen, dass die Einkommenssituation und die soziale Absicherung für die niedrigen und mittleren Dienstgrade in der Bundeswehr verbessert werden. Aber – Frau von der Leyen hat dies ja eben noch einmal sehr deutlich gemacht – das Gesetz fügt sich in eine ganze Reihe von Maßnahmen des sogenannten Attraktivitätsprogramms ein. Und dieses ganze Programm zielt darauf ab, mehr junge Menschen in die Einsätze der Bundeswehr zu locken. Diese Absicht lehnen wir ab.
Frau von der Leyen, machen Sie den Leuten nichts vor! Es geht nicht darum, ihnen eine persönliche Lebensperspektive zu schaffen, sondern es geht darum, die Bundeswehr als Armee im Einsatz handlungsfähig zu machen. Wir werden diesen Weg nicht mitgehen.
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!)