Hier kann man meine Rede im Bundestag zur Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan vom 15.12.2011 nachlesen und anschauen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem Stichwort „Perspektiven in Afghanistan“ werden heute die Ergebnisse der Bonner Afghanistan-Konferenz, der sogenannte Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung und das neue Mandat für den Bundeswehreinsatz diskutiert. Wir sagen ganz klar: Herr Westerwelle, Herr de Maizière, Sie haben den Menschen in Afghanistan keine Perspektive zu bieten. Die Bonner Afghanistan-Konferenz war eine reine Showveranstaltung. Es gab keine konkreten Maßnahmen, die die Lebensbedingungen der Menschen in Afghanistan verbessern. Ihre Bilanz ist unehrlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Das hat auch einen ganz konkreten Ausdruck in Bonn gefunden: Regierungskritische Personen waren nicht anwesend. Selbst die handverlesenen Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft ziehen eine vernichtende Bilanz. So sagt die Frauenrechtlerin Selay Ghaffar: Das ist wie die ganzen Konferenzen zuvor, viele Versprechungen werden gemacht, aber nichts geschieht. – Ich wiederhole: Die Bonner Afghanistan-Konferenz war eine Showveranstaltung.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber noch schlimmer: Sie treten die Würde der Opfer des Krieges mit Füßen.
(Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP): Jetzt reicht es aber!)
Herr Westerwelle, Sie haben gesagt, dass Sie in Kabul in die Augen von Kindern geschaut und Hoffnung gesehen haben. Ich glaube Ihnen das. Warum aber haben Sie es noch nicht geschafft, in die Augen der Waisen des von der Bundeswehr befehligten Kunduz-Massakers zu schauen?
(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sehr richtig!)
Mir ist die Geschichte von Qureischa aus Kunduz zugetragen worden. Qureischa ist Witwe, eine der Frauen, die durch den Befehl der Bundeswehr am Kunduz-Fluss ihren Mann verloren hat. Sie ist 35 und hat sechs Kinder im Alter von vier bis 16 Jahren. Qureischa hat kein Einkommen und lebt beim Bruder ihres toten Mannes in einem kleinen Raum in einer Lehmhütte. Sie ist so arm, dass sie sich noch nicht einmal eine Decke für jedes ihrer Kinder leisten kann. Drei Kinder schlafen unter einer Decke – und das, wo der harte Winter in Afghanistan bevorsteht. Ihr Schwager ist also ihre einzige Rettung; aber auch er ist bitterarm. Morgens um 4 Uhr geht er los – 14 Kilometer zu Fuß -, um seine Arbeitskraft als Tagelöhner auf dem Markt anzubieten.
Die Bundesregierung kümmert sich nicht um diese Opfer des Krieges. Sie haben – wie alle Kunduz-Opfer – keine anständige Entschädigung erhalten, auch nicht die 5 000 Dollar, die einige der Opfer, willkürlich ausgewählt, bekamen. Qureischa und ihre Kinder haben nichts bekommen.
Ich sage Ihnen: Es sind nicht nur die Kommandoaktionen der NATO, die die Zivilbevölkerung gegen die Besatzer aufbringen. Es ist diese Arroganz, mit der die Regierung die Würde der Opfer immer mit Füßen tritt,
(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sehr richtig!)
die die Bundeswehr und die NATO in Afghanistan zum Feind macht.
(Henning Otte (CDU/CSU): Was ist denn in Kabul bei den Anschlägen passiert?)
Hier haben Sie nichts gelernt. Und ich sage Ihnen: Menschlichkeit kann man nicht teilen.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Krieg in Afghanistan war von Anfang an falsch, und weil Sie nicht weiterwissen, machen Sie weiter wie bisher. Der Abzug ist eine Mogelpackung und eine Lüge; denn – Sie haben es selbst noch einmal betont, Herr de Maizière – die Bundeswehr wird nur dann wirklich abgezogen, wenn es die Sicherheitslage zulässt. Das heißt, wenn sie es nicht zulässt, bleibt die Bundeswehr dort. Auch das Mandat ist unverändert. Mit den AWACS-Flugzeugen, den Tornado RECCEs und den Spezialeinheiten wird – trotz Ihres Geredes vom Abzug – weiter Krieg in Afghanistan geführt werden. Der Krieg geht weiter, weitere drei Jahre, und dem werden wir nicht zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte (CDU/CSU): Sie haben keinen Durchblick!)
Der Truppenrückzug ist nicht die Lösung der Probleme, aber er ist die notwendige Voraussetzung für eine politische Lösung. Deshalb: Truppen raus jetzt und nicht erst 2014!
(Beifall bei der LINKEN)