Die Afghanistankonferenz vom 5. Dezember 2011 in Bonn war keine Konferenz, bei der es um konkrete Fortschritte für Afghanistan ging. Geladen waren die Botschafter und Außenminister von über 100 Staaten, um mit der afghanischen Regierungsdelegation um Präsident Karsai öffentlich Freundlichkeiten auszutauschen. Es wurden keinerlei Verhandlungen geführt oder Beschlüsse gefasst. Die Abschlusserklärung ist ein Sammelsurium an Absichtserklärungen ohne Bedeutung. Die einzige Zahl, die darin genannt wird, ist das Jahr 2014. Bis dahin wollen die NATO-Staaten ihre regulären Truppen abgezogen haben, gefolgt von einer nicht näher definierten Transformationsperiode von 10 Jahren. Wie viel Geld in dieser Zeit in den Aufbau Afghanistan gesteckt werden soll, wurde gar nicht erst erörtert.
Die Konferenz in Bonn ist gescheitert, weil der NATO-Krieg gescheitert ist. Mittlerweile erkennt dies auch Außenminister Westerwelle an. In seinen Worten heißt das, es ginge nun kein Weg mehr an einer politischen Lösung vorbei. Mithin sollen Verhandlungen geführt werden und eine regionale Lösung gefunden werden. Aber mit wem? Tatsächlich waren weder die Aufständischen, noch oppositionelle Kräfte, noch die pakistanische Regierung auf der Konferenz vertreten.
Diese Wirklichkeit wurde einfach ausgeblendet. Über den tödlichen NATO-Überfall auf einen pakistanischen Grenzposten, der 24 Soldaten das Leben kostete und zur Absage der pakistanischen Regierung geführt hatte, wurde hinweggegangen. Weder Kanzlerin Merkel noch Außenminister Westerwelle nahmen das Wort „Pakistan“ in ihren Reden auch nur in den Mund.
In Bonn ging es statt dessen darum, der afghanischen Regierung die Verantwortung für das Desaster zuzuschieben. So will der Westen aus dem Krieg herauszukommen, ohne als Verlierer dazustehen. Die wesentliche Botschaft lautete: Wenn die Taliban die Macht nach 2014 wieder übernehmen sollten, dann ist das nicht eine militärische Niederlage der NATO. Schuld sind einzig die Afghanen selbst.
Die angebotene Strategie, den Krieg durch schrittweise Übertragung der Verantwortlichkeiten zu „afghanisieren“, erscheint bei näherer Betrachtung als nicht sehr aussichtsreich. Im US-Haushalt sind für das kommende Jahr 12,8 Milliarden US-Dollar für die Ausbildung und Ausrüstung lokaler afghanischer „Sicherheitskräfte“ eingeplant. Zum Vergleich: Der gesamte Staatshaushalt Afghanistan beträgt lediglich 1,5 Milliarden US-Dollar. Der Sold eines einfachen Polizisten liegt unter dem Existenzminimum. Als Folge dessen sind im letzten Jahr 20.000 der insgesamt 126.000 Polizisten desertiert.
Um die Löcher in der NATO-Strategie zu überstrahlen, war in Bonn vom vermeintlichen Fortschritt in Afghanistan die Rede, flankiert von entsprechenden Aufbauberichten in den Abendnachrichten des deutschen Fernsehens. Westerwelle erklärte, er habe bei seinem letzten Besuch in die Augen von Kindern geschaut und er habe Hoffnung gesehen. Dies sei “das neue Gesicht Afghanistans.” Was er offenbar nicht sah: Ein Drittel aller Kinder ist unterernährt. Während die Korruption grassiert und Milliarden an Hilfsgeldern versickern, sind drei Millionen Afghanen unmittelbar von Nahrungsmittelhilfslieferungen abhängig.
Die Afghanistankonferenz war eine Showveranstaltung der Kriegsherren, die den deutschen Steuerzahler Millionen gekostet hat. Doch diese PR-Show misslang weitgehend. Die Urteile in der seriösen deutschen Presse in Deutschland waren verheerend: „Papier ohne Wert“ (Süddeutsche Zeitung), „Ablasshandel“ (Rheinische Post), „Gipfeltreffen des Scheitern“ (Mittelbayerische Zeitung). Oder auch: „Der Westen will bloß noch weg, möglichst kostengünstig.“ (Mannheimer Morgen). Selbst die in Bonn vertretenen handverlesenen Vertreter der afghanischen „Zivilgesellschaft“ waren bitter enttäuscht. Die Frauenrechtlerin Ghaffar sagte: „Das ist wie die ganzen Konferenzen zuvor, viele Versprechungen werden gemacht – aber nichts geschieht.“ Und ich betone: die eigentliche afghanische Opposition, die Kritiker des Präsidenten Karsai, waren in Bonn noch nicht einmal vertreten.
Sie hätten ein ganz anderes Bild vom heutigen Afghanistan und vom Militäreinsatz der NATO gezeichnet. Mittlerweile operieren im Schatten der offiziellen Truppen „Spezialeinheiten“, die im Dienste der US-Armee, der Bundeswehr und anderer in einem geheimen Krieg Jagd auf Aufständische und ihre möglichen Sympathisanten machen, um sie zu ermorden. Hinzu kommen die nächtlichen Razzien. Durchschnittlich 19 Haussuchungen werden jeden Tag durchgeführt, bei denen die NATO-Truppen den Afghanen die Türen eintreten und „Verdächtige“ in ihre Folterlager verschleppen.
Die LINKE hat sich vor diesem Hintergrund aktiv in Widerstand gegen die westliche Kriegsführung in Afghanistan und die Bonner Propagandashow eingebracht. So auf der Gegendemonstration, an der bis zu 5.000 Personen teilgenommen haben. So auf der Gegenkonferenz, die dieses Mal unter starker Beteiligung von Afghanen stattfand. Und im Saal der Konferenz selbst, wo wir drei delegierten LINKE-Abgeordneten aus Protest gegen die Rede der US-Außenministerin Clinton ein Banner mit der Aufschrift entrollten: „NATO = Terror! Troops out now!“
Unsere Forderung nach einem sofortigen Abzug haben wir mit Bedacht gewählt. Denn der Abzug, den die NATO plant, bedeutet nicht nur drei weitere blutige Jahre. Die Bundesregierung erklärte bereits die Absicht, eine Präsenz über 2014 hinaus sicher zu stellen. Eine Woche vor der Bonner Konferenz betonte Verteidigungsminister de Maizière, die Bundeswehr bleibe auch nach dem offiziellen Abzugstermin in Afghanistan aktiv. Mögliche Szenarien sind die Umetikettierung von Offizieren als „Berater“ oder die Fortsetzung der Geheimoperationen.
Es geht um viel. Karsai verwies in seiner Rede auf US-Schätzungen, wonach im afghanischen Boden Rohstoffe im Wert von rund einer 1000 Milliarden US-Dollar liegen. Ein Teil von ihnen wurde gerade in Kabul zur Erschließung ausgeschrieben. Dabei handelt es sich um Gold- und Kupfervorkommen in vier Regionen des Landes. Unser Protest gegen den Krieg ist auch ein Protest dagegen, dass die Gewinne aus diesem Reichtum der afghanischen Bevölkerung vorenthalten werden sollen.