Von Christine Buchholz, MdB – DIE LINKE, Inge Höger, MdB – DIE LINKE, Nadja Douglas, Referentin für Sicherheitspolitik, Alexander S. Neu, Referent für Sicherheitspolitik
„Vom Einsatz her denken.“ Diese Formel als methodischen Leitfaden für die große Reform der Bundeswehr hat der Bundesverteidigungsminister de Maizière von seinem Vorgänger Guttenberg in seine neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) übernommen.
Zwar wurde die Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren mehr oder weniger kontinuierlich zur, wie es beschönigend heißt, »Einsatzarmee« reformiert.
Der große Wurf jedoch, der einen qualitativen Wandel der Bundeswehr zu einer Armee mit einem effektiven umfassenden „Fähigkeitsprofil“ gemacht hätte, gelang in den Augen derer, die den Einsatz von Streitkräften als legitimes Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik zwecks Verwirklichung „nationaler Interessen“ sehen, nicht. Deshalb war eine erneute Reform aus Sicht des zuständigen Kriegsministers notwendig, der nun Sicherheitspolitik zur ersten Staatsaufgabe erklärt.
Deutschland ist ein souveräner Staat mit Gestaltungsanspruch
Die Reformvorstellungen der Bundeswehr wurden am 18. Mai durch den Verteidigungsminister mit gewaltiger medialer Aufmerksamkeit inszeniert. Die Tragweite des Reformvorhabens sollte so verdeutlicht werden.
Deutschland sei nun endgültig angekommen in der vermeintlichen Normalität der internationalen Politik, so die Botschaft. Deutschland als souveräner Staat „nimmt als gestaltendes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft seine Interessen wahr. (…) Streitkräfte sind [hierbei] unentbehrliches Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik unseres Landes. (…) Deutschland ist bereit, als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente einzusetzen. Dies beinhaltet auch den Einsatz von Streitkräften.“
Zwar sind solche Aussagen nicht neu. In der außen- und sicherheitspolitischen Community gehören sie bereits zum normalen Sprachgebrauch. Neu hingegen ist die demonstrative Offenheit und eine gewisse Brutalisierung der Sprache gegenüber der Öffentlichkeit. Offenkundig sollen die Menschen an eine militarisierte Außenpolitik gewöhnt werden.
De Maizières drückte in seiner Rede vor dem Führungskader der Bundeswehr in der Berliner Julius-Leber-Kaserne seine Entschlossenheit aus, die Reform auch gegen Widerstände in der Bundeswehr durchzusetzen: Wer sich einbringen und mitgestalten könne, werde seinen Platz finden. Wer dies nicht könne, habe keinen Platz in der Bundeswehr.
Sicherheitspolitische Lageanalyse
Die neuen VPR de Maizières räumen zwar ein, dass „eine unmittelbare territoriale Bedrohung Deutschlands mit konventionellen militärischen Mitteln unverändert unwahrscheinlich“ sei, um dann zu erklären, dass „Sicherheit (..) nicht ausschließlich geographisch definiert“ sei.
Es wird in den VPR ein Szenario zukünftig diffuser asymmetrischer „Risiken und Bedrohungen“ in einer Welt voller Unsicherheiten aufgezählt. Diese wurden in Teilen bereits vor über zehn Jahren (beispielsweise „gescheiterte Staaten“ oder der nie enden wollende „internationale Terrorismus“) genannt. Betont werden nun aber zunehmend die Bedrohung „freier Handelswege und der gesicherten Rohstoffversorgung“ – Aussagen für die Ex-Bundespräsident Köhler erst im vergangenen Jahr sein Zepter abgeben musste. Aber auch neue „Risiken und Bedrohungen“, wie Cyber War oder der „Aufstieg neuer Regionalmächte“ und „Machtverschiebungen zwischen Staaten und Staatengruppen“ finden nun Eingang in den Katalog der Gefahren, welche die „Sicherheit und den Wohlstand“ Deutschlands bedrohen.
All diesen „Risiken und Bedrohungen“ ist gemein, dass sie „jederzeit kurzfristig und unvorhergesehen auftreten [können] und ein schnelles Handeln auch über große Distanzen“ und somit ein umfassendes und einsatzorientiertes „Fähigkeitsprofil“ der Bundeswehr erforderlich machten.
Sicherheitspolitische Ziele und Interessen – Unterschiede zur alten VPR
Während in den Struck-Richtlinien von 2003 noch vornehmlich von „internationalen Verpflichtungen“ die Rede war, erachtet Verteidigungsminister de Maizère heute „Deutschlands Verantwortung in der Welt“ als neues Diktum im Sinne eines allgemeinen Trends hin zur „globalen Schutzverantwortung“. Dieses gestärkte Verantwortungs-bewusstsein ist als Blankoscheck für interessengeleitete Interventionen weltweit und hierzulande als Legitimation für den Ausbau der Bundeswehr zur kriegsführenden Armee zu sehen. Die „Befähigung zum Kampf“, so de Maizière, sei der höchste Anspruch im gemeinsamen Kräftedispositiv der Streitkräfte und „Maßstab für den Einsatz“.
Während in den VPR von 2003 die Einbettung der Bundesrepublik in das Gefüge der internationalen Sicherheitsstrukturen noch zentraler Bestandteil war, stehen jetzt zwar die transatlantische Partnerschaft und das NATO- Bündnis sowie die Stärkung der GASP/GSVP nach wie vor im Vordergrund, doch die ehemals „herausragende Rolle“ der Vereinten Nationen, geschweige denn der OSZE, wird kaum mehr erwähnt. Die nukleare Teilhabe Deutschlands in der NATO wird, wie auch schon im Neuen Strategischen Konzept der NATO erneut bejaht. Von der im Koalitionsvertrag noch genannten Absicht, Atomwaffen von deutschem Boden zu entfernen ist keine Rede mehr. Nukleare Abrüstung ja, aber nicht wir, so die Botschaft.
Europäische Sicherheit im 21. Jahrhundert ist ausschließlich militärisch und im Rahmen der GASP/GSVP definiert. Verschwunden sind jegliche Ambitionen der Neunziger Jahre, im Sinne der Friedensdividende Europäische Sicherheit umfassend und in nicht-militärischen Dimensionen zu denken, unter Einbeziehung Russlands und der post-sowjetischen Welt. Russland wird in den aktuellen VPR noch nicht einmal mehr erwähnt. Die zukünftige Sicherheit Deutschlands und Europas ist exklusiv zu verstehen, „mögliche Auswirkungen von Krisen und Konflikten sind auf Distanz“ zu halten.
Dies impliziert, dass nicht mehr gemäß Grundgesetz der territoriale Verteidigungsfall (Art. 87a + 115a) einzige Legitimation für den Einsatz der Streitkräfte darstellt, sondern das nationale Sicherheitsargument als Allzweckbegründung dient.
Auch verliert die traditionelle und wichtige Trennung von äußerer und innerer Sicherheit, laut den VPR von 2011, „ihre Trennschärfe“ und öffnet so Tür und Tor einer militarisierten, bürgerrechtsfeindlichen und freiheitsbeschränkenden Politik.
Umfassendes Fähigkeitsprofil
Vielseitig einsetzbar, flexibel und schnell verlegbar – dies sind die strukturbestimmenden Fähigkeiten der neuen Einsatzarmee. Ihre inneren Strukturen folgen einem in den 1990er Jahren begonnenen Trend der sukzessiven Transformation der Bundeswehr hin zur globalen Interventionsarmee. Für diese sollen nun zeitgleich 10.000 Soldatinnen und Soldaten zur Verfügung stehen, die in bis zu zwei größere internationale Einsätze geschickt werden können, in denen die Bundesrepublik zudem das Führungskommando übernehmen könnte.
Hieran sollen sich auch die Beschaffungsmaßnahmen orientieren, denn „beschafft wird, was erforderlich ist“. „Sicherheit ist prioritär“, so de Maizière, in seiner Rede. Von Einsparungen durch Streichung von Rüstungskäufen redet de Maizière nicht. Lediglich die Priorisierung von Waffensystemen wird erwähnt, um die freiwerdenden Gelder für neue Rüstungsgüter nutzen zu können.
Die deutsche Rüstungsindustrie wird sich freuen. Ihre Lobbyisten stehen dem Verteidigungsminister als „externe Expertengruppe“ beim Rüstungsprozess hilfreich zur Seite.
Auf die Frage, wie der Verteidigungsminister seinen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes leisten will, bleibt er eine Antwort schuldig und verweist auf die anstehenden Haushaltsberatungen im Juni.
Die Truppe soll von 250.000 auf 170.000 (Berufs- und Zeitsoldaten) plus 5.000 Freiwillig Wehrdienstleistende plus gegebenenfalls bis zu 10.000 weiteren Freiwillig Wehrdienstleistende (maximale Truppenumfang 185.000) reduziert werden.
Durch die Aussetzung der Wehrpflicht fällt das wichtigste Rekrutierungselement für die Bundeswehr weg, denn ca. 1/3 der Soldatinnen und Soldaten sind z.Zt. ehemalige Wehrpflichtige. Eine massive Werbekampagne ist bereits angelaufen. Allerdings wird in Nebensätzen klar, dass Kosten für die Reduzierung der Armee nicht im Verteidigungshaushalt auftauchen, sondern in andere Etats verschoben werden sollen. Allein durch Reduzierung der Truppenstärke wird er den Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes hinbekommen,
Die ebenfalls strukturbestimmende Frage der Standortschließungen wird auf den Herbst verschoben.
„Funktionalität, Attraktivität und die Präsenz in der Fläche“ werden, laut de Maizière, wichtige Auswahlkriterien sein. Es wird erklärt, dass es keine „Schön-Wetter-Veranstaltung“ wird, doch die Chancen, die sich durch Konversion ergeben könnten, finden keine Erwähnung.
Die Neuausrichtung der Bundeswehr ist ein kontinuierlicher Prozess. Somit sind auch diese VPR, wie de Maizière richtig festhält, keinesfalls historisch einmalig. Erstaunlich ist hingegen, wie wenig sie sich strukturell von früheren Richtlinien unterscheidet. Es ist richtig, dass die Zahl der Stäbe und Brigaden reduziert werden, die Zahl der zivilen Mitarbeiter auf 55.000 und das BMVg auf 2.000 Mitarbeiter reduziert und der Generalinspekteur in seiner Position gestärkt wird. Doch fundamentale Rationalisierung sieht anders aus.
Vor allem bei den Teilstreitkräften hätte Straffung und Kürzung wirkliche Abrüstung und konsequente Verringerung der Rüstungsausgaben bedeutet.
Neuer Patriotismus
Der Ton macht die Musik, und de Maizière legt einen wahrhaft neuen Patriotismus an den Tag, der erahnen lässt, wie sich die derzeitige Regierung die „Akzeptanz und Würdigung“ des Militärs in der Gesellschaft vorstellt.
„Die Bundeswehr ist eine ganz besondere Nationalmannschaft“, so de Maizière und seine Sprache mutet nicht zufällig archaisch und pathetisch an. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht können Jugendliche nicht mehr in die Bundeswehr gezwungen werden und die Mehrheit lehnt die Bundeswehr als berufliche Möglichkeit klar ab. Deswegen sollen, nach dem Willen de Maizières, die Reservisten ihrer patriotischen Gesinnung Genüge tun und zum Zweck der Nachwuchswerbung auf potentiell Freiwillig Wehrdienstleistende losgelassen
werden. Die Werbemaßnahmen in der Springer-Presse tun, so hofft man, ihr übriges.
Für die Zukunft lassen diese Tendenzen befürchten, dass wir in Deutschland zunehmend „amerikanische Zustände“ zu erwarten haben. Jungen Menschen könnten sich aufgrund mangelnder Chancen auf dem zivilen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für die Bundeswehr als Alternative und Perspektive entscheiden. Ein freiwilliger Dienst bei den Streitkräften impliziert jedoch früher oder später einen Einsatz im Ausland. Jugendliche werden so zum Kanonenfutter – zum Zweck der Sicherung fragwürdiger deutscher Interessen.
Die LINKE verwahrt sich entschieden gegen diese spürbare Tendenz der erneuten Militarisierung der Gesellschaft.
LINKE Forderungen
DIE LINKE fordert hingegen, die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden, die Bundeswehr auf die Landesverteidigung zu begrenzen und auch mit einseitigen Schritten Abrüstung voranzubringen.