…können wir nur selber tun
Die LINKE ist eine sozialistische Partei. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist der Kapitalismus unfähig, seine Krisen zu überwinden und dauerhaft und global Gerechtigkeit und Frieden für alle herzustellen. Zum anderen ist die gesellschaftliche Kontrolle über die Produktionsmittel eine entscheidende Weichenstellung, um die Produktion und das gesellschaftliche Leben sinnvoll und demokratisch zu planen.
Nun gibt es eine Karikatur der Positionen in unser Partei: Auf der einen Seite gäbe es jene, die in der Kleinarbeit der täglichen Parlaments- und Reformarbeit das große Endziel Sozialismus aus dem Auge verloren hätten. Und auf der anderen Seite diejenigen, die über das Ziel Sozialismus die Verbesserungen im Hier und Jetzt vergessen.
Ich nenne dies deswegen Karikatur, weil mir Genossen, die keine Verbesserungen im Hier und Jetzt wollen, noch nicht begegnet sind. Die entscheidende Frage ist eine andere: Wie sind unter den gegebenen Rahmenbedingungen Veränderungen zu erreichen, und zwar auf eine Art und Weise, dass sie das Ziel Sozialismus befördern, anstatt es in immer weitere Ferne rücken zu lassen?
In den letzten 150 Jahren haben sich, bei allen unterschiedlichen Spielarten, im Hinblick auf diese Frage im wesentlichen zwei Stränge des Sozialismus entwickelt, die der US-amerikanische Sozialist Hal Draper als „Sozialismus von oben“ und „Sozialismus von unten“ bezeichnet hat. Für unsere Partei ist es hilfreich, zu diskutieren, welcher Traditionslinie wir folgen wollen.
„Sozialismus von oben“ bedeutet: Die Welt wird verändert, indem die Mehrheit ihr Schicksal in die Hände einer vermeintlich weisen und wohlwollenden Führung legt. Sie wird die richtigen Entscheidungen im Interesse der Massen treffen, und diese werden ihre Beschlüsse ausführen. In dieser Traditionslinie steht der bis heute im SPD-Programm verankerte „Demokratische Sozialismus“, ein Sozialismus, der offensichtlich voll kompatibel ist mit Hartz IV, Rente mit 67 und Bundeswehreinsätzen in aller Welt. In dieser Traditionslinie steht aber auch der offensichtlich gescheiterte Sozialismus der Parteidiktaturen der Ostblockstaaten.
Das Gegenstück dazu ist die Traditionslinie des „Sozialismus von unten“. Er wächst aus den Kämpfen der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Sein Motto ist der erste Satz aus den Statuten der Arbeiter-Internationale von 1864, „… daß die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss.“
Der „Sozialismus von unten“ stellt Selbstaktivität der Unterdrückten und Ausgebeuteten aus zwei Gründen ins Zentrum:
Zum einen ist jede erreichte Verbesserung entweder Produkt von Bewegung oder von den Herrschenden aus Angst vor Bewegung eingeführt worden. Beispiele dafür sind das allgemeine Wahlrecht, das Frauenwahlrecht, paritätische Sozialsysteme und das Betriebsratswesen. Die Republik selbst ist Ergebnis der Revolution 1918. Reformen sind Produkt geänderter gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, und Kräfteverhältnisse ändern sich durch reale Auseinandersetzungen. Zum anderen verändern Menschen sich und ihre Einstellungen in solidarischer gemeinsamer Aktivität. Durch Erfahrung können so alte Ideen und Vorurteile überwunden werden. Um es deutlich zu machen: Ein Streik kann nicht gewonnen werden, wenn Arbeiterinnen und Arbeiter, Deutsche und Migranten nicht gemeinsam kämpfen. Der gemeinsame Kampf kann und muss eine Basis dafür sein, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen und Frauenfeindlichkeit oder Rassismus zu überwinden.
Der „Sozialismus von unten“ spielt im Werk von Rosa Luxemburg eine zentrale Rolle. Rosa Luxemburg sieht den Klassenkampf als zentrales Element zur Transformation der Gesellschaft. Dabei löst sie den scheinbaren Widerspruch von Reform und Revolution auf und entwickelt ein Verständnis der Dynamik gesellschaftlicher Prozesse:
„Die gesetzliche Reform und die Revolution sind also nicht verschiedene Methoden des geschichtlichen Fortschritts, die man in dem Geschichtsbüfett nach Belieben wie heiße oder kalte Würstchen auswählen kann, sondern verschiedene Momente in der Entwicklung der Klassengesellschaft.“ Ihrer Meinung nach ist „die jeweilige gesetzliche Verfassung bloß ein Produkt der Revolution. Während die Revolution der politische Schöpfungsakt der Klassengeschichte ist, ist die Gesetzgebung das politische Fortvegetieren der Gesellschaft.“ Sie folgert daraus: „Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß unwesentliche Veränderungen in der alten.“ Das bedeutet den Verzicht auf die Verwirklichung der sozialistischen Ordnung und die oberflächliche Reformierung des kapitalistischen Systems.
Wenn wir zu einem Sozialismus kommen wollen, der auf einer neuen Eigentumsordnung beruht, die Demokratisierung der gesamten Gesellschaft beinhaltet und ein Prozess der Emanzipation und Selbstemanzipation der breiten Bevölkerung ist, dann ist die Frage zurzeit: Wie verhält sich die LINKE in einer Situation, in der es zwar Sympathien für Sozialismus gibt, aber einen niedrigen Stand der Klassenkämpfe? Es gibt keinen Automatismus, dass die Realitäten des Kapitalismus zu Widerstand oder einer Stärkung der Linken führen. Der Kapitalismus führt nicht nur zu zerstörerischen Krisen und produziert gleichzeitig absurden Reichtum und bittere Armut. Er führt auch zu Entfremdung, Individualisierung, Fragmentierung und zur Spaltung der Gesellschaft. All dies nährt im Alltag die Passivität der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber politischen Entscheidungen. Gleichzeitig bringen Fragmentierung und Ohnmachtsgefühle auch die Hoffnung hervor, der Kapitalismus könne dauerhaft reguliert werden, wenn man nur die richtigen Konzepte anwende oder die richtigen Politiker an die Macht brächte. Diese Hoffnung reflektiert sich in verbreiteten, aber illusorischen Vorstellungen, Verbesserungen stellvertretend für die Menschen herbeizuführen. Von dieser Hoffnung lebt immer noch die SPD, aber auch die Grünen. Im Gegensatz dazu die Passivität zu überwinden und Menschen für ein bewusstes Eingreifen für ihre Interessen zu gewinnen ist entscheidend für eine sozialistische Partei.
Daraus entstehen für DIE LINKE mehrere Aufgaben:
• Den Kapitalismus im umfassenden Sinne zu begreifen und erklären.
• Die Eigentumsordnung und demokratische Kontrolle der Produktion ins Zentrum des Kampfes für gesellschaftliche Veränderungen zu stellen.
• Den Kampf gegen Rassismus, Sexismus und jede andere Form der Unterdrückung als zentrales, Spaltungen überwindendes, Element des Kampfes für Sozialismus anzusehen, denn Ausbeutung und Unterdrückung sind verschiedene Seiten der selben Medaille.
• Die Selbstaktivität der Menschen zum Ziel zu haben und von daher die außerparlamentarische Arbeit in den Stadtvierteln, Betrieben, Schulen, Universitäten, Bewegungen und Initiativen den strategisch entscheidenden Stellenwert beizumessen.
• Die Arbeit in den Parlamenten nicht als Selbstzweck zu betreiben, sondern der Information, Politisierung und Mobilisierung der Bevölkerung unterzuordnen.
• Wenn sie sich auf die Option der Regierungsbeteiligung einlässt, deutlich zu machen, dass sie verlässlich ist und nichts tut, was der Entwicklung einer Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Frieden entgegensteht. Das heißt, dass sie sagen muss, was sie erreichen möchte und was sie auf keinen Fall mitmacht (Privatisierung, Arbeitsplatzabbau, Sozialabbau, Kriegseinsätze).
Um diese Aufgaben zu erfüllen, braucht eine sozialistische Partei Positionen, Bündnispartner und eine Strategie der Umsetzung. Ich möchte das an zwei Beispielen deutlich machen:
Wir sind gegen Rüstungsexporte und Rüstungsproduktion. Wir sind für Rüstungskonversion als einen konkreten Schritt der Entmilitarisierung der Gesellschaft. Dabei sind die Friedensbewegung und die Arbeiterbewegung notwendige Partner, um für die Umsetzung zu kämpfen. Was das Verbot von Rüstungsexporten angeht, stehen wir an der Seite der Friedensbewegung. In den Gewerkschaften gibt es einen Streit über diese Frage. Die Aufgabe einer sozialistischen Partei besteht darin, in der Friedensbewegung für die sozialen Interessen der Beschäftigten in der Rüstungsindustrie zu argumentieren und Forderungen zu entwickeln, die die Beschäftigten für ihre Position gewinnen können. In der Gewerkschaftsbewegung argumentiert eine sozialistische Partei für ihre Position und verbindest dies mit konkreten Forderungen für den Erhalt und die Umwandlung von Arbeitsplätzen in zivile Jobs. So kann die Partei Brücken bauen und helfen, soziale Bewegungen zu verbreitern und zu politisieren. Sie ist relevant für die Gegenwart, sie gibt aber auch eine Orientierung für die Zukunft. Sie hat Überzeugungen, für die sie Menschen gewinnen kann. Nun wird Rüstungsproduktion oder auch das Anbieten von Rüstungsprodukten auf Messen oft nicht mit der besonders guten tödlichen Wirkung der Waffen begründet, sondern damit, dass die Produktion gut für den Standort ist.
Ein schönes Beispiel für eine sozialistische Antwort auf dieses Dilemma lieferte im Jahr 1900 August Bebel in der Reichstagsrede „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“. Er entgegnete vor 110 Jahren im Reichstag den Befürwortern der kaiserlichen Flottenrüstung, die die ablehnende Haltung der damals noch marxistischen Sozialdemokratie mit Hinweis auf die durch Rüstung entstehenden “Arbeitsplätze“ angriffen: “Es kommt doch nicht bloß darauf an, dass man Arbeit schafft, sondern es kommt vor allem darauf an, welche Arbeit man schafft und für welche Zwecke Arbeit geschafft wird, ob ich Arbeit schaffe für Zwecke, die wir von unserem Standpunkte aus in ihren notwendigen Wirkungen und Folgen als kulturwidrig und kulturfeindlich ansehen müssen, oder ob wir Arbeitsmittel und Arbeitszwecke schaffen, die wir als kulturfördernd und kulturhebend ansehen müssen.„
Auch wenn sie damit gegen den Strom schwimmt – DIE LINKE muss sich gegen Rüstungsproduktion und deren Bewerbung stark machen. Kontraproduktiv ist es, wenn Regierungen, an denen DIE LINKE beteiligt ist, mit dem Argument der Standortsicherung für Rüstungsproduktion oder Rüstungsmessen sprechen. So geschehen in Brandenburg mit der Internationalen Luftfahrtausstellung ILA, die zu einer der bedeutendsten Rüstungsmessen Europas geworden ist. Kontraproduktiv ist es auch, wenn DIE LINKE es nicht kritisiert, wenn Gewerkschaften für bestimmte Rüstungsaufträge sprechen.
Ein zweites Beispiel ist der Kampf gegen Rassismus.
DIE LINKE spricht sich klar und deutlich gegen Rassismus aus. Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der alle Menschen gleiche Rechte und Chancen haben – ungeachtet ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung. Um dieses Ziel durchzusetzen, brauchen wir viele Bündnispartner: Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften, Migrantenverbände und viele Organisationen und Initiativen mehr. Nun teilt möglicherweise eine Mehrheit der Bevölkerung die rassistischen und islamfeindlichen Thesen eines geistigen Brandstifters wie Thilo Sarrazin oder findet es zumindest berechtigt, dass er „Klartext“ redet. In Teilen der Linken ist es verbreitet, zu argumentieren, dass man erst die soziale Frage lösen müsse, um dann „Minderheitenthemen“ wie den Kampf gegen Rassismus aufzunehmen. Die Sozialistische Partei in den Niederlanden ist gegenüber Geert Wilders so vorgegangen und hat damit Wilders gestärkt und sich selbst geschwächt.
Richtig ist es, dass DIE LINKE den Kampf gegen Unterdrückung als Teil des Kampfes für soziale Gerechtigkeit und Sozialismus aufnimmt.