Rechtsruck in den Niederlanden: Eine Islamfeind startet durch, die Linke stürzt ab. Jetzt läßt sich die neue Regierung von Wilders ins Amt wählen. Diese Niederlage war vermeidbar. Von Christine Buchholz & Mona Dohle
Die niederländischen Parlamentswahlen im Juni stellten einen deutlichen Rechtsruck dar. Obwohl die regierenden Konservativen (Christlich-Demokratischer Aufruf, CDA) etwa die Hälfte ihrer Stimmen einbüßen mussten, konnte die Linke nicht davon profitieren. Im Gegenteil: Große Sieger waren die beiden neoliberalen Parteien, die VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) von Mark Rutte und Geert Wilders‘ PVV (Partei für die Freiheit). Rutte hatte im Wahlkampf für Kürzungen im Sozialbereich, höhere Studiengebühren und die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 geworben. Er steht zudem für eine restriktive Immigrationspolitik, mehr Polizei und den Bau neuer Atomkraftwerke. Er will den niederländischen EU-Beitrag reduzieren und wettert gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union. Mit diesem Programm wurde die VVD zur stärksten Kraft in den Niederlanden.
Die meisten Stimmen hinzugewinnen konnte die PVV von Geert Wilders. Sie legte von 5,9 auf 15,5 Prozent zu und wurde drittstärkste Kraft. Wilders hatte seinen Wahlkampf auf zwei Punkte fokussiert. Im Zentrum seiner Aktivitäten standen die rassistische Hetze gegen Muslime und die Kritik am politischen Establishment, also an der bis dahin regierenden großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten. Auf diese Weise konnte die PVV einen Großteil der Protestwähler für sich gewinnen. Beispielhaft für Wilders‘ Wahlkampf ist eine Rede, die er am 26. Februar in der Stadt Almere hielt.
Dort erklärte er: »Diese Regierung hat nicht geruht, bis an jeder Straßenecke in den Niederlanden ein Minarett gebaut wurde und auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Auszahlungsbüro für die Sozialhilfe. Und ich muss zugeben, sie haben ihr Bestes gegeben. Balkenende/Bos (die Vorsitzenden der beiden Parteien der großen Koalition; Anm. d. Red.) haben ihr Versprechen gehalten. Niemals zuvor war der Zuzug von Migranten so groß und niemals zuvor wurden so viele Immigranten geduldet.« Dabei bediente sich Wilders, nebenbei bemerkt, einer Lüge: Die Zahl der Migranten hat in den Niederlanden abgenommen. Den Sozialdemokraten warf Wilders vor, sie sprächen nicht mehr die Sprache des »einfachen Mannes«, sondern Arabisch.
Die sozialdemokratische Arbeiterpartei (PvdA) hat durch eine politische Wende vor der Wahl eine schlimmere Wahlniederlage verhindert. Sie verlor weniger Stimmen als erwartet. Die Partei hatte die Verlängerung des Afghanistanmandats verweigert und so den Koalitionsbruch und die Neuwahlen herbeigeführt. Zudem tauschte sie ihre Führung aus: Der Parteivorsitzende und Finanzminister Wouter Bos, wegen der Milliardengeschenke an die Banken unbeliebt, trat zurück. Seinen Platz nahm der Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen ein. Cohen präsentierte sich als moderater Politiker. Viele »strategische Wähler« entschieden sich für ihn, um eine konservative Regierung mit Beteiligung von Geert Wilders zu verhindern.
Dramatisch hingegen waren die Verluste der Sozialistischen Partei (SP), die im niederländischen Parteienspektrum einen ähnlichen Platz einnimmt wie hierzulande DIE LINKE. Ihre Stimmenzahl ging von 1,6 Millionen auf etwa 920.000 zurück, ein Minus von 6,7 Prozentpunkten – und das aus der Opposition gegen eine hochgradig unbeliebte Koalition heraus. Während der letzten Parlamentswahlen hatte die SP noch den größten Zuwachs verzeichnet und kam auf 16,6 Prozent der Stimmen. Die Partei hatte in den Jahren 2003 und 2004 an den breiten Mobilisierungen gegen Sozialabbau mitgewirkt, war treibende Kraft in der Kampagne gegen die EU-Verfassung und gab dem Widerstand gegen die neoliberalen Parteien eine Stimme. Vor allem im Kampf gegen die Rentenkürzungen spielte die Partei eine wichtige Rolle.
Nach einer Welle von Protesten zu Beginn des Jahrtausends, etwa gegen den Irakkrieg oder die konservative Regierung, ebbte die Bewegung gegen Mitte des Jahrzehnts ab. Angesichts dieser Situation deutete die SP-Führung ihren Wahlerfolg von 2006 als Auftrag, die »Zuverlässigkeit« der Partei zu beweisen, um sich für künftige Koalitionsregierungen zu empfehlen. Dementsprechend nahm sie schrittweise ihr radikales Profil zurück.
Das lässt sich beispielsweise anhand der SP-Position gegenüber Militäreinsätzen illustrieren. Sprachen sich die Sozialisten in den vergangenen zwanzig Jahren deutlich gegen die niederländische Mitgliedschaft in der NATO aus, so plädieren sie mittlerweile nur noch dafür, das Militärbündnis zu reformieren. Obwohl die SP den Afghanistankrieg verurteilt, schließt sie »humanitäre« Interventionen der niederländischen Armee nicht aus.
Die Tatsache, dass die SP ihr Profil als klare Oppositionspartei nach und nach auflöste, gab Wilders die Möglichkeit, sich als Hauptkritiker der unsozialen Politik der großen Koalition zu profilieren. Als die gewerkschaftlichen Führungen kampflos die Rentenreform der Regierung akzeptierten, hielt sich die SP mit Kritik zurück. Wilders hingegen prangerte das als »Betrug an den kleinen Leuten« an. Auch später erklärte er zu dieser Frage: »Wir sind für die Niederlande da, wir sind für die Menschen da, deshalb freuen wir uns darauf, Verantwortung als Koalitionspartei zu übernehmen. Die PVV ist dazu bereit. Aber um eine Koalition mit der PVV einzugehen, muss man eines wissen: Das Eintrittsalter für die Altersrente wird bei 65 Jahren bleiben.«
Die Sozialisten hatten Wilders kaum etwas entgegenzusetzen – auch seiner muslimfeindlichen Hetze nicht. Vertreter der SP erklärten zwar, der PVV-Vorsitzende sei ein Rassist. Doch die Partei war nicht in der Lage, seiner Kampagne gegen Burka, Kopftuch und Minarette inhaltlich zu begegnen – geschweige denn mit den Betroffenen gemeinsam Gegenaufklärung und Gegenwehr zu organisieren.
De facto beschränkte sich die SP auf den Kampf gegen Sozialabbau und vernachlässigte den Kampf gegen rassistische Argumente. Sie übersah dabei, dass sich rassistische Vorurteile auflösen können, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam kämpfen und Erfahrungen machen. Die Spaltung der Gesellschaft, etwa in Muslime und Nichtmuslime, birgt hingegen die Gefahr, dass es überhaupt nicht zu gemeinsamen Kämpfen kommt, sondern zu Übergriffen auf die diskriminierte Minderheit, zu Unterdrückung und Ausgrenzung.
Die Schwäche in dieser Frage hat leider eine gewisse Tradition in der SP. Schon Anfang der 1980er Jahre forderte die Partei in einer Broschüre mit dem zweifelhaften Titel »Gastarbeit und Kapital« (Socialistische Partij: Gastarbeid en kapitaal, Rotterdam 1983), dass »Gastarbeiter« sich in die niederländische Gesellschaft und Kultur integrieren müssten. Während die Autoren den Einfluss deutscher Arbeitsmigranten lobend hervorhoben, äußerten sie sich extrem kritisch zu dem Potenzial marokkanischer und türkischer »Gastarbeiter«.
Da es Migranten islamischer Herkunft »beinahe unmöglich sei«, sich zu integrieren, schlug die SP vor, jedem, der freiwillig das Land verlasse, eine Prämie von 75.000 Gulden zu bezahlen. Bis heute ist die SP (laut ihrem Standpunkt zu »EU und Arbeitsmigration«; www.sp.nl/standpunten) gegen die Öffnung der niederländischen Grenzen für Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Osteuropas. Sie kritisiert, diese Maßnahme diene lediglich dazu, das Lohnniveau und die Arbeitsbedingungen in den Niederlanden zu verschlechtern. Diese Ansicht illustriert das eigentliche Problem der SP: Ihre schwache Haltung gegenüber rassistischen Positionen ist zurückzuführen auf eine widersprüchliche Analyse des Kapitalismus.
Einerseits erkennt die SP zwar an, dass Kapitalien grenzüberschreitender agieren, andererseits versucht sie jedoch, die kapitalistischen Konflikte mittels Reformen auf nationaler Ebene zu lösen. Die logische Konsequenz daraus ist Abschottungspolitik und Konkurrenzdenken – anstelle von internationaler Solidarität.
Zusätzlich zu dieser inhaltlichen Schwäche entwickelte die SP eine problematische Strategie, um sich gegenüber der PVV zu profilieren. So sieht die sozialistische Parlamentsfraktion in der Debatte mit Wilders einen wichtigen Aspekt ihrer Arbeit. Während sie der Bevölkerung mangelndes Engagement im Kampf gegen Rassismus vorwerfen, behandeln die Sozialisten die Wilders-Leute im Parlament wie gute Kollegen (vgl. »SP: Van proteststem tot pluche?“ www.socialisme.nu, 01.03.2010). Als die Sozialdemokraten vorschlugen, Wilders bei den Koalitionsverhandlungen zu boykottieren, erklärte die ehemalige Fraktionsvorsitzende der SP, Agnes Kant, dies sei »dumm und undemokratisch« (Trouw, 23.02.2010).
Die SP ist diese Politik teuer zu stehen gekommen: Viele linke Wähler blieben der Wahlurne diesmal fern. Zudem haben seit letztem Jahr 4000 Mitglieder der Partei den Rücken gekehrt – nachdem diese seit Anfang der 1990er Jahre kontinuierlich gewachsen war. Leider macht es bislang nicht den Anschein, als würde die SP aus dieser Niederlage lernen. Stattdessen forderte sie Anfang August erfolglos eine Koalition unter Einschluss der Christdemokraten. Zugleich reduzierte sie die Proteste gegen die Sparpläne – und versprach, im Gegensatz zu einem rechten Kabinett würde man »vorsichtig sparen«. SP-Spitzenkandidat Emile Roemer präsentierte zudem einen Vorschlag für ein Regierungsabkommen. Indirekt wurde darin die Erhöhung des Rentenalters akzeptiert. Außerdem spricht die Parteiführung inzwischen von »notwendigen schweren Einschnitten«. Wer davon betroffen sein wird, lässt sie offen. Profiteur ist weiterhin die PVV. Einen Monat nach den Wahlen war die Wilders-Partei in Umfragen stärkste Kraft. Es wird nun eine Minderheitsregierung aus VVD und Christdemokraten geben, die durch die Wilders-Partei unterstützt wird. Vermutlich wird sich die neue Regierung jedes neue Gesetz teuer erkaufen müssen.