Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bremer Ostermarsches,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

drei Bundeswehrsoldaten sind gestern in der Nähe von Kundus bei Feuergefechten mit Aufständischen getötet wurden. Acht sind verletzt worden, vier von ihnen schwer.
Was war passiert? Aufständische verwickelten Bundeswehrsoldaten während einer Operation im Distrikt Char Darah in Feuergefechte. Bis zu 200 Aufständische sollen die Soldaten angegriffen, stundenlang soll das Feuergefecht gedauert haben.
Liebe Freundinnen und Freunde, mein Mitgefühl ist mit den Angehörigen und Freunden der drei Männer.  Es ist bitter, aber es war absehbar, dass weitere Soldaten sterben werden. Weil der Krieg ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung Afghanistans ist und weil die Bundeswehr immer offensiver an der Aufstandsbekämpfung beteiligt ist.
Ich war vor zwei Monaten in Afghanistan und auch in Kundus. Ich habe mit vielen Soldatinnen und Soldaten gesprochen. Und ich habe eine Vorstellung von diesen Krieg bekommen, der sich in diesem Jahr zum 9. mal jährt. „Wir sind von Anfang an Konfliktpartei“ sagte der Kommandeur des Regionalkommandos Nord, Frank Leidenberger. Genau das war die Einschätzung der Soldatinnen und Soldaten, die mir gegenübertraten. Der Kampf gegen die Aufständischen ist das zentrale Element des Bundeswehreinsatzes. Und nicht der Wiederaufbau, die Demokratie oder Frauenrechte.
Die Soldatinnen und Soldaten kommen in Situationen die sie unmöglich beherrschen können. Sie sollen die Regierung Karzai militärisch gegen den Widerstand absichern. Aber die Menschen in Afghanistan sind voller Verachtung für die Regierung. Denn in ihr sitzen die Warlords der vergangenen Kriege, sie hat nach fast neun Jahren keine nennenswerten Verbesserungen der Lage der Bevölkerung gebracht.??Ohne die Unterstützung der NATO-Staaten wäre diese Regierung nichts.
Deshalb unterstützen viele Afghanen den Aufstand gegen die Regierung Karzai und die ausländischen Truppen.  Die Aufständischen, die die Bundeswehr bekämpft sind  weitestgehend Teil der lokalen Bevölkerung. Jeder Zivilist erscheint den Soldaten als potenzieller Aufständischer.
Da sie die Situation nicht einschätzen und beherrschen können sind Misstrauen und Angst die Gefühle mit denen die Soldaten in Afghanistan unterwegs sind.  Der Bauer am Straßenrand – ein potentieller Angreifer. Der Eselskarren da hinten – eine mögliche Sprengfalle? Misstrauen und Angst ist die Haltung mit der sie den Afghaninnen und Afghanen in den Dörfern gegenübertreten.
In der Angst um das eigene Leben wird schneller geschossen – menschlich nachvollziehbar, für die Situation in Afghanistan fatal.  Im letzten Jahr erschossen Bundeswehrsoldaten an einer Straßensperre einen Zivilisten. Er hatte nicht auf die Signale der Soldaten reagiert und war angehalten. In der angespannten Situation erschienen Oberst Klein in der Nacht zum 4. September 2009 die zwei entführten und auf einer Sandbank feststeckenden Tanklastzüge in als „Unmittelbaren Bedrohung“
Das Massaker von Kundus war eine logische Konsequenz aus der Tatsache, dass die NATO in Afghanistan Krieg gegen die Aufständischen führt, die breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Aufstandsbekämpfung und Schutz der Bevölkerung sind unvereinbar.
Nicht nur Soldaten sterben. Die meisten Opfer des Krieges sind Zivilisten. Wird der Krieg weitergehen – und so sieht es leider aus –  werden weitere Menschen getötet werden. Für das vergangene Jahr zählte die UNO 2 140 unbewaffnete Todesopfer, darunter 346 Kinder, Tendenz steigend.  Jeder Tote hinterlässt eine Lücke – Jedes Opfer hat ein Gesicht.
Wir haben uns in Afghanistan mit Opfern und Hinterbliebenen des Bombenangriffs vom 4. September getroffen.  Noor Djan ist 26 Jahre alt. Er hat drei Kinder, seine Frau ist hochschwanger, und sie haben kein Geld. Er hat bis wenige Tage vor der Bombardierung in einer Plastikfabrik im Iran gearbeitet, weil er in Afghanistan nicht genug Geld verdienen kann. Die Explosion hat seinen rechten Arm abgerissen. Im Krankenhaus wurde er wieder angenäht, aber die Hand ist verloren und der Arm nicht mehr zu gebrauchen. Er hat ständig Schmerzen, kann nicht mehr schlafen, und er kann nicht mehr für seine Familie sorgen. Er sagte uns: Jeden Tag wünsche ich mir, ich wäre getötet worden.
91 Frauen sind durch den Angriff zu Witwen geworden. Die meisten von ihnen sind nun von Almosen abhängig.  Bulbul konnte ihre drei kleinen Enkel nicht davon abhalten, mit den anderen zum Fluss zu laufen. Die drei starben im Feuerball. „Wären wir nicht arm“ – klagt Bulbul – „hätten wir kein Benzin gebraucht.“ Die Begegnung mit den Hinterbliebenen hat mir deutlich gemacht: Deutschland führt Krieg gegen die einfache Bevölkerung in Afghanistan. Und deshalb wird es immer wieder zu Angriffen auf Soldaten kommen. Je stärker Deutschland in den Krieg verstrickt ist, desto öfter und desto heftiger.
Gestern sprach zu Guttenberg von einer Abzugsperspektive. Das ist zynisch – auch gegenüber den Soldaten. Er erweckt genauso wie Obama den Eindruck, im Sommer 2011 den Truppenabzug zu beginnen. In Wirklichkeit schickten die USA 30.000 zusätzliche Soldaten, die Bundesregierung erhöhte ihre Truppen auf 5.350.  Das ist eine Lüge: Die NATO-Staaten eskalieren den Krieg. Die laufende Offensive in Helmand und die  angekündigte Offensive in Kandahar zeigen, worum es wirklich geht: Um den militärischen Sieg über die Aufständischen.
Die Zahl der afghanischen Opfer  wird steigen. Die Bombardierung von Kunduz im Auftrag der Bundeswehr kostete über 140 Menschen das Leben, darunter 26 Jugendlichen. Die Zahl der toten Soldaten wird steigen. Aus Geheimdienstkreisen wurde berichtet, dass die angreifenden Aufständischen von gestern aus Helmand nach Norden ausgewichen sind. Die Offensive in Helmand führt also nicht zu weniger Krieg, sondern zu einer Ausweitung des Krieges.
Eine weitere Lüge hatte gestern unser zivil-militärischer Entwicklungshilfeminister Niebel parat:
Man müsse gerade jetzt den zivilen Aufbau weiter militärisch schützen. Meinen tut Niebel und die Regierung aber etwas anderes. Neulich sagte Niebel im Bundestag, man müssen das Militär noch eine Weile entwicklungspolitisch flankieren. Genau darum geht es. Entwicklungshilfe dient der Regierung ausschließlich und alleine der Legitimationsbeschaffung für den Militäreinsatz.
ISAF Kommandeur Mc Crystal sagt, 40% der Aufstandsbekämpfung muss Wiederaufbau sein. Damit instrumentalisiert er die dringend benötigte Hilfe für einen Krieg, der in Afghanistan so unbeliebt ist wie in Deutschland. Ich habe in Afghanistan selbst gesehen wie Soldaten, die für CIMIC „zivilmilitärische Zusammenarbeit“ ausrücken. In gepanzerten Fahrzeugen, begleitet von bis an die Zähne bewaffneten Schutzsoldaten. So fahren sie in die Dörfer.  Stellen Sie sich das mal vor. Zu ihnen ins Dorf kommt eine bewaffnete Kolone Militärfahrzeuge, ein Mann springt vom Wagen und fragt wo er den nächsten Brunnen bauen soll. So kann Wiederaufbau nicht aussehen. Das ist eine Farce.
Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist der deutlichste Ausdruck für die zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Weitere Elemente dieser Militarisierung sind der steigende Waffenexport und die Teilhabe an den US-Atomwaffen in Deutschland. Es geht um
Zugang zu Ressourcen weltweit. Das bedeutet zum einen den Zugang zu Öl, Gas und anderen in Zukunft dringend benötigten Rohstoffen. Der Kampf um die knapper werdenden Naturgüter ist im vollen Gange – in Zentralasien, aber auch in anderen Regionen und Kontinenten wie z.B. Afrika. Das bedeutet zum anderen die Absicherung der Handelswege – wie z.B. am Horn von Afrika, einen Sitz im Weltsicherheitsrat, denn die Herrschenden in Deutschland wollen so bald es geht mitsprechen wenn es um die globale Interessenspolitik geht, Routine als Interventionsarmee. Denn die brauchen sie, zum einen weil sie als Großmacht militärisch ernst genommen werden möchten und zum anderen  weil sie die Gesellschaft an Krieg gewöhnen wollen.
Deutsche Industrie und die deutsche Wirtschaft sind das Maß aller Dinge. Sie brauchen die Rohnstoffe, die Absatzmärkte und die sicheren Handelswege um ihre Profite zu sichern und sich gegen die internationale Konkurrenz durchzusetzen.
Darum geht es.
Nicht um das Leben der Soldaten.
Nicht um das Wohl der Menschen in Afghanistan .
Vor 50 Jahren fand der erste Ostermarsch statt.
Heute kämpfen wir gegen die alten Bedrohungen und die neuen Kriege.
Wir fordern den Abzug der US-Amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland!
Wir fordern ein Ende der Rüstungsproduktion und ein Verbot von Rüstungsexporten!
Wir fordern ein Ende der Auslandseinsätze der Bundeswehr!
und wir fordern als allererstes:
Hört auf mit dem Töten in Afghanistan !
Schickt keine weiteren Soldatinnen und Soldaten in den Tod!
Zieht endlich die Bundeswehr ab aus Afghanistan!