Beitrag von Christine Buchholz auf der Veranstaltung „Nach der Wahl – Quo Vadis Linkspartei? Auswertung der Bundestagswahlen mit Parteienforscher Oskar Niedermayer und André Brie, Christine Buchholz und Ulrich Maurer“ in der Reihe „Politik aktuell“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 8.10.1009*
Der Wahlerfolg der LINKEN bei der Bundestagswahl 2009 macht ein klares politisches Profil und eine Strategie zum Aufbau des außerparlamentarischen Widerstands nötig. So lässt sich die Schlussfolgerung aus dem Wahlergebnis vom 27.9.2009 auf den Punkt bringen.
Bemerkenswert ist sowohl der drastische Absturz der SPD als auch die Tatsache, dass DIE LINKE flächendeckend insgesamt 1 Million Stimmen hinzugewonnen hat: Im Norden und im Süden, im Westen und im Osten, in den Städten, aber auch im ländlichen Raum, bei Erst- und bei Zweitstimmen.
Das Wahlergebnis reflektiert eine gesellschaftliche Polarisierung anhand der Klassenlinien der Gesellschaft.
Auf der einen Seite jubelt die deutsche Wirtschaft und fordert einen „stärker marktwirtschaftlich orientierten Kurs“ (Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank). Einen „klaren Sanierungskurs“ den Haushalt betreffend und eine „weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes“ möchte der Deutsche Industrie und Handelskammertag.
Die FDP fordert Steuerentlastungen für die Unternehmer durch ein neues Lohn- und Einkommenssteuermodell. Eine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent und die Abschaffung der Gewerbesteuer sind jedoch Geschenke an Wirtschaft und Besserverdienende mit dramatischen Auswirkungen auf die Haushalte von Ländern und Kommunen.
Auf der anderen Seite wurde DIE LINKE als Partei der sozialen Gerechtigkeit und Antikriegspartei gestärkt. Ihr Erfolg beruht auf der Absage an einen rot-rot-grünen Lagerwahlkampf und auf einem politisch scharfen Klassenwahlkampf. Inhaltlich war die Wahlkampagne 2009 viel schärfer als 2005. Mit Slogans wie „Mindestlöhne gerade jetzt“, „Raus aus Afghanistan“, „Gegen die Rente mit 67“ knüpfte sie an Kampagnenforderungen der letzten Jahre an und war sehr viel politischer als die recht abstrakte 2005er-Kampagne, die mit Slogans wie „Dem Trübsinn ein Ende“ geführt wurde. Mit der strikt inhaltlichen Ausrichtung hob sie sich deutlich von den Floskeln der anderen Parteien ab.
Wichtig für die Einschätzung der Stimmungslage in der Gesellschaft ist auch, dass die neue Regierung nicht das Ergebnis eines Rechtsschwenks in der Bevölkerung ist: Das bürgerliche Lager verlor insgesamt 311.166 der Zweitstimmen gegenüber 2005. Innerhalb des bürgerlichen Lagers haben sich die Stimmen zur FDP verschoben.
Das erklärt auch, warum es für die neue Koalition so schwer ist, Farbe zu bekennen. Das vorsichtige Auftreten Merkels zeigt, dass diese Regierung sich nicht sicher fühlt. Sie weiß, dass die öffentliche Stimmung gegen Sozialabbau steht. Mit diesem Widerspruch müssen die schwachen Sieger CDU und FDP jetzt Politik machen. Dennoch ist klar – infolge der Wirtschaftskrise werden Angriffe kommen, teils offensichtlich, teils in verdeckter Form.
Der Grund für die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag ist also nicht die gesellschaftliche Zustimmung zur Politik des bürgerlichen Lagers, sondern vielmehr der katastrophale Stimmenverlust der SPD infolge der fortgesetzten Politik des Sozialabbaus und des Krieges.
Wählten 1998 noch 20 Millionen Bürgerinnen und Bürger die SPD, waren es am Ende der Rot-Grünen Ära noch rund 16 Millionen. Nach den Jahren der großen Koalition sind es nur noch knapp 10 Millionen.
Eine ähnliche Entwicklung verzeichnet die Mitgliedschaft der SPD. Zwischen 1990 und 2009 hat sie mehr als 400.000 Mitglieder verloren.
Mit dem Wahlergebnis ist eine Diskussion über mögliche zukünftige linke Mehrheiten angestoßen worden. Diese Diskussion orientiert auf eine mögliche Regierungsbeteiligung 2013, aber auch auf das Regieren in den Bundesländern.
Ein Teil der LINKEN orientiert auf linke Bundesratsmehrheiten zwecks der Blockade von schwarz-gelben Kürzungs- und Umverteilungsgesetzen. Diese Diskussion führt in eine völlig falsche Richtung. Eine Orientierung auf Bundesratsmehrheiten macht DIE LINKE abhängig von potentiellen Koalitionspartnern und macht faule Kompromisse wahrscheinlich. Eine LINKE, die sich demütigt und Zugeständnisse an die SPD macht, blockiert den Widerstand und befördert ihn nicht.
Dies gilt insbesondere unter den Bedingungen der Krise, die ja auf die Landes- und Kommunalhaushalte durchschlagen wird und vor dem Hintergrund der „Schuldenbremse“, die die Handlungsfähigkeit des Staates massiv einschränkt.
Die eigentlich interessante Frage ist nicht, wie DIE LINKE sich zukünftig an Regierungen beteiligen kann, sondern wie sie unter den Bedingungen von Schwarz-Gelb ihre Forderungen durchsetzt. Nicht Arithmetik und Koalitions-Farbenspiele sind entscheidend, sondern der Stand der Klassenkämpfe und der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.
Ohne massive gesellschaftliche Kämpfe oder zumindest die Angst der Regierung vor solchen Kämpfen wird DIE LINKE weder Angriffe von Schwarz-Gelb abwehren können, noch auch nur eine ihrer Forderungen durchsetzen können.
Daraus ergibt sich eine doppelte Anforderung an DIE LINKE.
Zum einen muss sie eine Strategie für den Aufbau des außerparlamentarischen Widerstandes entwickeln. Schwarz-Gelb ist nur so stark, wie wir es zulassen.
Die letzte schwarz-gelbe Regierung wurde letztendlich durch Massenproteste von Gewerkschaften, Studierenden, politischen Bewegungen und – last but not least – den Lohnfortzahlungsstreik gestürzt. Gesellschaftliche Kämpfe erzeugten ein Klima, in dem ein Regierungswechsel möglich wurde. Dass dieser Regierungswechsel gerade keinen Politikwechsel bedeutete, dass die bis dato linkeste Regierungskoalition – Rot-Grün – den größten Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik und den ersten Kriegseinsatz durchführte und den Widerstand dagegen nachhaltig schwächte, zeigt, dass eine linke Regierung ohne linke Politik nicht das Ziel sein kann.
DIE LINKE kann wirken, wenn sie das Parlament nutzt, um klar und deutlich Positionen der sozialen Bewegungen zu verstärken. Ein Beispiel ist der Krieg gegen den Afghanistaneinsatz. Nutzt DIE LINKE ihre öffentliche Aufmerksamkeit, um mehr Menschen für den Kampf gegen den Afghanistankrieg zu gewinnen, stärkt sie die Friedensbewegung.
Mit ihren Strukturen kann die Partei die Bewegungen vor Ort aufbauen, Bündnisse schließen und bis tief in die Bevölkerung hineinwirken. Ihr Ziel muss es sein, die Menschen zu ermutigen und dabei zu unterstützen, selbst für ihre Ziele zu kämpfen. Beispielsweise dabei, in den nächsten Monaten vor Ort Widerstand und Solidarität gegen drohende Massenentlassungen zu organisieren.
Sie muss Teil sein der Proteste gegen den Afghanistankrieg und sich – wie bereits vor der Wahl – an den laufenden Anti-Atom-Protesten beteiligen und im Februar aktiv die Mobilisierung gegen den geplanten Nazi-Aufmarsch in Dresden, am Jahrestag der Bombardierung der Stadt, vorantreiben.
Ein weiterer Strang des Protestes ist die Bildungsstreikbewegung, die bereits jetzt Druck entfaltet, um den Verschlechterungen an den Universitäten infolge der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen entgegenzuwirken.
Zum anderen muss sich DIE LINKE bewusst werden, dass jede Enttäuschung, die sie produziert, fatale Wirkungen auf den weiteren Aufbau der Partei und des außerparlamentarischen Widerstandes haben kann.
Die SPD-ler, die für eine rot-rote Option sind, sagen selbst offen, dass sie DIE LINKE in die Regierung nehmen wollen, um eventuellen Protesten gegen massive Kürzungen die politische Spitze zu nehmen. Den Potsdamer Neuen Nachrichten sagte Platzeck: „Ich habe im Wahlkampf gesagt, dass harte Zeiten auf das Land zukommen, dass wir nach guter Entwicklung in einzelnen Bereichen umso mehr für den Zusammenhalt des Landes sorgen müssen.“ Dies sei einer der Gründe für Rot-Rot gewesen.
Der einzige Weg aus dem Dilemma liegt darin, klare Bedingungen an Verhandlungen zu koppeln: Kein Sozialabbau, kein Personalabbau im öffentlichen Dienst, keine Privatisierung und keine Kriegseinsätze, Rücknahme von Hartz IV und der Rente mit 67.
Diese Punkte sind nicht verhandelbar. Sie sind für die Landes- und Bundesebene und auch für Bundesratsinitiativen gültig. In Thüringen hatte DIE LINKE in den Koalitionsverhandlungen richtigerweise Bundesratsinitiativen gegen die Rente mit 67, Hartz IV und die Schuldenbremse von der SPD gefordert.
Die Voraussetzung für potentielle linke Mehrheiten ist, dass es eine politische Grundlage dafür gibt. So lange alle anderen Parteien Krieg für ein Mittel der Politik halten und nicht bereit sind, für die Rücknahme der Rente mit 67, ein Ende der entwürdigenden Hartz-Gesetze und eine wirkliche Energiewende zu stimmen, gibt es keine gemeinsame inhaltliche Grundlage für Regierungskoalitionen.
Dabei sollten wir sehr wohl mit der SPD und mit den Grünen reden. Die Frage ist ja nicht, OB wir mit ihnen reden, sondern WIE wir mit der SPD reden. Zum Beispiel sollten wir die SPD-Führung auffordern, mit uns gemeinsam gegen Angriffe von Schwarz-Gelb und für die Durchsetzung gemeinsamer Forderungen, wie den Mindestlohn, zu kämpfen.
So können SPD und LINKE ihrer Wählerschaft praktisch unter Beweis stellen, wer besser für ihre Interessen kämpft.
Eine große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der LINKEN ist für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN, eine große Mehrheit ist aber auch dafür, dass DIE LINKE nicht ihre Positionen verkauft. Wenn DIE LINKE beliebig wird, wird sie nicht mehr gebraucht. Ein Verrat der LINKEN an ihrer Wählerschaft ist schlimmer als der Verzicht auf Beteiligungen an Regierungen unter den gegenwärtigen Bedingungen.
* Christine Buchholz ist Mitglied des Bundestages, sie wurde über die hessische Landesliste gewählt. Der Text ist eine am 19.10.2009 aktualisierte Version des Referates vom 8.10.2009