Nach mehr als 20 Jahren bin ich aus der Linken ausgetreten. Ich dokumentiere hier mein Austrittsschreiben.
Liebe Genoss*innen,
hiermit erkläre ich meinen Austritt aus der Linken.
Dieser Schritt ist nach 20 Jahren ein tiefer Einschnitt, den ich begründen möchte.
Der Ausschlussantrag gegen Ramsis Kilani und die Versuche seiner öffentlichen Diskreditierung sind der aktuelle Anlass, der mich zu dem Austritt bewegt hat.
Ich halte es für indiskutabel, dass zwei ehemalige Funktionsträger*innen, die von Mandaten der Linken leben, einen Ausschlussantrag gegen ein Basismitglied anstrengen, das ihrer Meinung nach der Partei wegen seiner pro-palästinensichen Positionen Schaden zugefügt habe.
Mit diesem durch einschlägige Pressevertreter sekundierten Angriff haben sie den eigentlichen Schaden bewirkt, nämlich die Linke in Deutschland und international noch weiter von der Palästina-Solidarität wegzubewegen und damit für viele, nicht nur junge migrantische Personen, unwählbar zu machen.
Dass der Parteivorstand in seiner Mehrheit genauso wie der Berliner Landesvorstand nichts getan hat, um der Diffamierung Ramsis‘ durch die Lokalpresse entgegenzuwirken, ist ebenso empörend wie erwartbar gewesen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat es die Prominenz der Partei immer vermieden, sich hinter die Genoss*innen zu stellen, die wegen ihrer Kritik an der israelischen Besatzung, Blockade und Vertreibungspolitik öffentlich angegriffen wurden. Diese Feigheit ist die Kehrseite der absoluten Zaghaftigkeit, den Genozid in Gaza und die deutsche Mittäterschaft anzuklagen.
Der Reformerflügel hat von Parteigründung an versucht, das Image als linke Oppositions- und Protestpartei abzuschütteln und im politischen Establishment akzeptiert und schließlich koalitionsfähig zu werden. Das ist nicht weiter verwunderlich. Was in den letzten Jahren neu war, war der Versuch des Parteizentrums aus Teilen der Reformer und der Bewegungslinken, die politischen Widersprüche in der Linken nicht für lebendige Debatten zu nutzen, sondern wegzumoderieren. Dies hat zu einer Rechtsverschiebung in der politischen Positionierung und zu einer Entpolitisierung der Parteipraxis geführt.
So hat sich die Parteiführung in den letzten Jahren um eine offensive Haltung gegen Waffenlieferungen im Ukrainekrieg herumgedrückt und mit ihrer Zögerlichkeit sowohl den standortnationalistischen Argumenten des BSW als auch der im Kern faschistischen AfD Raum gegeben.
Die Linke hat ihren Charakter verändert – daran ändern leider auch die Eintritte von aktivistischen Leuten nichts, wenn die politischen Probleme nicht diskutiert und gelöst werden.
Mein Austritt ist auch ein Protest gegen doppelte Standards im Umgang mit unterschiedlichen Genoss*innen. Denn wer diffamiert und diszipliniert wird und wer nicht, hängt mit den innerparteilichen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen zusammen. Ob Dietmar Bartsch sich für Waffen an Israel, Klaus Lederer, Katina Schubert und Carola Rackete für Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen – all das passiert, ohne dass es irgendeine Konsequenz hat. Auch hier kann man sehen, dass die Partei kein politisches Gegengewicht zu dem Druck darstellt, den der Parlamentarismus produziert.
Diese Erkenntnis ist schmerzhaft, weil ich mehr als 20 Jahre lang Energie und Herzblut in den Aufbau der Linken gesteckt habe.
Im November 2004 wurde ich in Nürnberg in den Bundesvorstand der WASG gewählt und habe mit einer Pause von zwei Jahren im Vorstand der WASG und ab 2007 der Linken gearbeitet.
Die Linie und Kampagnen der Linken zu Bundeswehreinsätzen u.a. in Afghanistan und Mali habe ich genauso mitentwickelt, wie die Antwort der Linken auf den Rassismus Sarrazins und die Einschätzung der AfD als inzwischen im Kern faschistische Partei. Ich habe für eine Thematisierung des antimuslimischen Rassismus gekämpft und dafür, dass die Linke eine nicht-religiöse bleibt, aber keine anti-religiöse Partei wird.
Als Mitglied des Bundestages habe ich versucht, eine Arbeit zu leisten, die sich nicht an den Gepflogenheiten des Parlaments ausrichtet, sondern den Erfordernissen der außerparlamentarischen Bewegungen.
Ich habe gegen den Versuch Sahra Wagenknechts gestritten, die Migrationspolitik der Linken infrage zu stellen und damit Wasser auf die Mühlen der AfD zu schütten.
Genauso habe ich mich seit der Parteigründung dafür eingesetzt, dass die Linke ihre friedenspolitischen Grundsätze offensiv vertritt und dem von Karl Liebknecht formulierten Leitspruch „der Hauptfeind steht im eigenen Land“ gerecht wird.
Diese Grundsätze hat der Reformerflügel von Anfang an infrage gestellt, genau wie das konsequente Nein zu Auslandseinsätzen und zur NATO.
Die Position zu Israel und Palästina war auch von Beginn an umstritten. 2008 hielt Gregor Gysi eine Grundsatzrede in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, in der er von der Linken eine Unterordnung unter die Staatsräson forderte und argumentierte, die Linke müsse sich vom Antiimperialismus verabschieden.
Die friedenspolitischen, antikapitalistischen und antiimperialistischen Kräfte in der Linken konnten in den ersten Jahren erfolgreich Angriffe auf das Programm zurückdrängen. Die erfolgreichen Mobilisierungen gegen die Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und Irak gaben denen Rückenwind, die für eine klare friedenspolitische Haltung eintraten.
Schon zu dem Zeitpunkt steckten hinter den Positionen der Linken lange, teils erbitterte Auseinandersetzungen, gab es Diffamierungen und Denunziationen, aber es war möglich, die Linie zu halten und handlungsfähig zu bleiben. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Ich bedanke mich bei vielen Genossinnen und Genossen für unglaublich wertvolle Erfahrungen in den letzten Jahren im Landesverband Hessen, im Parteivorstand, als Mitglied der Bundestagsfraktion, in vielen Arbeitsgruppen, Kommissionen und Aktivengruppen. Ich bleibe an der Seite derer, die weiterhin für internationalistische und antimilitaristische Positionen streiten und sich für eine Friedensbewegung einsetzen, die genauso eindeutig Putin kritisiert wie die NATO. Angesichts dessen, dass es keine relevante Alternative links von der Sozialdemokratie gibt, werde ich trotz allem die Linke auch wählen und ihre Wahl empfehlen.
Ich würde mich freuen, wenn meine Befürchtungen nicht einträten und sich die Linke berappeln und an ihre Stärke der ersten Jahre anknüpfen könnte.
Allen, die weiter in der Linken versuchen, etwas zu verändern, wünsche ich Erfolg und werde sie solidarisch begleiten.
Ich bin für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich mehr außerhalb erreichen kann, im Rahmen von Aufstehen gegen Rassismus, der Antikriegsbewegung und der Gruppe Sozialismus von unten.
Solidarische Grüße,
Christine