Ein Kommentar zu Sahra Wagenknechts Sammlungsbewegung von Hubertus Zdebel und Nicole Gohlke und mir

Die Ausgangsfrage, die Wagenknecht, Lafontaine und andere umtreibt, ist richtig: wie kann DIE LINKE stärker von der Erosion der SPD profitieren und der AfD das Wasser abgraben? Die von ihnen vorgeschlagene Antwort ist jedoch falsch.
Mitte Mai wurde ein Entwurf des Aufruftextes für eine neue politische Sammlungsbewegung öffentlich, den maßgeblich Oskar Lafontaine verfasst hatte. »Für ein gerechtes und faires Land« ist der Text überschrieben und trägt zudem den Hashtag #fairland. Sahra Wagenknecht und andere wollten die Initiative – mit Aufruf und prominenten Unterstützerinnen und Unterstützern – ursprünglich noch vor der Sommerpause starten. Nun wurde verkündet, den Start auf September zu verschieben und auch das Label #fairland zu verwerfen. Die politische Ausrichtung wurde nicht relativiert.
Der vorliegende Entwurf für eine Gründungserklärung fällt politisch hinter die Programmatik der LINKEN zurück. Das ist kein Zufall, denn Lafontaine und andere sind der Meinung, dass die radikale Programmatik der LINKEN – insbesondere in Themen wie Flüchtlingspolitik oder Integration – ein Hindernis sei, um Mehrheiten gewinnen zu können. Wir teilen diese Analyse nicht.

Kein Wort zu Rassismus und der AfD

Eine zentrale Schwäche ist, dass die Erklärung sich um die Auseinandersetzung mit dem Rassismus und den Aufstieg der AfD drückt. Der Aufstieg der Rechten und der Vormarsch des Rassismus werden gar nicht reflektiert. Die AfD wird an keiner Stelle erwähnt. Eine Sammlungsbewegung, die sich über Rassismus ausschweigt und nicht die soziale Perspektive mit dem offensiven Kampf gegen Rassismus zusammenbringt, wird den Anforderungen der politischen Auseinandersetzung nicht gerecht.
Die AfD lässt sich nur schwächen, wenn man den Rassismus brandmarkt und in die offene Auseinandersetzung geht. Diesen neuralgischen Punkt kann die Linke nicht umschiffen, wenn sie sich auf die sonst völlig richtig genannten Themen »Frieden« und »Neoliberalismus« reduziert und zum Rest schweigt. Es ist ebenso wenig hilfreich, von der AfD und Teilen der Medien groß gemachte Themen als »berechtigte Anliegen« aufzugreifen. Das wird die AfD und die geschürten Ängste und Vorurteile nur bestärken. Wir müssen ihrer Erzählung frontal widersprechen: Nein, unser Problem ist nicht, dass Merkel zu viele Flüchtlinge ins Land gelassen habe. Nein, Muslime bedrohen nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt, etc.

Ressentiments gegen den Islam und Law-and-Order

Die mittlerweile weit verbreiteten Vorurteile gegen Muslime werden im #fairland-Papier überhaupt nicht benannt. Stattdessen werden dort Ressentiments gegen den Islam reproduziert: »Wenn die Politik dann noch zuschaut, wie Hassprediger eines radikalisierten Islam schon 5jährigen Kindern ein Weltbild vermitteln, das Integration unmöglich macht, wird das gesellschaftliche Klima vergiftet.« Diese Erzählung baut keine Zerrbilder und Ängste ab, sondern verstärkt sie. Zudem stellt das die bisherige Argumentation der LINKEN auf den Kopf: mangelnde Integration ist Ausdruck von sozialer, politischer und kultureller Ausgrenzung, von Diskriminierung und Rassismus. Dafür machen wir die herrschende Politik verantwortlich und nicht Migranten und Muslime, die von Diskriminierung betroffen sind.
Ähnlich problematisch ist das Herangehen an den Begriff der »Sicherheit«. Im Zentrum sollte für DIE LINKE hier die soziale Sicherheit stehen sowie der Verweis auf die Ursachen von Kriminalität. Im #fairland-Papier hingegen wird zentral gefordert: »mehr Personal und bessere Ausstattung von Polizei und Justiz.« Wer über mehr Polizei redet, darf über das Polizeiaufgabengesetz nicht schweigen. Eine linke Bewegung muss jetzt in den Widerstand gegen die groteske Ausweitung der Exekutivbefugnisse gehen. Der bürgerliche Staat ist weder neutral noch stillstehend, sondern reagiert mit einer autoritären Wende auf die politische Legitimationskrise.

Schwammiger Antikapitalismus, falsche Friedens- und kaum Umweltpolitik

Eine weitere Schwäche ist der schwammige Antikapitalismus und unscharf definierte Begriffe, wer eigentlich Gegner linker Politik ist. Der Kapitalismus als System, das auf Ausbeutung, Wettbewerb und Profit basiert, wird nicht als Kernproblem benannt, sondern international operierende Großkonzerne, Hedgefonds und Banken, die unmoralisch agieren. Das schwächt die Perspektiven des Widerstands, wenn Illusionen geschürt werden in vermeintlich aufrechtere Unternehmer als Adressaten für gesellschaftliche Veränderung.
In der Friedenspolitik bietet das Papier eine Fehlorientierung, wenn es in Abgrenzung zur USA »die europäischen Interessen in den Mittelpunkt stellt«. Das ist eine Fehlorientierung, weil dies korrespondiert mit den aktuellen imperialistischen Interessen Deutschlands und Frankreichs, die eigenständige Handlungsfähigkeit der Banken und Konzerne im globalen Wettbewerb über den Aufbau einer EU-Verteidigungsarmee herzustellen. Hier muss DIE LINKE scharf Paroli bieten.
Umweltpolitisch klafft eine große Lücke im Papier. Es gibt das Schlagwort »naturverträglich Wirtschaften«, aber es wird keine Antwort gegeben, wie etwa in der Klimafrage eine CO²-Reduktion erreicht werden könnte. Forderungen wie Ausstieg aus der Braunkohle oder Ausbau des ÖPNV finden keine Erwähnung. Das fällt hinter die sozial-ökologischen Positionen der LINKEN zurück und ist eine fahrlässige Beschränkung der (tages-)politischen Herausforderungen für progressive Politik.

Kein Bezug auf reale Kämpfe

Zuletzt sei angemerkt: #fairLand ist keine Bewegungs-Sammlung – in keinem Satz bezieht sich der Text auf reale Kämpfe. Das ist eine große strategische Schwäche. Gesellschaftliche Veränderungen erreichen wir nicht in erster Linie durch schlaues Agieren Prominenter in Talkshows oder Parlamenten, sondern vielmehr durch Mobilisierungen auf der Straße und in den Betrieben. Linkes Kernanliegen muss die Selbstermächtigung von ausgebeuteten und unterdrückten Menschen sein – linke Organisationsformen müssen diesem Anliegen Rechnung tragen.
Dem richtigen Anspruch der Stärkung der gesellschaftlichen Linken, auch über die Partei DIE LINKE hinaus, wird die Initiative von Wagenknecht und Lafontaine nicht gerecht. Es ist ein Fehler, dass die Initiatoren (immerhin Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag sowie im Landtag des Saarlandes) ihre Idee nicht in der Partei zur Diskussion gestellt haben. Nun hat sie das Potential, DIE LINKE zu spalten. Der anvisierte Startpunkt im September ist fatal, er würde der LINKEN vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen einen Bärendienst erweisen. Wir hoffen, dass von der Initiative Abstand genommen wird.
Lasst uns in der LINKEN wie außerhalb daran arbeiten, dass gesellschaftliche Bündnisse entstehen, in denen Menschen selbst für ihre Interessen aktiv werden. Dass unbefristet Beschäftigte gemeinsam mit den Befristeten und Leiharbeitern für Entfristung und ein Ende der Leiharbeit kämpfen, dass die männlichen Facharbeiter mit ihren Kolleginnen für Gleichberechtigung und Equal Pay kämpfen, dass die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter die Geflüchteten als ihre Kolleginnen und Kollegen ansehen, mit denen sie gemeinsam für gute Arbeitsbedingungen und einen Mindestlohn kämpfen, von dem man leben kann. Alle gemeinsam stellen wir uns der AfD entgegen. Dies ist eine solidarische, verbindende Klassenpolitik für die es sich lohnt Menschen zu gewinnen.