Deutsche Soldaten haben in Nordafrika nichts zu suchen

„Deutsche Soldaten haben in Nordafrika nichts zu suchen“, kommentiere ich für die Fraktion DIE LINKE, aktuelle Meldungen, wonach Vertreter der Bundesregierung diese Woche in Tunis einen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr sondieren wollen:

„Es geht bei einem möglichen Einsatz in Tunesien um die Verstrickung der Bundeswehr in den Libyenkonflikt. Ministerin von der Leyen hatte bereits eine militärische Ausbildungsmission für Libyen ins Gespräch gebracht, ohne dass bis heute klar wäre, wessen Soldaten überhaupt ausgebildet werden sollen. Offenbar ist ihr Interventionsdrang nach Nordafrika so stark, dass sie nun zur Schaffung der notwendigen militärischen Voraussetzungen nicht einmal die Bildung einer libyschen Einheitsregierung abwarten mag.
Der neue Vorstoß der Bundesregierung ist auch im Zusammenhang mit dem US-amerikanischen Luftangriff gegen Libyen in der vergangenen Woche zu sehen, der mindestens 49 Menschenleben gefordert hat, darunter offenbar auch das Leben zweier serbischer Geiseln. Selbst die von Berlin anerkannte Regierung in Tobruk hat den Angriff verurteilt. Das Schweigen der Bundesregierung und der neue Vorstoß für eine Ausbildungsmission können nur als Unterstützung für diese selbstherrliche und rücksichtslose Bombenpolitik der USA verstanden werden.“

Revolution in Ägypten und Tunesien - ein Reisebericht

Am 25. Januar jährt sich zum zweiten Mal der Ausbruch der Revolution in Ägypten, die Diktator Mubarak gestürzt hat. Die Bewegung knüpfte an die Volkserhebung in Tunesien an, die den dortigen Diktator Ben Ali zuvor aus dem Amt gefegt hatte. Passend zu diesem Jubiläum liegt jetzt in Broschürenform der Bericht zur Reise vor, die ich mit meiner Kollegin Annette Groth nach Ägypten und Tunesien im vergangenen September durchgeführt habe. In zahlreichen Gesprächen haben wir uns ein Bild davon machen können, wie tief die revolutionären Prozesse die Länder verändert haben. Und wie eine neue Linke am Entstehen ist. Der Bericht ist hier in PDF-Form zu finden.


Reisebericht Ägypten und Tunesien

Christine Buchholz, Annette Groth
Mitglieder des Deutschen Bundestages
Fraktion DIE LINKE

Bericht von unserer Reise nach Ägypten und Tunesien
15. – 22. September 2012
Im Zeitraum vom 15. bis 22. September haben wir die Länder Ägypten und Tunesien besucht, um uns ein Bild von den Veränderungen seit Beginn der revolutionären Umwälzungen zu machen. Unsere Reise wurde überschattet von der Verbreitung eines in den USA produzierten, antimuslimischen Schmähvideos im Internet. Das Erscheinen dieses Filmes rief Proteste salafistischer Kräfte vor westlichen Botschaften in mehreren muslimisch geprägten Ländern und auch in Ägypten hervor. Wenige Tage vor unserer Ankunft in Ägypten war die deutsche Botschaft im benachbarten Sudan gestürmt worden. Vor diesem Hintergrund ordnete das Auswärtige Amt (AA) die Schließung der Botschaft Deutschlands in Kairo an. Uns wurde durch das zuständige Referat im AA am Vorabend unserer geplanten Abfahrt dringend abgeraten, nach Nordafrika zu fahren. Ungeachtet dessen hielten wir an der Durchführung der Reise fest.
Vorliegender Bericht gibt Inhalte der einzelnen Gespräche wieder. Ein Resümee der wichtigsten Ergebnisse haben wir bereits unmittelbar nach unserer Rückkehr vorgelegt.Read more


Ägypten und Tunesien: Die Revolution ist noch nicht abgeschlossen

Der „jungen Welt“ gab ich zur Lage in Ägypten ein langes Interview, das in der Wochenendbeilage vom 27. Oktober erschienen ist. Darin geht es um das Verhältnis zwischen Präsident Mursi und dem Militärrat, dem Ausmaß der letzten Streikwelle und der Entwicklung linker Kräfte im Land. Auf dem Foto sind Ägyptens neue Märtyrer – in Kairo erinnern Graffiti an die bei den Massenprotesten gegen Präsident Mubarak im vergangenen Jahr getöteten Demonstranten.
 


Arbeitskämpfe in Ägypten und Tunesien: Motor der Revolution

Meine Kollegin Annette Groth und ich bekamen während unserer Reise nach Ägypten und Tunesien einen Eindruck von den sozialen Umwälzungen, die nach wie vor unter der Oberfläche im Gange sind. Die Zeitschrift "Zenith" hat uns nach der Rückkehr über unsere Eindrücke befragt. Die Redaktion interessierte sich vor allem für die Rolle von Gewerkschaften und Arbeitskämpfen in der Revolution. Hier findet ihr das Interview, wie es am 12.10.2012 bei Zenith veröffentlicht wurde:Read more


Werksbesetzung bei LEONI in Tunesien

Während meiner Reise nach Nordafrika, die ich zusammen mit Annette Groth für die Linkfraktion vom 15. - 22. September durchgeführt habe, haben wir in Tunesien eine Werksbesetzung beim deutschen Kabelbaumhersteller LEONI besucht. Über 600 zumeist weibliche Beschäftigte wehren sich gegen die angekündigte Schließung des Standorts in Ezzahra bei Tunis. Aus zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Gewerkschaft UGTT, als auch mit den Betroffenen selbst konnten wir einen Hintergrundbericht erstellen, den ihr hier herunterladen könnt.
Vor dem Hintergrund haben wir einen Solidaritätsappell nach Tunesien übermittelt, den auch Gewerkschafter der IG Metall aus dem Raum Nürnberg unterzeichnet haben, wo LEONI seinen Hauptsitz hat. Den Appell findet ihr hier.


Arabischer Frühling: „Die Revolution hat uns unsere Würde zurückgegeben“

Annette Groth und ich haben in Kairo (15.-19.9.) und Tunis (19.-22.9.) zahlreiche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der regierenden islamischen Parteien, der linken Opposition, der Gewerkschaften sowie Organisationen der Zivilgesellschaft führen können. Folgendes sind die wichtigsten Ergebnisse:

600 Arbeiterinnen und Arbeiter des deutschen Kabelbaumherstellers LEONI besetzen seit Juli ihr von Schließung bedrohtes Werk in Ezzahra bei Tunis. Bei unserem Besuch im Werk beeindrucken uns ihre Solidarität und der Kampfgeist.

Alle unsere Gesprächspartner haben sich positiv auf die Revolution des Jahres 2011 bezogen, infolgedessen die Diktatoren Ben Ali und Mubarak gestürzt werden konnten. Der im Westen von manchem herbeigeredete „islamische Winter“ – so etwa Scholl-Latour in „Bild“ – ist ein Zerrbild der Realität. Im Gegenteil. Die Revolution hat ein großes Potenzial an sozialem Widerstand freigesetzt. Infolge dieser Erhebungen ist es heute möglich, sich offen zu organisieren. Dies hat zu einem politischen Aufblühen an der Basis der Gesellschaft geführt. In beiden Ländern existieren neben den islamischen Parteien, die die Wahlen gewinnen konnten, zahlreiche politische Formationen der Linken, die sich verändern und neue Anhänger gewinnen. In Tunesien soll am kommenden Mittwoch die Gründung der linken Front populaire („Volksfront“) bekanntgegeben werden, die 12 Parteien der Linken vereint. In Ägypten konnte der linke Kandidat Hamdeen Sabahi in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl über 20 Prozent gewinnen. Es waren viele seiner Anhänger, die dem Muslimbruder Mursi gegen den Kandidaten der Mubarak-Anhänger Shafik zum Sieg in der zweiten Wahlrunde verholfen haben. Nicht nur Parteien blühen auf, auch viele NGOs und soziale Bewegungen. Die tunesische „Vereinigung der arbeitslosen Akademiker” hatte am Vorabend der Revolution 20 Mitglieder. Heute ist sie auf 10.000 Mitglieder angewachsen. Einer ihrer Anführer Ayari Salam sagt: „Die Revolution hat uns unsere Würde zurückgegeben.“Read more


Tunesien zwischen Repression und sozialer Explosion

Unser letzter Tag in Tunis ist zu Ende gegangen. Es war ein Freitag - Unsicherheit ist in der Luft. Nachdem letzten Freitag 1000 Bewaffnete die US-Botschaft gestürmt haben und die tunesische Polizei vier Angreifer getötet hat, ist die Frage offen, was heute passiert. Die Veröffentlichung der Mohammed-Karrikaturen in Frankreich kommt in der ehemaligen französischen Kolonie Tunesien nicht gut an.
Allerdings macht die Regierung anders als letztes Mal Druck auf die Polizei, unbedingt Ausschreitungen zu verhindern. So ist die Präsenz von Militär, Polizei und schwarz gekleideten Schlägertrupps der Polizei unübersehbar. Das ganze vermittelt uns aber nicht gerade ein Gefühl der Sicherheit, sind es doch gerade diese Polizeitrupps, die im zunehmenden Maße für Schikanen und Folter zuständig sind. Fathi Chamki von RAID (attac) erklärt uns: Die Regierung benutzt den Terrorismus, um den Repressionsapparat wieder aufzubauen.
Heute haben wir Treffen mit mehreren linken Parteien, Gruppen und Einzelpersonen. Alle beziehen sich positiv auf die Revolution, die ihnen die Möglichkeit gegeben hat, frei und offen zu agieren. Zugleich betonen alle, dass die sozialen Hoffnungen der Revolution noch nicht eingelöst wurden.Read more


Solidarität mit den streikenden LEONI-Arbeiterinnen

Heute morgen um 8 treffen wir uns mit dem lokalen Gewerkschaftssekretär der UGTT von Ben Arous, einem Vorort von Tunis. Hier befindet sich ein Werk des deutschen Kabelbaum-Herstellers LEONI, zwei weitere befinden sich in anderen Landesteilen. Das Werk im Stadtteil Ezzahra soll geschlossen werden. Der Hintergrund ist eindeutig: Auch wenn die meisten hier nicht viel mehr als den Mindestlohn erhalten, ist das Lohniveau in dem Werk höher, als in den anderen LEONI-Werken. Zudem gibt es in Ben Arous eine starke Gewerkschaft. Das ist in dem Werk im mitteltunesischen Sousse nicht der Fall. Es geht der Geschäftsführung also auch darum, die Gewerkschaft zu schwächen.
Im Werk selbst wurden wir sehr herzlich von den Arbeiterinnen und Arbeitern in Empfang genommen. Sie besetzen ihre Fabrik seit Juli, um die Verlagerung in das mitteltunesische Sousse zu verhindern.

Arbeiterinnen im besetzten LEONI Werk in Ezzahra

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Wir wollen Freiheit, Würde und Gerechtigkeit

Wir landen in Tunis. Der Unterschied zu dem 20-Millionen-Einwohner Moloch Kairo fällt sofort auf. Tunis ist sehr viel grüner und beschaulicher als die lärmende ägyptische Hauptstadt. Wir treffen uns mit Taher Berberi, dem Generalsekretär der Gewerkschaft der Metall- und Elektroindustrie und Belgacem Ayari, dem stellvertretenden Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes UGTT. Die UGTT war das Rückgrat der revolutionären Erhebung gegen die Diktatur Ben Alis im Januar 2011.
Die beiden geben uns einen Einblick in die prekären Arbeitsbedingungen in Tunesien. 20- 24 Prozent der Tunesier sind arbeitslos. Der Mindestlohn liegt bei 321 Dinar, das sind ca. 160 Euro. Der Druck der starken Arbeiterbewegung hat dazu geführt, dass die islamische Regierungspartei Ennahda, die bei den Wahlen nach der Revolution die meisten Stimmen bekommen hat, den Mindestlohn um 30 Dinar angehoben hat. 100.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst konnten gerade einen Zuschlag von 70 Euro im Jahr erkämpfen. Dieser Widerstand ist wichtig, denn die soziale Lage ist prekär. Arbeit ist unsicher, Leiharbeit hat dramatisch zugenommen. 20 Prozent der Bevölkerung leben in Armut. Die Zahl der Armutsproteste und der Unmut darüber, dass die Regierung die sozialen Probleme nicht anpackt, ist riesig. Andauernd kommt es zu wilden Streiks und Straßenblockaden.
Auch deutsche Unternehmen spielen mit bei der Lohndrückerei in Tunesien: So der deutsche Autozulieferbetrieb LEONI, der eins von vier Werken in Tunesien schließt. Taher Berberi ist sich sehr klar, wie Dumpinglöhne in Deutschland und in Tunesien gleichermaßen schaden: "Es geht darum hier wie dort die Löhne zu drücken". Taher Baberi kritisiert die USA und die Golfstaaten, die versuchen, Einfluss auf die neue Regierung zu nehmen: "Wir wollen Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Wir vergessen nicht, dass die USA jahrzehntelang Diktaturen unterstützt hat und Saudi-Arabien und Katar keine Demokratie zulassen."

Christine Buchholz, Salem Ayari und eine Mitstreiterin, Annette Groth

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