Gemeinsam mit vielen anderen habe ich am Antikriegstag in Marburg gegen Krieg und Aufrüstung demonstriert. Eine große Mehrheit in der Gesellschaft steht den Auslandseinsätzen der Bundeswehr und der milliardenschweren Aufrüstung kritisch gegenüber. Die Niederlage des Westens in Afghanistan gibt ihnen Recht. An der Seite der Friedensbewegung setzt sich DIE LINKE für den Abzug der Bundeswehr aus allen Auslandseinsätzen, für ein konsequentes Nein zu Kampfdrohnen und ein Verbot von Rüstungsexporten ein. Hier dokumentiere ich meine Rede

Liebe Marburgerinnen und Marburger,

Liebe Freundinnen und Freunden,

Mit einer militärischen und politischen Niederlage ist der größte und längste Militäreinsatz der NATO und der Bundeswehr vor wenigen Tagen zu Ende gegangen.

Der Schock über die Machtübernahme der Taliban und die Anschläge des IS war groß.

Auf zahlreichen Kundgebungen der Friedensbewegung haben wir in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht: Der Afghanistan-Krieg war von Anfang an falsch.

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.  Und so begann auch dieser Krieg mit einer Lüge.

Verteidigungsminister Peter Struck von der SPD rechtfertigte den Krieg damals mit der Behauptung, am Hindukusch werde die deutsche Sicherheit verteidigt. Der sogenannte Kampf gegen den Terror, die Verteidigung der Frauenrechte und die Einführung der Demokratie wurden als Gründe für diesen Krieg vorgeschoben.

Die Strategie des Antiterrorkrieges mit seinen Drohnenschlägen, Spezialkräfteeinsätzen und Geheimdienstoperationen und die Besatzung haben nicht zu einer Beendigung des Terrors geführt, sondern zu seiner Ausbreitung in weitere Regionen.

Sie haben schätzungsweise 185.000 Zivilistinnen und Zivilisten das Leben gekostet und damit sowohl den Taliban als auch Gruppen wie dem IS neue Unterstützer*innen gebracht.

Es ging bei diesem Krieg auch nicht um Demokratie. Die von der US-Regierung und der Bundesregierung gestützte Marionettenregierung war korrupt und sie war verhasst im Land. Der nahezu widerstandslose Durchmarsch der Taliban hat das deutlich vor Augen geführt.

Es ging auch nie um die Menschen in Afghanistan. Nach 20 Jahren Besatzung ist die soziale Lage verheerend. Rund 80 Prozent der Menschen leben nach wie vor unterhalb der Armutsgrenze. Rund 3,7 Millionen Kinder in Afghanistan gehen laut einer UN-Studie aus dem Jahr 2019 nicht zu Schule – 60 Prozent davon sind Mädchen.

Ich erinnere mich an meinen Aufenthalt in Kundus im Januar 2010. Gemeinsam mit meinem damaligen Fraktionskollegen Jan van Aken war ich dort hingereist, um mit den Opfern der Bombardierung von Kundus zu sprechen.

Erinnere wir uns an die Bombardierung, befehligt durch die Bundeswehr, bei der über 100 Menschen getötet wurden. Väter, Söhne, Ehemänner und Brüder.

Wir konnten schon damals erfahren, was Krieg bedeutet. Er hat Leben und Familien zerstört. Und auch der weitere Umgang der Bundesregierung mit diesem Kriegsverbrechen hat weiter die Lebensgrundlagen der betroffenen Menschen zerstört.

Trotz anderer Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss hat die Bundesregierung immer wieder dieselben Lügen zur Rechtfertigung dieses Bombenangriffes wiederholt. Und selbst die Gerichte, vor denen die Opfer versucht haben, Gerechtigkeit einzuklagen, haben diese Lügen aufgegriffen.

Und so wurde der für den Bombenabwurf verantwortliche Oberst Klein nicht nur freigesprochen, sondern zum General befördert. Die Opfer von Kundus, Verletzte und Angehörige der Toten wurden nie ordentlich entschädigt.

Die Schande Deutschlands in Afghanistan beginnt schon früher als zu dem Zeitpunkt, von dem an die Ortskräfte der Bundeswehr im Stich gelassen wurden. 12 Jahre nach dem Kundus-Massaker muss die Bundesregierung endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und die Opfer entschädigen!

Für die Bundeswehr war der Einsatz in Afghanistan auch ein Testfeld, um Deutschland zum globalen Akteur zu machen. Es war der erste große Miliäreinsatz mit dem Einsatz von Bodentruppen. Über 150.000 Bundeswehrsoldatinnnen und Soldaten waren im Krieg in Afghanistan stationiert.

Bundeswehr-Soldaten lernten an der Seite der US-Armee das Töten und wurden getötet. 59 Soldaten verloren ihr Leben. Ein ranghoher Militär bilanziert: „Wir haben gezeigt, dass wir militärisch mithalten können.“

Was für ein Zynismus!

Worum ging es den USA und Deutschland bei dem Afghanistan-Krieg wirklich?

Roderich Kiesewetter von der CDU brachte es kürzlich in den Tagesthemen auf den Punkt: man dürfe nicht zulassen, dass China der strategische Gewinner in der Region sei.

In Wirklichkeit ging es ihnen um den geostrategischen Einfluss in dieser geopolitisch so wichtigen zentralasiatischen Region.

Ja, es geht um wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Und das weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück. Das kann nicht Maßstab der Politik sein!

Dass sich die Sorge der Bundesregierung nicht um das Schicksal der Menschen in Afghanistan dreht zeigen auch die Ereignisse der letzten Wochen.

Monatelang hat die Bundesregierung die Evakuierung gefährdeter Personen verschleppt.

Wir haben selbst einen Antrag im Bundestag gestellt im Juni, in dem wir die Aufnahme der Ortskräfte der Bundeswehr, der Entwicklungsorganisationen und von Menschenrechtsaktivist*innen gefordert haben. Dieser Antrag wurde von der Union und der SPD abgelehnt.

Mit dem Bundeswehr-Mandat wollte die Bundesregierung Handlungsfähigkeit vorgaukeln und das Scheitern des NATO-Krieges sowie ihr eigenes Evakuierungs-Fiaskos kaschieren.

Es handelte sich um ein sog. „robustes Mandat“, das den Gewalteinsatz in ganz Afghanistan erlaubte. Die Entsendung von Kampftruppen in diese explosive und unübersichtliche Situation war verantwortungslos. Aus linker Sicht war die Zustimmung zu diesem Mandat unmöglich.

Und das uns jetzt vorgeworfen wird, wir wollten die Menschen nicht retten ist absolut lächerlich und Zynisch. Ich habe darauf verwiesen, dass wir bereits im Juni einen Antrag zur Aufnahme gestellt haben. Natürlich freuen wir uns für jeden der rund 5000 Menschen, die ausgeflogen wurden. Aber dem Großteil der von den Taliban bedrohten Menschen wurde nicht geholfen und wird auch nicht geholfen. Das ist ein Skandal!

Wir setzen uns ein für die Aufnahme von allen Menschen, die Afghanistan verlassen wollen. Es braucht offene Fluchtwege in die Nachbarstaaten Afghanistans und in die Europäische Union sowie innerhalb der Europäischen Union. Es ist eine Schande, wenn die Innenminister der EU wie gestern sagen, dass keine Menschen aufgenommen werden.

Es müssen Visa vergeben werden und dafür die Botschaften in den Nachbarländern Afghanistans aufgestockt werden. Es braucht eine massive Aufstockung des UN-Flüchtlingshilfefonds für Afghanistan. Abschiebungen müssen dauerhaft gestoppt werden. Nach Afghanistan und alle anderen Länder.

Doch anstatt jetzt gefährdeten Menschen sichere Fluchtwege zu ermöglichen macht die Bundesregierung das Gegenteil.

Armin Laschet warnt vor einem „neuen 2015“. Innenminister Seehofer wiederholt gebetsmühlenartig, dass nicht „alle“ einreisen dürfen, die einreisen wollen und fordert schärfere Grenzkontrollen. Und auch Heiko Maas hat bei seinem Besuch in Pakistan nicht nur humanitäre Hilfsgelder versprochen, sondern auch Geld für Projekte des Grenzmanagement, also der Abschottung Pakistans. Deutschland, die EU und die NATO-Staaten schotten sich ab und lassen die Menschen erneut zurück. Das ist der eigentliche Skandal und die eigentlich Schande

In diesen Tagen wird viel über die Konsequenzen und Lehren aus „Afghanistan-Desaster“ geredet. Es ist gut, dass darüber gesprochen wird. Wir fordern eine ehrliche Bilanz!

Während der US-Krieg in Afghanistan so endet wie er begann – mit Drohnenangriffen und zivilen Toten – fordert Armin Laschet jetzt erneut die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr. Söders Konsequenz ist: Die Bundeswehr muss noch „robuster“ in Einsätze geschickt werden.

Angesichts dieser „Flucht nach vorne“ der Union, ist das Verhalten von SPD und GRÜNEN umso fataler: Olaf Scholz räumt ein, dass die SPD auch Kampfdrohnen will und rühmt sich, einen Rekord-Militärhaushalt mitverantwortet zu haben.

Anna-Lena Baebock will „nicht ausweichen“ und bekennt sich zur NATO. Und auch die Grünen haben ihr prinzipielles Nein zu Kampfdrohnen bereits aufgegeben.

Das ist kein „Linksrutsch“, wie jetzt gemunkelt wird, liebe Freundinnen und Freunde, das bedeutet eine Fortführung der interventionistischen Außenpolitik und Aufrüstung wie wir sie seit der Zeit der rot-grünen, aber auch aller folgenden Bundesregierungen kennen.

Gegen diese Politik der Militarisierung und Aufrüstung brauchen wir eine starke Stimme auf der Straße und im Bundestag. Eine starke Stimme, die sagt: In den Kriegen der Herrschenden geht es nie um Menschenrechte oder Demokratie. Es geht um Einflusssphären und geopolitische Konkurrenz.

Nach 20 Jahren Krieg gegen Terror muss klar sein: Wir treten ein mit Nachdruck für die Beendigung aller Auslandseinsätze und für den Stopp der Waffenlieferungen.

Mit dem Ende des Afghanistan-Einsatzes ist Mali nun der größte Bundeswehr-Einsatz. Wie in Afghanistan setzt die Bundesregierung in Mali darauf, mit militärischen Mitteln die Bedingungen für Frieden und Entwicklung zu schaffen. Was in Afghanistan katastrophal gescheitert ist, funktioniert auch schon jetzt nicht in Mali.

Die Bundeswehr-Ausbildung wirkt wie ein Brandbeschleuniger für Konflikte. Staatliche Sicherheitskräfte ausgebildet auch von der Bundeswehr verüben Massaker oft im Rahmen von sog. Antiterroroperationen.

Von Anfang an haben wir gesagt: Militärinterventionen bringen keine Sicherheit, lösen keine Probleme. Wer Armeen wie die magische Armee weiter ausrüstet, berät und militärisch ausbildet, macht sich mitverantwortlich für genau diese Verbrechen.

Auch in Mali zerstört der sog. Antiterrorkampf Familien und Leben. Anfang des Jahres bombardierten Kampfflugzeuge der mit der Bundeswehr verbündeten französischen Armee eine Hochzeitsgesellschaft im malischen Dorf Bounti.

Und wie in Afghanistan geht es der Bundesregierung mit ihren Militäreinsätzen nicht um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Es geht um Migrationsabwehr und darum, den Einfluss Deutschlands in der Welt zu vergrößern.

Aus der afghanischen Katastrophe lernen heißt anzuerkennen, dass Demokratie, gesellschaftlicher Fortschritt und Sicherheit nicht mit Bomben und nicht mit Kriegen von außen aufgezwungen werden können.

Die Bundestagswahl ist auch eine Wahl über den künftigen Kurs in der Außenpolitik.

Alle fordern gerade DIE LINKE auf, sie müsse ihre außenpolitischen Positionen endlich über Bord werfen und „vernünftig“ werden.

Aber nicht wir haben unsere Position zur NATO und den Auslandseinsätzen der Bundeswehr über Bord zu werfen oder zu überdenken.

Wir stehen weiter mit Euch gemeinsam

  • Für einen Abzug der Bundeswehr aus den Auslandseinsätzen.
  • Für ein Exportverbot von Waffen und Rüstungsgütern.
  • Für ein klares Nein zur Beschaffung von Kampfdrohnen.
  • Für Abrüstung statt Aufrüstung.

Kurz nach Beginn des Krieges in Afghanistan demonstrierten 80.000 Menschen in Berlin, Stuttgart und anderen Orten gegen den Krieg.

In den Jahren danach gab es immer wieder Demonstrationen und Konferenzen der Friedensbewegung gegen den Krieg in Afghanistan. Daran knüpfen wir jetzt gemeinsam an.

Wir gedenken der Opfer von Kundus, am Samstag dem 12. Jahrestag des Massakers, wir erinnern am 7.10.21 an den Kriegsbeginn des Afghanistankrieges.

Eine große Mehrheit in der Gesellschaft steht den Auslandseinsätzen und der Aufrüstung kritisch gegenüber.

Machen wir gemeinsam diese Stimme lauter hörbar.