Kabul ist an die Taliban gefallen, der US-gestützte Präsident Aschraf Ghani hat das Land verlassen. Für viele Menschen im Land ist die Lage dramatisch. Eine Einschätzung zu den aktuellen Ereignissen

 

1. Die Bundesregierung hat bei der Evakuierung der Ortskräfte der Bundeswehr völlig versagt. Sie hat sich für alle anderen, die jetzt verfolgt werden, nie interessiert und auch noch Leute nach Afghanistan abgeschoben. Sie ist für deren verzweifelte Lage verantwortlich.

Seit Jahren drängt DIE LINKE darauf, dass Menschen aus Afghanistan aufgenommen und Abschiebungen gestoppt werden. Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes waren (bis vor dem kürzlich verkündeten Abschiebestopp) Grundlage von Abschiebungen nach Afghanistan. Es braucht jetzt zügige humanitäre Hilfe und eine großzügige sowie unbürokratische Aufnahme von gefährdeten Menschen. Ortskräfte der Bundeswehr und auch diejenigen, die mit Organisationen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zusammengearbeitet haben, müssen ausgeflogen werden. Gleichzeitig muss die Bundesregierung – dem Vorbild der kanadischen Regierung folgend – die Aufnahme von weiteren gefährdeten Menschen aus Afghanistan ermöglichen.

 

2. Wenn Gefahr im Verzug ist, kann die Bundesregierung den Einsatz bewaffneter Streitkräfte anordnen ohne die Zustimmung des Parlaments einzuholen. Sie muss das Parlament im Nachhinein informieren. Voraussichtlich wird die Bundesregierung dennoch ein Bundestagsmandat vorbereiten, um sich abzusichern. Für DIE LINKE ist klar: Menschen müssen jetzt evakuiert werden, aber folgende Punkte müssen berücksichtigt werden: Zum einen muss ausgeschlossen werden, dass aus einem Rettungseinsatz eine militärische Eskalation oder eine Stationierung der Bundeswehr wird. Die Bundeswehr darf nicht wieder in den militärischen Konflikt hineingezogen werden. Zum anderen muss garantiert werden, dass nicht nur deutsche Staatsbürger/innen und Ortskräfte der Bundeswehr ausgeflogen werden, sondern auch Mitarbeiter/innen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Partnerorganisationen und bereits Abgeschobene.

 

3. Der Vormarsch der Taliban und die kampflose Einnahme von allen großen Städten offenbart das katastrophale Scheitern der Afghanistanpolitik der NATO und auch der Bundesregierung. Er offenbart auch, dass die afghanische Regierung, die für die große Mehrheit der Bevölkerung keine Verbesserung gebracht hat, keine Unterstützung hat. Den Preis dafür zahlen die Menschen, die jetzt vor den Taliban fliehen.

 

4. DIE LINKE hat schon seit Jahren angemahnt, dass die Unterstützung der korrupten Regierung und die Konzentration auf die militärische „Sicherheit“ zum Scheitern verurteilt sind und den Taliban neuen Auftrieb geben. Diese Einschätzung und die grundsätzliche Kritik am Konzept der zivilmilitärischen Zusammenarbeit bestätigen aktuell z.B. Reinhard Erös (https://www.deutschlandfunk.de/nato-abzug-kinderhilfe-afghanistan-truppenabzug-erhoeht-die.694.de.html?dram:article_id=496667), der mit der Kinderhilfe Afghanistan seit Jahren Schulen im Taliban-Gebiet baut und der Journalisten und Afghanistan-Experte Martin Gerner (https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2021/08/14/was_der_talibanvormarsch_fuer_die_menschen_in_afghanistan_dlf_20210814_1905_59a97d93.mp3).

 

5. Die Ärzteorganisation IPPNW ging bereits 2016 davon aus, dass 250.000 Menschen direkt oder indirekt durch den Krieg getötet und 12 Millionen Menschen vertrieben wurden. Auch die monetären Kosten sind astronomisch. 12,5 Mrd. Euro für den Bundeswehreinsatz, ein Bruchteil davon für humanitäre Hilfe – das reflektiert die falsche Prioritätensetzung. Der US-Krieg wird auf 1 bis 2 Billionen US-Dollar geschätzt.

 

6. Die Kriege und Interventionen der letzten Jahrzehnte haben Afghanistan zerstört. Das trifft auf den Krieg der Sowjetunion, die Intervention der USA und schließlich nach 9/11 den NATO-Krieg zu. Die Konsequenz aus dem Desaster muss ein klares Nein zu imperialistischen Interventionen wie in Afghanistan und Irak – aber auch in Mali, das betrifft sowohl militärische Interventionen wie wirtschaftliche Abhängigkeiten.