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Artikel erschienen im Friedensjournal 5/2017

Am 24. September wird der nächste Bundestag gewählt. Grund genug, die Verteidigungspolitik der letzten Regierung zu bilanzieren.

Friedenspolitisch sind vier Jahre Große Koalition vier Jahre der Negativrekorde. 2017 wurde der größte Militärhaushalt seit dem 2. Weltkrieg beschlossen. In vier Jahren wurden sieben neue Bundeswehreinsätze außerhalb des Nato-Bündnisgebietes beschlossen, 2015 und 2016 wurden Rekordwerte bei den Rüstungsexporten erzielt.
Interessant: Kaum näherte sich die Regierungszeit der Großen Koalition ihrem Ende, da begann die SPD friedenspolitisch links zu blinken. Im vergangenen März bezeichnete der sozialdemokratische Außenminister Sigmar Gabriel die Anhebung der Militärausgaben auf 2 Prozent des Bruttosozialprodukts, wie es die Nato fordert, als „unrealistisch“. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bekräftigte dies und erklärte im Juni: „Ich unterwerfe mich keiner Aufrüstungsspirale à la Trump.“
Leider hielt die Abrüstungsrhetorik nicht lang vor. Nur zwei Wochen nach Schulz‘ Äußerung stimmte die SPD auf einer einzigen Sitzung des Verteidigungsausschusses über
20 Aufrüstungsvorhaben im Gesamtvolumen von über 11 Milliarden Euro zu. Darunter Kampf- und Schützenpanzer, Militärsatelliten, Lufttransporter, Kriegsschiffe und vieles mehr. Die Frage ist nicht, ob die Aufrüstungsziele der Nato unrealistisch sind. Sondern, welche Rüstungsprojekte die Sozialdemokraten konkret stoppen wollen, um die Aufrüstungsspirale zu stoppen.
 
Immer mehr Auslandseinsätze
Gabriel und Schulz wollen im Wahlkampf vergessen machen, dass die SPD als Teil der Großen Koalition vier Jahre lang den Aufrüstungskurs von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen konsequent mitgetragen, zuweilen sogar forciert hat. So war einer der Architekten der Resolution zur Bekräftigung des 2-Prozent-Zieles auf der Nato-Konferenz in Wales 2014 niemand anderes als der damalige sozialdemokratische Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Zuvor hatte er auf der Münchener Sicherheitskonferenz unisono mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen angekündigt, die vermeintliche militärische Zurückhaltung der Vorgängerregierung aufzugeben. Deutschland „muss bereit sein“, so Steinmeier im Februar 2014, „sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen. … Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren.“ Genau diese Orientierung drückt sich im Weißbuch aus, dass die Bundesregierung 2016 herausgegeben hat.
An diesem Punkt waren und sind sich CDU/CSU und SPD einig. Und so ließen sie in den vergangenen vier Jahren auch kaum eine Gelegenheit verstreichen, um gemeinsam neue Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beschließen, oder bestehende Einsätze auszuweiten. Die befindet sich die deutsche Marine in drei Einsätzen im Mittelmeer, steht die Bundeswehr mit Kampfhubschraubern im Kriegsgebiet in Nord-Mali, unterstützt den US-geführten Bombenkrieg über Irak und Syrien. Ein Ende des Einsatzes in Afghanistan ist nicht in Sicht.
Seit 2014 kommen einsatzgleiche Entsendungen im Konflikt mit Russland hinzu. In Litauen hat die Bundeswehr die Führung eines 1000 Mann starken Bataillons übernommen. Die Bundesregierung beteiligt sich mit rund 1 Milliarde Euro am neuen Raketenabwehrschirm in Osteuropa. Deutschland hat die Führung beim Aufbau der superschnellen Eingreiftruppe der Nato Response Force übernommen.
 
Aufrüstung
Voraussetzung für den deutschen Interventionismus ist die Aufrüstung der Bundeswehr. Systematisch gestreute Meldungen über geringen Klarstand und Pannen bei Großgerät erzeugten während der abgelaufenen Wahlperiode den Eindruck, die Bundeswehr sei in der Vergangenheit „kaputt gespart“ worden. Das ist Unsinn. Doch so gelang es den beiden Fraktionen der Großen Koalition, den Verteidigungshaushalt von 2013 bis heute um knapp 13 Prozent von 32,8 Milliarden Euro auf 37 Milliarden Euro anzuheben, ohne dass in den Medien ein Aufschrei der Empörung zu vernehmen war. Im aktuellen Finanzplan ist bis 2021 eine Steigerung auf 42,4 Milliarden vorgesehen.
2016 legte Verteidigungsministerin von der Leyen die „Agenda Rüstung“ auf, die 1600 Einzelmaßnahmen zur Modernisierung und Aufrüstung der Bundeswehr bis zum Jahr 2030 vorsieht. Geschätzte Investitionskosten: 130 Milliarden Euro – wohlgemerkt, über den laufenden Militärhaushalt hinaus. Von der SPD kam an diesem Punkt kein Widerstand. Stattdessen boxten der christdemokratische Haushälter Eckhardt Rehberg und sein sozialdemokratischer Kollege Johannes Kahrs in den Haushaltsberatungen Ende 2016 die Beschaffung von fünf Korvetten K 130 für die Marine durch, die in der „Agenda Rüstung“ nicht einmal vorgesehen waren. Gesamtkosten: 2,5 Milliarden Euro – noch.
Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Sollte Militärhaushalt tatsächlich bis 2025 auf 2 Prozent des BSP angehoben werden, dann liefe das auf eine reale Steigerung der Militärausgaben um rund 90 Prozent hinaus. Die Bundesrepublik würde in dem Fall zur stärksten Militärmacht innerhalb der EU aufsteigen und selbst den Haushalt der Atommächte Frankreich und Großbritannien in den Schatten stellen.
Eine Steigerung der Militärausgaben auf 2 Prozent ist keineswegs „unrealistisch“, wie Gabriel meint. Die Bundeswehr kann ohne Probleme durch Auflage immer neuer Rüstungsprojekte sehr schnell zusätzliche Mittel abfließen lassen. Die Frage, ob dies geschieht, ist einzig eine Frage der Kräfteverhältnisse – also, ob dies Ansinnen auf ausreichend Widerstand und öffentlichen Gegendruck trifft.
Tatsächlich gibt es reichlich Argumente, mit denen weite Teile der Bevölkerung für ein Stopp der Aufrüstungsspirale gewonnen werden können. Zunächst ein paar Rechenbeispiele:

  • Statt 3,6 Mrd. Euro für die Kriegsschiffe K 130 und zusätzliche Leopard-Kampfpanzer auszugeben, könnten die Zuschüsse für die soziale Wohnraumförderung auf 5 Mrd. Euro erhöht werden. So könnten bis zu 250.000 Sozialwohnungen im Jahr entstehen;
  • Mit 6 Milliarden Euro – also knapp 50 Prozent der Gesamtausgaben für den Militärtransporter A400M – könnten fünf Jahre lang rund 28.000 Fachkräfte für die Altenpflege zusätzlich finanziert werden, was den aktuellen Bedarf an Pflegekräften in dem Bereich decken würde;
  • Anstatt zusätzliche 33 Mrd. Euro für das 2-Prozent-Ziel der Nato bereitzustellen, könnten mit dieser Summe im ersten Jahr alle Schulen in Deutschland saniert, und in den folgenden Jahren dann kräftige Rentenerhöhungen finanziert werden.

 
Afghanistan
Neben den finanziellen Belastungen ist das wichtigste Argument gegen die Aufrüstung natürlich die Verwendung der Mittel. Seit der Wiedervereinigung wird die Bundeswehr in Auslandseinsätze entsandt. So befinden sich deutsche Soldaten seit über fünfzehn Jahren in Afghanistan an der Seite der US-Streitkräfte, ohne dass ein Ende des Krieges in Sicht wäre. Die Versprechen, mit denen die Bundeswehr einst an den Hindukusch geschickt wurden – Frieden, Demokratie, Entwicklung, Frauenrechte – sind vergessen.
US-Präsident Donald Trump kündigte vielmehr die neueste Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan mit den Worten an: „Wir werden nicht wieder Staatsaufbau betreiben – wir werden Terroristen töten, … unsere Feinde angreifen, den IS auslöschen, Al-Kaida zerquetschen“. Der sozialdemokratische Außenpolitiker Niels Annen geißelte dies zu Recht als eine „kriegslüsterne“ Rede; SPD-Kanzlerkandidat Schulz warf Trump „Niedertracht“ vor.
Leider haben sie die Rechnung ohne den amtierenden sozialdemokratischen Außenminister Gabriel gemacht. Ein Sprecher seines Ministeriums bezeichnete Trumps Wende zur verstärkten Militärintervention in Afghanistan als einen „Schritt in die richtige Richtung.“ Sein christdemokratischer Kollege Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, zeigte sich sogar sehr angenehm überrascht: Erstmals habe Trump „eine kohärente, rationale, verantwortliche Strategie“ vorgelegt.
Diese Äußerungen verdeutlichen: Ohne eine starke friedenspolitische Opposition innerhalb und außerhalb des Parlamentes müssen wir mit der Fortsetzung eines Kurses rechnen, der an der Seite der USA auf mehr Auslandseinsätze, mehr Krieg, sowie die nachhaltige Aufrüstung der Bundeswehr setzt.
 
Kampfdrohnen
Aber war da nicht doch etwas? Scheiterte nicht wenigstens am Ende der abgelaufenen Wahlperiode doch die Beschaffung von Kampfdrohnen an der SPD?
Jein. Richtig ist: Die Sozialdemokraten taten sich reichlich schwer, mit einem Beschluss zur Beschaffung von Kampfdrohnen in den Wahlkampf zu gehen. Das ist Ermutigung für die Friedensbewegung: Der öffentliche Druck reicht bei diesem heiklen Thema offenbar aus, um die SPD ins Schwanken zu bringen. Doch aufgehoben ist leider nicht aufgeschoben.
Nach einem langen Hin und Her auf der letzten Sitzung des Verteidigungsausschuss am
28. Juni fand sich die SPD schließlich nicht dazu bereit mit der Linksfraktion und den Grünen zusammen die Beschaffung abzulehnen. Der vorliegende Vertrag zum Betrieb israelischer Kampfdrohnen vom Typ Heron-TP wurde lediglich durch die Große Koalition von der Tagesordnung abgesetzt. Die Vorlage kann nach der Wahl wieder aufgesetzt werden.
Im Übrigen zeigte sich, dass die SPD hinsichtlich der Beschaffung von Kampfdrohnen mehr Bedenken bezüglich der Außenwirkung, als gegenüber der Technik selbst hat. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, erklärte 2014 im Bundestag: „Wenn sich die Welt so ändern sollte, dass wir einmal ein Mandat erteilen müssen, das die Bundeswehr legitimiert, Bomben abzuwerfen und Raketen abzuschießen – niemand will das –, dann können bewaffnete Drohnen – das ist doch ganz klar – ein Segment zum Schutz der Soldaten sein. … Ich glaube, wir sollten der Bundeswehr die Dinge, die sie braucht, auch ermöglichen.“
Folglich hat die SPD auch die Haushaltstitel zum Leasing von Kampfdrohnen der Marke Heron-TP mit durchgestimmt, ebenso wie den Titel zur Vorbereitung der Entwicklung einer eigenen, europäischen Kampfdrohne. In der Schwebe hängt derzeit lediglich der konkrete Beschaffungsvertrag der Heron-TP mit dem israelischen Hersteller IAI. Nichtsdestotrotz gibt diese Hängepartie natürlich den Drohnengegnern die Zeit, die eigenen Reihen zu stärken und für einen endgültigen Verzicht Deutschlands auf diese Technologie zu kämpfen.
 
Rüstungsexporte
Eines der Versprechen, mit denen die SPD in die Große Koalition startete, war die Ankündigung einer restriktiven Genehmigungspraxis bei Rüstungsexporten. Die Voraussetzungen dafür waren günstig, da die Verantwortung innerhalb der großen Koalition bei dem sozialdemokratisch geführten Wirtschaftsministerium lag.
Die nachträgliche Berichterstattung über Exporte hat sich leicht verbessert. Ansonsten blieb leider alles beim Alten. Gemessen an ihrem Wert stiegen die deutschen Rüstungsexporte weiter. Schwarz-Gelb unter Merkel-Westerwelle genehmigte zwischen 2009 und 2012 pro Jahr Rüstungsexporte im Umfang von durchschnittlich 8,14 Milliarden Euro – damals bereits ein neuer Rekordwert. Doch unter Wirtschaftsminister Gabriel steigerte sich die Summe weiter, 2015 auf 12,82 Milliarden Euro. Seitdem ging der Wert leicht zurück, liegt aber immer noch deutlich über jenem der Vorgängerregierung.
Die deutschen Rüstungsexportgrundsätze sind nach wie vor nicht dazu geeignet, Exporte einzuschränken. Nur rund 0,5 % der von Unternehmen getätigten Anfragen werden negativ beschieden. Zu den Empfängern deutscher Rüstungsgüter gehörten in den letzten Jahren Staaten wie die Vereinigte Arabischen Emirate und Saudi-Arabien, die Krieg im Jemen führen und eine Hungerblockade gegen das Land verhängt haben. Trotzdem haben sie zum Beispiel bewaffnete Patrouillenboote erhalten, die geeignet sind, um jemenitische Häfen von der Außenwelt abzuschneiden.
 
Fazit
Vier Jahre Große Koalition bedeuteten eine beschleunigte Aufrüstung, eine deutliche Ausweitung von Auslandseinsätzen und ein Weiter so bezüglich der Rüstungsexporte. Eine Kursänderung ist nicht in Sicht.
Doch es gibt auch Hoffnung. Nicht nur die Verschiebung der Aufrüstung mit Kampfdrohnen zeigt, dass Druck von unten wirkt. Friedensaktivisten konnten 2016 durch die Verbreitung von Fotos dokumentieren, wie Kinder am „Tag der Bundeswehr“ Gewehre in die Hand bekamen und konterkarierten dadurch wirksam die Jubelpropaganda der Ministerin in den Medien. Mehrere Demonstrationen, etwa am Standort Büchel gegen die dort lagernden Atomwaffen, haben Tausende angezogen. Die Ausfuhr von Kleinwaffen konnte dank der Kampagne „Aufschrei – stoppt den Waffenhandel – deutlich reduziert werden. In Zukunft wird es darauf ankommen, verschiedene Formen des Widerstands zu stärken und zu verbreitern.