In der Debatte um den Jahresbericht des Wehrbeauftragten wurden die Prioritäten der Bundesregierung deutlich. Für Auslandseinsätze und Aufrüstung werden immer neue Milliarden zur Verfügung gestellt. Doch wenn psychisch erkrankte Soldaten Anträge auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung stellen, werden viele von ihnen hingehalten.

Rede im Bundestag zur Stellungnahme des Bundesverteidigungsministeriums auf den Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten des deutschen Bundestages
Christine Buchholz (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Bartels! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wehrbeauftragten!
Gerade heute Morgen haben wir über die Fortsetzung und Ausweitung der Bundeswehreinsätze im Nordirak und in Mali diskutiert. Für diese Beschlüsse, die nächste Woche gefällt werden, müssen Soldatinnen und Soldaten den Kopf hinhalten. Die Folgen können einsatzbedingte Krankheiten sein. Was sicher ist: Je mehr Auslandseinsätze von der Regierung beschlossen werden, umso größer wird der Druck auf die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien.
Wer Waffen und Soldaten in alle Welt schickt, bekommt die Folgen der Kriege zurück. Auch das ist ein Grund, die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Bericht des Wehrbeauftragten spiegelt diese Wirklichkeit wider, und die vorliegende Antwort des Verteidigungsministeriums auf den Bericht zeigt: Auf viele der Probleme reagiert die Bundesregierung gar nicht, oder sie reagiert zu langsam, zu bürokratisch.
Eine Ausnahme gibt es; das ist die aus unserer Sicht völlig verfehlte Kritik des Wehrbeauftragten an der zu schlechten Ausrüstung der Bundeswehr. Denn für die Aufrüstung hat die Große Koalition für 2017 einen Rekordhaushalt beschlossen.
Doch wenn es um die menschlichen Folgen der Militäreinsätze geht, etwa um die zügige Anerkennung von Wehrdienstbeschädigung, dann ist nicht genug Geld da. Konkret: Auf 5000 Anträge kommen 30 Sachbearbeiter. Das erklärt, warum die Bearbeitung von Anträgen auf Wehrdienstbeschädigung durchschnittlich 15 Monate dauert, oft auch über zwei Jahre. Der Wehrbeauftragte hat das zu Recht bemängelt.
Die Reaktion des Ministeriums: Neue Stellen – null. Aber die Abläufe sollen „optimiert“ werden. Das muss doch in den Ohren der Betroffenen als absolut nicht akzeptabel klingen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Aber die Probleme der einsatzgeschädigten Soldatinnen und Soldaten sind tiefer gehend. Wenn psychisch erkrankte Soldaten sich um die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung bemühen, dann müssen sie selbst den konkreten Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz nachweisen. Das ist jedoch in der Praxis häufig kaum möglich und führt zu langen, belastenden Verfahren.
Ich sage: Wenn die Bundeswehr einen Soldaten als psychisch gesund in einen Auslandseinsatz schickt und später dieser Soldat oder diese Soldatin psychisch erkrankt, dann ist im Streitfall die Bundeswehr in der Beweispflicht. Und die Fürsorgepflicht des Dienstherrn darf nicht mit dem Dienstverhältnis enden.
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte (CDU/CSU): Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz!)
Es ist ein Unding, dass die Bundesregierung nicht einmal Statistiken darüber erhebt, wie viele ehemalige Soldaten Selbstmord begehen. Auch hier muss sich dringend etwas ändern.
(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte (CDU/CSU): Es gibt keine Statistik für Selbstmord! Unverschämtheit!)
Ein anderes Beispiel. Im Bericht bemängelt der Wehrbeauftragte, dass für „die einsatzrelevante Verbrennungsmedizin … seit Jahren nur noch eine sehr eingeschränkte Versorgungskompetenz vorgehalten wird“.
Wie dramatisch das sein kann, hat vor zwei Tagen der verheerende Anschlag im malischen Gao gezeigt. Über 70 malische Soldaten starben, über 110 überlebten schwer verletzt. Der Anschlag hätte auch deutsche Soldaten treffen können. Das Lager der Bundeswehr liegt keine 2 Kilometer vom Anschlagsort entfernt.
Wie reagiert nun das Verteidigungsministerium auf die Forderung nach besserer Versorgungskompetenz für einsatzrelevante Verbrennungsmedizin? Antwort: Gar nicht. Alles, was dem Verteidigungsministerium einfällt, ist der Verweis auf zivile Krankenhäuser in Deutschland.
Der Einsatz kommt zuerst, die Behandlung der Folgen ist nachrangig, und das finden wir zynisch.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich verstehe, warum das Verteidigungsministerium, auch die Koalition, das nicht gerne hört. Diese Realität stört die Hochglanz-PR-Aktionen, mit denen Sie jungen Menschen die Bundeswehr schmackhaft machen wollen.
(Abg. Henning Otte (CDU/CSU) meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Pikant ist übrigens auch, dass die Ministerin – Sie haben eben selbst dazu gesprochen – Angehörigen der Bundeswehr strenge Verhaltensrichtlinien, einen Verhaltenskodex für den Umgang mit Parlament und Medien verordnen will.
Wir sind sehr gespannt, was Sie dazu in Ihrem Hause erarbeiten. Meine Fragen und meine Kritik schließen an das an, was der Wehrbeauftragte thematisiert hat.
Ich sage Ihnen: Wer die Wahrheit unterdrücken will, der hat was zu verbergen. Ein Maulkorberlass ist das Letzte, was Soldatinnen und Soldaten brauchen.
(Beifall bei der LINKEN)