Vor einem Jahr, am 13.9.2015, begleitete ich syrische und afghanische Flüchtlinge mit dem ‚convoy of hope‘ vom Wiener Hauptbahnhof zur deutschen Grenze. Diese Erfahrung hat mich tief beeindruckt. Damals führte ich ein Interview mit Peter Wolter von der jungen Welt, das ich hier mit freundlicher Genehmigung dokumentiere.
Sie haben diese Woche an einem Konvoi von Privatautos teilgenommen, um Flüchtlinge von Wien über die deutsche Grenze zu bringen. Hat es geklappt? Und wie viele waren es?
Wir sind am Dienstag vom Wiener Hauptbahnhof nach Freilassing zur deutschen Grenze gefahren. Die etwa 30 Flüchtlinge, die wir mitnehmen konnten, haben sich dort registrieren lassen.

War es nicht schwer, eine Auswahl zu treffen, wer mitfahren darf? Die Zurückgebliebenen waren doch sicher enttäuscht.
Am Wiener Hauptbahnhof, der so etwas wie eine Einrichtung zur Erstaufnahme geworden ist, haben die Aktivisten Kontakt zu den ehrenamtlichen Betreuern aufgenommen. Mit Hilfe von ehrenamtlichen Dolmetschern haben sie Flüchtlinge angesprochen und erklärt, dass wir versuchen wollen, sie mit Autos an die deutsche Grenze zu fahren. Als die Wagen schließlich voll waren, haben wir natürlich keine weiteren Leute mehr angesprochen und sind abgefahren.
Viele Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, kommen mit der Überzeugung, Deutschland empfange sie mit offenen Armen. Wie haben sie es aufgenommen, als am Montag plötzlich wieder Grenzkontrollen eingeführt wurden?
Das hat sie stark verunsichert, sie wissen ja nicht, welche Auswirkungen das auf ihre weitere Flucht hat. Sie hatten Angst davor, dass sie unterwegs in eine Polizeikontrolle kommen und dann in Österreich statt in Deutschland registriert würden – wo sie nicht dauerhaft bleiben wollen. Glücklicherweise gibt es momentan für Flüchtlinge aus Syrien, aber auch aus Afghanistan, keine Probleme mit der Registrierung in Deutschland.
Die Helferinnen und Helfer am Wiener Hauptbahnhof gaben sich alle Mühe, ihre Schützlinge sachlich zu informieren – gleichwohl bleibt auch für sie selbst die Lage ziemlich unübersichtlich. Ich bin übrigens total beeindruckt, wie viele Leute an verschiedensten Stellen aktiv sind, um den Flüchtlingen das zu bieten, wozu die Staaten nicht in der Lage sind: Dass sie sicher untergebracht und ärztlich versorgt sind, dass sie auch an den Ort kommen, wohin sie wollen.
Die plötzliche Einführung der Grenzkontrollen war nicht nur ein falsches Signal an andere europäische Regierungen. Sie wird auch dazu führen, dass immer mehr Flüchtlinge sich Schleusern anvertrauen, die versprechen, sie auf sicheren Wegen nach Deutschland zu bringen. Denen geht es nur ums Geld, keineswegs aber um das Wohlergehen dieser Menschen. Ich erinnere nur an den Lastwagen mit 71 erstickten Flüchtlingen, der vor wenigen Wochen in Österreich gefunden wurde.
Wie verlief die Fahrt?
In dem Auto, in dem ich mitfuhr, waren fünf Syrer. Zwei junge Männer, ein Vater mit seinem kleinen Sohn und ein Minderjähriger. Sie hatten sich auf der Flucht kennengelernt und gegenseitig unterstützt. Wir hatten immer wieder neue Informationen über die Lage an der Grenze, etwa 100 Kilometer vorher haben wir noch an einer Raststätte Pause gemacht. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, die Grenze in Freilassing zu überqueren.
Wie gestaltete sich der Grenzübertritt?
Vor der österreichischen Grenze haben wir die Autos auf einem Parkplatz gelassen und sind gemeinsam mit den Flüchtlingen zu Fuß über die Saalach-Brücke bis zum Übergang gelaufen. Es war schon dunkel. Österreichische Uniformen haben wir dort überhaupt nicht gesehen, nur deutsche Bundespolizei. Es war bewegend, die ganze Gruppe applaudierte, als wir die Grenze überquert hatten. Uns allen fiel ein Stein vom Herzen.
Die Polizisten erklärten dann, dass alle Flüchtlinge auf gefährliche Gegenstände durchsucht und registriert würden. Ich bin in Begleitung eines Übersetzers mit den Flüchtlingen mitgegangen.
Die anderen Aktivisten durften nicht mit. Die Bundespolizei sperrte mit zwei Mannschaftswagen die Sicht auf die restlichen Teilnehmer des Konvois, die vor der Grenze warteten. Deswegen konnte ich auch nicht sehen, wie es dann weiter lief zwischen der Bundespolizei und den Aktivisten.
Die Durchsuchung der Flüchtlinge dauerte einige Zeit, als wir sicher waren, dass sie registriert werden, haben wir uns von den müden, aber erleichterten Männern, Frauen und Kindern verabschiedet.
 
Aus: junge Welt vom 18.09.2015 Seite 2 / Inland