Heute wurde im Bundestag der Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten diskutiert. Er zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der Missstände, die in der Bundeswehr herrschen.
Sinnentleerte Dienste, überbelegte Stuben, verrohte Vorgesetzte. „Mach, was wirklich zählt!“ Mit diesem Spruch will Ministerin Von der Leyen junge Leute in die Bundeswehr und Auslandseinsätze locken. Ein besserer Rat wäre: lasst euch nicht verheizen!


Christine Buchholz (DIE LINKE):
Frau Präsidentin!
Sehr geehrter Herr Bartels!
Meine Damen und Herren!
Der vorliegende Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten Herrn Bartels beginnt mit der Forderung nach Vollausstattung der Bundeswehr und materieller Einsatzbereitschaft sowie mit Problemen bei der Beschaffung von Ausrüstung. Dies, obgleich die Statistik zeigt, dass es sich bei fast allen Eingaben an den Wehrbeauftragten um Probleme wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Beförderungsstau oder Schikanen von Vorgesetzten handelt. Ich betone das; denn seit Herr Bartels von der SPD der Wehrbeauftragte geworden ist, hat sich die Berichterstattung leicht verändert. Der Jahresbericht 2013 unter dem damaligen Wehrbeauftragten Herrn Königshaus begann mit den Kapiteln zu Führungsverhalten und Umgangston, zu Dienstpflichtverletzungen und fremdenfeindlichen Vorfällen in der Bundeswehr. Herr Bartels aber nutzt den Bericht, um zuallererst der weiteren Aufrüstung und der Aufstockung der Bundeswehr sowie der Erhöhung des Rüstungsetats das Wort zu reden.
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass Sie sich mit der Ministerin gegenseitig die Bälle zuspielen, anstatt die sozialen, dienstrechtlichen und disziplinarischen Probleme ins Zentrum zu stellen.
Die Linke sagt: Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)
Haben Probleme in der Bundeswehr, wie der Umgang mit Untergebenen, an Bedeutung verloren? Nein. Erstens, die Zahl der Eingaben von Soldatinnen und Soldaten bleibt insgesamt auf unvermindert hohem Niveau. Zweitens ist kein Bereich derart häufig Gegenstand von Beschwerden wie der Bereich Menschenführung und soldatische Ordnung.
Der Bericht gibt selbst einige Beispiele dafür, wie Untergebene in vulgärer Form von ihren Dienstvorgesetzten beschimpft werden oder ihnen mit Gewalt bis hin zur Exekution gedroht wurde. Es ist gut, dass der Bericht so etwas offenlegt. Aber zur Wahrheit gehört auch: Solche Rohheiten sind keine Einzelfälle in der Bundeswehr.
Wie wenig die Realität mit den Hochglanzbroschüren der Rekrutierungskampagnen des Verteidigungsministeriums zu tun hat, hat jüngst ein Stern-Reporter aufgedeckt, der undercover als Freiwilliger bei der Bundeswehr gewesen ist. Er berichtete von sinnentleerten Diensten und überbelegten Stuben sowie von rohen Vorgesetzten, etwa einem Feldwebel, der die Afghanen rassistisch als „Terroristen“ und – Zitat – „völlig bekiffte Ziegenficker“ beschimpfte.
Ich sage: Auch das ist ein Ergebnis des nun bald 15 Jahre alten Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr. Während der Bundeswehreinsatz in Afghanistan vor allen Dingen eine korrupte Regierung und unzählige Tote hinterlassen hat, bringt er nach Deutschland Soldatinnen und Soldaten zurück, die zum Teil durch Gewalterfahrungen gebrochen wurden, die demoralisiert oder zynisch geworden sind.
Ich sage Ihnen: Einsätze der Bundeswehr – und eine Trendwende in diese Richtung sollte es geben – lösen im Ausland keine Probleme, aber schaffen dafür viele neue bei uns zu Hause.
(Beifall bei der LINKEN)
Das alles sind Gründe, warum sich immer weniger Menschen freiwillig zum Wehrdienst verpflichten. 2015 ist die Zahl um 10 Prozent gesunken. In jedem Quartal brachen darüber hinaus zwischen einem Viertel und einem Drittel der Freiwilligen ihren Dienst ab.
Das Ministerium sagt: „Mach, was wirklich zählt.“ Damit möchte die Ministerin junge Leute in die Bundeswehr locken. Ein besserer Rat wäre: Lasst euch nicht verheizen.
(Beifall bei der LINKEN – Michaela Noll (CDU/CSU): Ein Unding! – Henning Otte (CDU/CSU): Eine Unverschämtheit! – Gisela Manderla (CDU/CSU): Unverschämt!)
Der Bundesregierung geht es nicht um die Zukunftschancen junger Menschen. Es geht ihr – da ist die Verbindung zur Debatte um das Weißbuch – ganz klar um geostrategische und wirtschaftliche Interessen.
Das zeigt auch, wo ihre Prioritäten liegen. So ist man im Allgemeinen ganz schnell, wenn es darum geht, Einsätze und Einsatzgebiete auszuweiten – beispielsweise in Syrien oder Mali: Mandate wurden in kürzester Zeit beschlossen und dann auch umgesetzt.
Doch im vorliegenden Bericht müssen wir lesen, dass für die „einsatzrelevante Verbrennungsmedizin … seit Jahren nur noch eine sehr eingeschränkte Versorgungskompetenz vorgehalten wird.“
Ich frage Sie: Was heißt das im Ernstfall für die eingesetzten Soldatinnen und Soldaten?
Ein weiteres Beispiel für ihre Prioritäten: Im Bericht heißt es, dass die im malischen Koulikoro eingesetzten Soldatinnen und Soldaten weder eine Internetverbindung nutzen noch den Soldatensender Radio Andernach empfangen können, sodass sie – zweieinhalb Jahre, nachdem der Einsatz begonnen hat – von dem Terroranschlag im 60 Kilometer entfernten Bamako im letzten November über privaten Mobilfunk aus Deutschland erfahren haben.
Das ist doch absurd.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben Geld für die Einsätze, aber nie genug Geld für die Menschen.
Insofern heißt Trendwende für uns, für die Linke: Die Bundeswehr muss abgerüstet werden, der Rüstungsetat muss reduziert werden,
(Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Sie haben doch vorhin eine bessere Ausstattung gefordert!)
die Auslandseinsätze beendet werden. Das ist nicht nur ein Schritt zu einer Friedenspolitik, sondern es ist auch die Antwort auf viele der Probleme, mit denen sich die Soldatinnen und Soldaten sowie ihre Familien herumschlagen müssen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)