In rekordverdächtigem Tempo prescht die Bundesregierung diese Woche einen Antrag durch das Parlament, der die Entsendung von 1200 Soldaten der Bundeswehr in einen Kampfeinsatz in Syrien und Irak vorsieht. Als Reaktion auf die Attentate von Paris soll die französische Luftwaffe bei ihrem Krieg mit Aufklärungstornados und Luftbetankung unterstützt werden. Das Szenario erinnert an die Reaktionen auf die Terroranschläge des 11. September 2001, der der US-Regierung und ihren Verbündeten zur Rechtfertigung des Krieges in Afghanistan diente. Die Erfahrungen haben gezeigt: Terror lässt sich nicht mit Krieg bekämpfen.
1. Die Bundesregierung instrumentalisiert die Terroranschläge für einen Kriegseinsatz
Der schreckliche Terrorangriff in Paris hat viele Menschen tief bewegt. Das Entsetzen wird von der französischen und deutschen Regierung instrumentalisiert, um in der Bevölkerung beider Länder Stimmung für die Beteiligung an einem eskalierenden Krieg im Mittleren Osten zu nutzen. Frankreich wurde nicht von einem anderen Staat angegriffen. Der „Islamische Staat“ (IS) kontrolliert zwar ein Territorium in Syrien und Irak, verfügt allerdings über keine militärischen Mittel, um Ziele in Europa aus der Luft oder von See anzugreifen.
Die meisten der Attentäter waren vielmehr belgische und französische Staatsbürger. Das verdeutlicht: Die Anschläge waren vor allem Ausdruck eines Problems innerhalb der europäischen Gesellschaften, in denen junge Muslime sich ausgegrenzt fühlen. Terroristische Strömungen können nur bekämpft werden, wenn ihm der soziale Nährboden entzogen wird. Ein wichtiger Bündnispartner dabei sind die muslimischen Gemeinden selbst, die den Terror ablehnen und die sich für die Überwindung von Vorurteilen engagieren.
2. Bundesregierung treibt Deutschland in einen Kriegseinsatz hinein, dessen Ende und Kosten nicht absehbar sind
Auch die militärische Wirkung der seit über einem Jahr von den Streitkräften der USA und ihren Verbündeten durchgeführten Luftangriffe gegen Ziele in Syrien und Irak ist begrenzt. An manchen Orten, wie im irakischen Ramadi oder im syrischen Palmyra, gab es 2015 schwere Rückschläge im Kampf gegen den IS. Nur an einigen Orten, wo am Boden kämpfende Soldaten um die Rückeroberung von Territorien gekämpft haben, konnten die Luftangriffe überhaupt die Lage verändern. Völlig unklar ist, wer nun für die deutsche und französische Armee am Boden kämpfen soll. Deshalb hatten der französische Außenminister Fabius und Verteidigungsministerin von der Leyen die Truppen Assads als Bündnispartner ins Spiel gebracht. Kaum geäußert, rückte aber das Bundesverteidigungsministerium wieder von der Idee ab.
Diese Episode zeigt, dass die Respektierung von Menschenrechten für die Bundesregierung bei der Auswahl ihrer möglichen Bündnispartner keine Rolle spielt. Das Assad-Regimes hat 2011 eine zivile Massenbewegung mit militärischen Mitteln niedergeschlagen und damit den Bürgerkrieg ausgelöst. Assads Truppen nehmen bis heute keine Rücksicht auf die syrische Zivilbevölkerung. Wer mit Fassbomben Bevölkerungszentren bombardiert, ist kein Bündnispartner im Kampf gegen Terror, sondern übt selbst Terror aus.
Die Bundesregierung stürzt Deutschland in einen Krieg, ohne die Frage nach den Bündnispartnern am Boden geklärt zu haben. Auch ansonsten sind die Konsequenzen unklar. Die Bundesregierung definiert kein konkretes Ziel. Deshalb ist auch weder ein Ende des Einsatzes abzusehen, noch die damit verbundenen Kosten. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands erwartet, der Kampf könne „weit über zehn Jahre andauern“. Bereits im ersten Jahr sollen dafür 134 Millionen Euro und 1200 Soldaten bereitgestellt werden.
3. Beim Bundeswehreinsatz geht es um globale Interessen
Der von der Bundesregierung beschlossene Bundeswehreinsatz stellt den größten Kampfeinsatz seit dem Ende von ISAF in Afghanistan dar. Das Mandatsgebiet umfasst Syrien, Irak und den Persischen Golf. In dem Gebiet sind bereits mehrere regionale und globale Mächte an einem Krieg beteiligt. Die Beteiligung der Bundeswehr daran stellt einen weiteren qualitativen Sprung auf dem Weg zu einer Armee im weltweiten Einsatz dar.
Verteidigungsministerin von der Leyen eröffnete den Prozess zur Erstellung des neuen Weißbuchs der Bundeswehr im Februar mit den Worten: „Unsere Interessen haben keine unverrückbare Grenze, weder geografisch noch qualitativ.“ Die Bundesregierung will mit dem Einsatz im ölreichen Mittleren Osten beweisen, dass es ihr ernst ist mit dem Anspruch, die globalen wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals auch durch militärische Aktivitäten zu unterfüttern.
4. Die Intervention treibt die Militarisierung der EU voran
Die Regierungen in Paris und Berlin wollen dem Anspruch Glaubwürdigkeit verleihen, innerhalb Europas Führungsmächte zu sein. Der Bezug auf eine in dem EU-Vertrag von Lissabon verankerten europäischen Beistandspflicht, von dessen Existenz bislang kaum jemand Notiz nahm, unterstreicht dies noch. Parallel zur gemeinsamen militärischen Intervention in Syrien und Irak haben die Regierungen in Berlin und Paris Schritte hin zu einer engeren Zusammenarbeit bei der Rüstungsbeschaffung angekündigt. Die Intervention der Bundeswehr an der Seite Frankreichs im Mittleren Osten treibt den Prozess der Militarisierung der EU voran.
5. Der Anti-Terror-Krieg hat den Terror nicht zurückgedrängt
Der IS ist eine Terrororganisation. Aber mit Bomben aus der Luft lässt er sich nicht stoppen. Seit dem Herbst 2014 greifen die USA im Bündnis mit anderen Staaten Ziele in Irak und Syrien an. Dabei haben sie im ersten Jahr mehr Bomben abgeworfen, als in den letzten fünf Jahren des Krieges in Afghanistan. Den Terrorismus hat das nicht zurückgedrängt – die Anschläge von Paris selbst zeugen davon.
In der letzten Woche gab das US-Außenministerium eine globale Reisewarnung heraus. US-Bürger sollen im Ausland bis auf weiteres größere Menschenansammlungen meiden und darauf achten, wer in ihrer Nähe steht. Diese Warnung gilt für jedes Land der Erde. Fünfzehn Jahre nach Beginn des vermeintlichen „Anti-Terror-Krieges“ in Afghanistan ist nun nach Einschätzung des US-Außenministeriums die ganze Welt unsicher geworden. Dies allein zeigt, dass der Anti-Terror-Krieg, der hunderttausenden Menschen das Leben gekostet und Millionen vertrieben hat, nicht funktioniert.
6.Die Internationale Intervention in Syrien kann in einen internationalen Krieg umschlagen
Der Abschuss eines russischen Militärflugzeuges durch die türkische Luftwaffe im November verdeutlicht, wie rasch die Intervention in den syrischen Bürgerkrieg durch ausländische Mächte in einer internationalen Krieg umschlagen kann. Der Abschuss war nicht das Ergebnis eines Missverständnisses zwischen zwei Staaten. Er erfolgte im Kontext einer Schlacht um die Vorherrschaft über ein hügeliges Gelände zwischen Latakia und Idlib nahe der türkischen Grenze. Dort stehen sich zwei Bündnisse gegenüber: Auf der einen Seite die syrische Armee und die libanesische Hisbollah, unterstützt von Russland – und auf der anderen eine aufständische turkmenische Miliz und die Nusra-Front, unterstützt von der Türkei. Moskau und Ankara verfolgen entgegengesetzte Interessen in Syrien. Deshalb kann es jederzeit erneut zu einem militärischen Zusammenstoß zwischen den beiden Mächten kommen.
Je mehr internationale Mächte beteiligt sind, desto mehr eskaliert der Krieg in Syrien. In diesem Krieg gibt es keine gute Seite. Deutschland muss sich aus ihm heraushalten.
7. Der Bundeswehreinsatz unterstützt ein Regime in Bagdad, das sich mithilfe radikal-schiitischer Milizen hält
Ministerin von der Leyen hat ausdrücklich darauf verwiesen, dass auch die Unterstützung der Regierung in Bagdad Teil der neuen Bundeswehrmission sein soll. Dabei ist diese Regierung selbst Teil des Problems. Das irakische Regime kann sich nur mithilfe radikal-schiitischer Milizen halten, die unter dem Dach der sogenannten Volksmobilisierung zusammengefasst sind. Der Innenminister selbst gehört einer dieser Milizen an.
Diese schiitischen Milizen haben sich Verbrechen schuldig gemacht, die jenen des IS in nichts nachstehen, und die durch Amnesty International bereits im letzten Jahr umfangreich dokumentiert wurden. In Ortschaften, die von diesen schiitischen Milizen erobert wurden, kam und kommt es regelmäßig zu Hinrichtungen, zu Plünderungen und ethnischen Vertreibungen von Sunniten. Einige der schiitischen Milizen, wie die Asaib Ahl al-Haqq, stehen auch auf der Terrorliste der US-Regierung. Sie haben Ende November damit begonnen, Kurden aus der Hauptstadt Bagdad zu vertreiben, als Vergeltung für Angriffe von Peschmerga auf schiitische Milizen im Norden des Irak.
Nicht nur in Syrien, auch in Irak nimmt der Krieg gegen den IS zunehmend einen an vielen Fronten verlaufenden Kampfes um die Kontrolle von Territorien an. Militärische Interventionen von außen, ob durch die USA, Iran oder Deutschland, sind Teil dieses Konfliktes und heizen ihn an.
8. Nach dem Konflikt ist vor dem Konflikt
Verteidigungsministerin von der Leyen wird nicht müde, die Befreiung von Sindschar (Schengal) vom IS als einen Beleg für den Erfolg der eigenen Politik zu preisen. An diesem Ort kam es im Sommer 2014 zur grausamen Verfolgung von Jesiden durch den IS. In der Version von Ministerin von der Leyen waren es die mit deutschen Waffen ausgestatteten Peschmerga der kurdischen Regionalregierung, die den Ort befreit haben.
Die Wirklichkeit ist wesentlich komplizierter. 2014 ließen die Peschmerga der Kurdischen Regionalregierung die Jesiden im Stich. Es war die PKK und ihre Verbündeten, die den Kampf gegen den IS aufnahmen und viele Menschen retteten.
Auch bei der Rückeroberung des Orts vor einem Monat waren PKK-Einheiten beteiligt, sowie eine neu aufgebaute Jesidenmiliz, die an der Seite der PKK kämpft. Diesen Anteil verschweigt Frau von der Leyen, denn die PKK gilt in Deutschland nach wie vor als eine „Terrororganisation“, ebenso wie der IS.
Nach der Befreiung Sindschars steigen die Spannungen über die Frage, wer in Zukunft die strategisch wichtige Stadt kontrollieren soll. Die PKK und ihre jesidischen Verbündeten stehen den Peschmerga der kurdischen Regionalregierung bewaffnet gegenüber. Die Bundesregierung sind in diesem Konflikt nicht auf Seite der jesidischen Bevölkerung, sondern auf der Seite einer korrupten kurdischen Regionalregierung.
9. Luftangriffe treffen unweigerlich Zivilisten
Luftangriffe treffen unweigerlich Zivilisten. Der Konflikt in Syrien und Irak liefert ständig neue traurige Beispiele. Laut UN-Hilfsorganisation OCHA haben allein die russischen Luftangriffe auf die von der bewaffneten syrischen Opposition gehaltenen Gebiete im Monat Oktober 120.000 Menschen vertrieben. Ein Dutzend Behelfskrankenhäuser seien getroffen worden. Die US-Luftangriffe auf das syrische Dorf Bir Mahli am 30. April diesen Jahres haben laut der in London angesiedelten Syrischen Beobachtungstelle für Menschenrechte allein 64 Zivilisten getötet, darunter 31 Kinder unter 16 Jahren.
Wenn die Bundeswehr sich mit Aufklärungstornados oder Militärsatelliten an der Zielauswahl beteiligt, und wenn sie die französische Bomber in der Luft betankt, dann ist Deutschland Teil des Bombenkrieges in Syrien und Irak. Hauptziel der französischen Luftwaffe war bislang die Stadt Rakka, die überdies seit einem Monat auch noch von der russischen Luftwaffe bombardiert wird. Bei diesen Luftangriffen wurden viele zivile Ziele getroffen, unter anderem zwei Brücken und ein Krankenhaus. Le Monde berichtete, am 18. November seien sechs Menschen, die Benzin verkauft hätten, infolge eines Angriffs verbrannt. Am 13. November schlug eine Bombe in der Gasse Hara Al-Hassoun ein und tötete 13 Anwohner.
Die Liste derartiger Verbrechen steigt mit jedem Tag, seit Ziele in Syrien und Irak aus der Luft bombardiert werden. In den Medien wird Rakka immer nur als „IS-Hochburg“ bezeichnet. Doch in der Stadt befinden sich nicht nur Kämpfer des IS. Es leben dort auch einige hunderttausend Zivilisten. Während der IS seine Waffen in Tunneln versteckt und keine militärischen Stellungen als Ziele anbietet, ist die Bevölkerung ohne Schutz. Die Bundeswehr darf sich deshalb an Luftangriffen gegen Rakka und andere Orte in Syrien und Irak nicht beteiligen.
10. Luftangriffe stärken den IS politisch
Die US-Regierung hat im Herbst 2015, ein Jahr nach Beginn der US-geführten Luftangriffe gegen Irak und Syrien eingeräumt, dass der IS zwar zahlreiche Kämpfer durch die Angriffe verloren hat – ihre Gesamtzahl sei indessen nahezu unverändert geblieben. Mit anderen Worten: Bombardierungen aus der Luft stärken den IS politisch. Denn der IS kann immer neue Anhänger dazu gewinnen, solange er sich als Verteidiger der sunnitischen Bevölkerung präsentieren kann.
Das hat auch Nicolas Hénin bestätigt, der über ein Jahr Gefangener des Islamischen Staats in Syrien war. Er argumentiert, dass der IS die Bomben des Westens für seine Propaganda braucht.
Der IS kann nur dann nachhaltig geschwächt werden, wenn sich politisch im Irak und Syrien etwas ändert. Ungeachtet der Verheerungen durch Krieg und Unterdrückung gibt es in allen religiösen und nationalen Gemeinschaften in Syrien und Irak politische Kräfte, wie für einen demokratischen Wandel stehen. Jüngstes Beispiel waren die sozialen Proteste in Basra, Bagdad und anderen südirakischen Städten im Sommer, die sich – inmitten des Krieges – gegen die Korruption und Inkompetenz der „eigenen“, schiitisch dominierten Regierung richteten.
DIE LINKE muss auf die Stärkung solcher, konfessionsübergreifenden demokratischen Kräfte setzen. Aber auch in Deutschland selbst können wir etwas tun. Hénin schrieb, dass die Bilder von Flüchtlingen aus muslimischen Ländern, die im Westen willkommen geheißen werden, die Unterstützung für den IS auch in Syrien schwächt. Denn das passt einfach nicht in das Weltbild einer Terrororganisation, die vorgibt, allein für die Muslime gegen den Rest der Menschheit zu kämpfen. Anstatt Millionen für einen militärischen Auslandseinsatz auszugeben, sollte die Bundesregierung mehr Mittel für zivile Zwecke bereitstellen, zum Beispiel zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, für mehr Lehrkräfte, oder zur Unterstützung von Hilfsorganisationen und Freiwilligen in den Willkommensinitiativen.
11. Geld für Flüchtlinge statt für Bomben
Während die Regierungen in Berlin, Paris, Washington, Moskau und anderswo Milliarden ausgeben, um militärisch in Syrien und Irak zu intervenieren, fehlt das Geld für die Flüchtlinge in und aus diesen Ländern. Im Juni warnte der Koordinator für die Irak-Nothilfe des Flüchtlingshilfswerk UNHCR, es würden mindestens 500 Millionen US-Dollar fehlen, um die Versorgung in den Lagern vor Ort aufrecht halten zu können. In der Folge wurden die Essensrationen gekürzt.
Im November klagte das UN-Kinderhilfswerk Unicef, dass für die Versorgung syrischer Kinder bis zum Jahresende noch 250 Millionen US-Dollar fehlen würden. Mit den zurzeit zur Verfügung stehenden Geldern könnten etwa 250.000 Mädchen und Jungen über den Winter gebracht werden. Versorgt werden müssten jedoch rund 1,1 Millionen Minderjährige, unter anderem mit Decken, Winterkleidung und Heizmaterial.
Für Tornados, Fregatten, Militärsatelliten werden binnen einer Woche über 130 Millionen Euro bereitgestellt – warum wird für die Flüchtlinge nicht mehr getan? Die Prioritäten müssen völlig neu gesetzt werden, weg von immer mehr Aufrüstung und Auslandseinsätzen, hin zu einer an den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung orientierten Politik.
12. Waffenexporte stoppen
Der Krieg hat auch Profiteure. Die internationale Rüstungsindustrie boomt. Und die Bundesregierung arbeitet daran, dass das so bleibt. Sie genehmigte auch 2015 wieder reichlich Waffen- und Rüstungsexporte in die Kriegsregion, darunter mehrere Panzer nach Katar, 15 Patrouillenboote nach Saudi-Arabien und 500 Maschinenpistolen in die Vereinigten Arabischen Emirate. Daneben stattete sie die kurdischen Peschmerga mit Tonnen an Kriegsmaterial aus. Israel erhielt im Laufe der vergangenen Jahre mehrere Kriegsschiffe. Diese Politik trägt ihren Teil dazu bei, dass den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten nie der Nachschub an Waffen und Rüstungsmaterial ausgeht. DIE LINKE fordert deshalb ein Stopp aller Waffen- und Rüstungsexporte.