Als religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der LINKEN, halte ich Kontakt zu verschiedenen Religionsgemeinschaften bundesweit. In diesem Sommer habe ich mich mit Vertretern der großen Religionsgemeinschaften in Hessen verabredet. Zuerst treffe ich mich mit Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und den evangelischen Kirchen. Es folgen Termine mit Vertretern von muslimischen Gemeinden und der katholischen Kirche.
Ende Juli empfängt mich die Direktorin der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main, Jennifer Marställer in ihrem Arbeitszimmer im jüdischen Gemeindezentrum. In dem Komplex im Frankfurter Westend befinden sich die Gemeindeverwaltung, das Rabbinat sowie der jüdische Kindergarten.
Das Gemeindezentrum ist permanent durch die Polizei und durch einen eigenen Sicherheitsdienst überwacht. Drohanrufe und -schreiben sind leider alltäglich. Es ist traurig, aber damit bin ich schon groß geworden, meint die in aus Frankfurt stammende Jennifer Marställer.
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Die Frankfurter jüdische Gemeinde ist eine Einheitsgemeinde der Denomination Orthodox. Jüdinnen und Juden aller Denominationen (Glaubensrichtungen) können ihre Religion getrennt unter einem Dach praktizieren. Das läuft im Großen und Ganzen gut. Die liberalen Gemeindemitglieder werden über den „egalitären Minjan“ organisiert. Elisa Klapheck ist ihre Rabbinerin.
Die Gemeinde hat ca. 7000 Mitglieder. Sie besteht in etwa zu 50 Prozent aus ‚alteingesessenen‘ und zu 50 Prozent aus ‚zugewanderten‘ Mitgliedern. Der Großteil der Zugewanderten kommt aus dem ehemaligen Ostblock. Altersarmut sei ein großes Problem. Bei den Zuwanderern liegt es auch daran, dass viele der Zugewanderten trotz akademischer Berufe eine geringe Rente hätten. Berufsabschlüsse aus der Sowjetunion und den Nachfolgestaaten waren nicht anerkannt und so hätten viele Zugewanderte nicht in ihrem Beruf arbeiten können.
Zur Situation in der Ukraine nach dem Umbruch im Winter 2013/1014 berichtet Frau Marställer von der Kooperation zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und dem Innenministerium in Berlin. Es gebe eine Zusicherung, dass einreisewillige Jüdinnen und Juden aus der Ukraine auch ohne vollständige Papiere Anträge stellen könnten. Die Ausreisewelle sei aber geringer als erwartet. In Frankfurt hätten sie bisher eine Anfrage aus der Ukraine bearbeitet.
Ulrike Scherf ist die Stellvertreterin des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche Hessen Nassau, Volker Jung. Wir treffen uns am Sitz der EKHN in Darmstadt. Die EKHN ist eine von drei evangelischen Landeskirchen, die es in Hessen gibt. Sie deckt vor allem den süd- und mittelhessischen Bereich ab und gilt als eine der progressivsten Landeskirchen in der EKD. Prägende Figur seit der Gründung der EKHN nach dem Zweiten Weltkrieg war Martin Niemöller. Das betrifft die Inhalte – durch ein starkes friedenspolitisches Profil – als auch die Strukturen – es gibt keinen übermächtigen Bischoff, sondern einen Kirchenpräsidenten. Die Synode (das „Kirchenparlament“) und Kirchengremien haben eine große Entscheidungsbefugnis.
Im Winter 2013 hatte die EKHN eine Erklärung gegen Rüstungsexporte verabschiedet. Ich hatte mich daraufhin mit einem Brief an die EKHN gewandt. Frau Scherf bedankt sich gleich zu Beginn des Gespräches für unsere Reaktion auf die Erklärung. Zum Thema Kampfdrohen hat sich die EKHN noch keine abschließende Meinung gebildet. Die EKHN hat übrigens als einzige Landeskirche eine Friedenspfarrerin. Frau Scherf berichtet, wie die Diskussion um Tebartz van Elst und das Bistum Limburg auch auf die Debatten um und in der evangelischen Kirche durchgeschlagen sind. Einerseits betont sie die – im Vergleich zur katholischen Kirche – große Transparenz der EKD, andererseits bedauert sie die öffentliche Debatte in der der Eindruck erweckt würde das Problem seien „Subventionen an die Kirchen“.
Zum Thema Sterbehilfe begrüßt sie es, dass sich Patientenverfügungen durchgesetzt haben. Die EKD sei gegen aktive Sterbehilfe, auch wenn es wichtig sei die Begrifflichkeiten (indirekte Sterbehilfe, aktive Sterbehilfe, Assistierter Suizid…) auseinanderzuhalten. Es sei zentral den Bereich von Pflege und Palliativmedizin stärker ins Blickfeld zu rücken.
Die EKHN hat eine intensive Debatte zur Familienpolitik geführt. Ziel sei es, die Familie im weiteren Sinne zu stärken. Die EKHN traut auch gleichgeschlechtliche Paare und trägt sie ins Kirchenbuch ein. Selbst wenn ein Pastor/Pastorin die Trauung nicht durchführt, wird das Paar nicht abgewiesen, sondern an eine andere Gemeinde vermittelt.
Besonders wichtig ist Frau Scherf das Thema Sonntagsschutz. Sie engagiert sich stark für die ‚Allianz für einen freien Sonntag‘. Es gibt auch Gliederungen dieser Allianz in einigen Orten, in denen DIE LINKE mitarbeitet.
Jörn Dulige, Beauftragter der evangelischen Kirchen in Hessen beim Sitz der Landesregierung, empfängt uns im Haus von Martin Niemöller. Der hat die EKHN nach dem Zweiten Weltkrieg mit begründet, sein Haus dient nun Herrn Dulige als Amts- und Wohnsitz.
Dann erklärt er seine Funktion. Er vertritt die drei im Land Hessen vertretenden Kirchen gegenüber dem Landtag. Dabei muss er die sehr unterschiedlichen hessischen evangelischen Kirchen koordinieren: die Die EKHN, die Evangelischen Landeskirche Kurhessen Waldeck (EKKW) und die Evangelischen Kirche im Rheinland.
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Die Rheinländische Kirche nimmt an Mitgliedern einen kleineren Anteil an ein. Insgesamt ist das Verhältnis von den Nordhessischen und Südhessischen Kirchen 1:2.
Und während  die EKKW stärker bischöflich ausgerichtet ist, spielen bei der EKHN die Synode und die Gremien eine stärkere Rolle. Die regionale Prägung ist aber in beiden Kirchen sehr unterschiedlich.
Früher galt die EKHN als links, die EKKW als rechts. Dulige meint, dass sich politische Differenzen nivellieren. Zwei Themen, die in der EKHN eine große Rolle spielten, seien der Komplex Flucht/Asyl/Integration, ein andere Familie/Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen.  Wenn’s hart auf hart kommt, stehen aber auch die Gemeinden der EKKW auf. Beispielsweise gegen Fracking, Werraversalzung oder im Zusammenhang mit den Länderverpachtungen gegen Gentechnik.