Am 28. Juli diskutierte ich auf Einladung der LINKEN Berlin-Neukölln mit Lafi Khalil von der palästinensischen Gemeinde und Yossi Bartal von der israelischen Antikriegsorganisation ‚anarchists against the wall‘. Über 100 Personen kamen zur Veranstaltung und diskutierten engagiert.

v.l. Lafi Khalil, Irmgard Wurdack (Moderation), Yossi Bartal, Christine Buchholz
v.l. Lafi Khalil, Irmgard Wurdack (Moderation), Yossi Bartal, Christine Buchholz

 
Hier mein Referat:
Die Toten liegen auf den Straßen Gazas. Über 140.000 Menschen sind allein in UN-Einrichtungen geflohen. Die UN-Schule in BeitHanoun wurde am Donnerstag – voll mit Flüchtlingen – beschossen. Nach UN-Angaben wurde in den letzten zwei Wochen jede Stunde ein Kind in Gaza getötet. 44 Prozent des Gaza-Streifens wurden von Israel zur No-Go-Zone erklärt.
Der norwegischen Arzt Mads Gilbert schreibt am 20. Juli in einem bewegenden Brief aus dem Krankenhaus Shifa in Gaza: „Diese Nacht war extrem. Die “Bodenoffensive” in Gaza brachte Wagenladungen voll von Verstümmelten, Zerrissenen, Blutenden, Zitternden, Sterbenden – verschiedene verletzte Palästinenser, alle Altersgruppen, alles Zivilisten, alle unschuldig.
Die Helden in den Krankenwagen und in allen Krankenhäusern Gazas arbeiten 12- bis 24-Stunden-Schichten, grau vor Müdigkeit und einem unmenschlichen Arbeitsumfang (und ohne Bezahlung die letzten vier Monate), sie pflegen, sie nehmen die Ersteinschätzung vor, sie versuchen das nicht zu begreifende Chaos an Körpern, Größen, Gliedmaßen zu verstehen, gehende, nicht gehende, atmende, nicht atmende, blutende, nicht blutende Menschen. MENSCHEN!“
Über tausend Palästinenserinnen und Palästinenser, über 50 Israelis sind getötet worden. Man kommt gar nicht hinterher die Zahlen zu aktualisieren. Auf palästinensischer Seite vor allem Zivilisten, auf israelischer Seite vor allem Soldaten.
Lasst es mich ganz unmissverständlich sagen: Jeder Tote ist ein Toter zu viel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass Deutschland an der Seite Israels stehe, wenn es um die Selbstverteidigung geht. Außenminister Steinmeier sagte: „Israel hat jedes Recht, seine Bevölkerung gegen Angriffe zu verteidigen.“
Ich will es deutlich sagen, dieser Krieg hat nicht mit Selbstverteidigung zu tun. Auch in diesem Krieg stirbt die Wahrheit als erstes.
Bettina Marx, Redakteurin im Hauptstadtstudio der DW, derzeit Korrespondentin im ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv, beschreibt die Vorgeschichte der Eskalation treffend:
„Alles begann mit der Vereidigung der neu geschaffenen palästinensischen Einheitsregierung am 2. Juni. Sie sollte die jahrelange blutige Fehde zwischen Fatah und Hamas beenden und den palästinensischen Kampf um Selbstbestimmung stärken. Zu Israels Entsetzen signalisierten die USA und Europa ihre Bereitschaft, mit der aus Experten bestehenden Regierung zusammenzuarbeiten.
Als zehn Tage später in der Nähe von Hebron im besetzten Westjordanland drei jüdische Religionsschüler entführt wurden, sah Jerusalem seine Chance gekommen, die neue Regierung zu zerschlagen. Obwohl die israelischen Sicherheitskräfte von vornherein Anhaltspunkte dafür hatten, dass die Teenager unmittelbar nach ihrer Entführung getötet worden waren, verbreitete die Regierung die Version, die Jugendlichen seien noch am Leben und zu retten. Um sie zu finden, wurde eine großangelegte Suchaktion durchgeführt. Dabei wurden Hunderte von Hamas-Mitgliedern verhaftet, die Häuser der mutmaßlichen Attentäter zerstört und Razzien durchgeführt. Das Ziel war es, die Strukturen der Hamas im Westjordanland zu zerschlagen und damit die Regierung der nationalen Einheit zu torpedieren.
Auch die Hamas im Gazastreifen wurde angegriffen. Am 29. Juni wurde ein Mitglied der Organisation durch einen Luftschlag getötet. Am nächsten Tag feuerte die Hamas Raketen auf Israel ab, die ersten seit der Waffenruhe von 2012.“
Die Morde an den drei jüdischen Religionsschülern waren barbarisch und feige, wie auch der Mord an dem palästinensischen Jugendlichen barbarisch und feige war. Ich verurteile auch die Raketen der Hamas, weil sie Zivilisten verletzen und töten und der israelischen Regierung den Vorwand liefern, um den brutalen Krieg vor der Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Aber ich teile nicht die Kriegsbegründung der israelischen Regierung es handele sich um Selbstverteidigung.
Die israelische Regierung sagt darüber hinaus, sie wolle mit ihrer Militäroffensive das Tunnelsystem zum Gaza-Streifen zerstören.Was sie nicht sagt, ist, dass die Palästinenserinnen und Palästinenser sich darüber vor allem mit lebensnotwendigen Gütern versorgen. Nur ein Bruchteil der dringend benötigten Waren wie Baumaterialien, Lebensmittel, Medikamente oder Trinkwasser wird über die Grenzübergänge in den Gazastreifen gelassen.
Wenn Israel die Abriegelung des Gaza-Streifens aufheben, die Blockade beenden und geregelte Grenzübergänge nach Israel und Ägypten eingerichtet würden, wäre damit der größte Teil des Tunnelsystems erledigt.
Damit sind wir an einem Kernproblem angelangt: Bei der Blockade des Gaza-Streifens und der Besatzung.
Die israelische Regierung hat die Friedensverhandlungen im Frühjahr erneut abgebrochen. Seit 1995 warten die Palästinenserinnen und Palästinenser auf die Erfüllung des Vertrags von Oslo, stattdessen genehmigt und subventioniert die israelische Regierung weiter Siedlungen. Seit sieben Jahren leben die Menschen im Gaza unter der Blockade – zur See, zu Lande und zur Luft. 1,8 Millionen Menschen leben auf einer Fläche so groß wie Frankfurt am Main.
DIE LINKE fordert ein Ende der Blockade und eine Ende der Besatzung.
Die UN und auch der Deutsche Bundestag fordern ein Ende der Blockade. Doch Papier ist geduldig, nichts ist geschehen.
Stattdessen macht sich die Bundesregierung die israelische Kriegsbegründung von der Selbstverteidigung zu Eigen und Wirtschaftsminister Gabriel genehmigt mitten im Krieg die Auslieferung eines atomwaffenfähigen U-Boots an Israel. Wer so handelt ist mitverantwortlich für die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen.
Gerade weil der Krieg mit politischer Unterstützung aus Deutschland geführt wird, müssen wir uns als LINKE dagegen äußern. Es ist richtig, gegen den Krieg und die Besatzung und für einen gerechten Frieden auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren.
Pro-israelische Demonstrationen sind von einzelnen Menschen oder Gruppen in deutschen Städten angegriffen worden, in Einzelfällen wurden antisemitische Straftaten wie das Zeigen des Hitlergrußes oder Holocaust-Leugnung begangen. Auf einigen Demonstrationen wurden selbstgemalte Schilder hochgehalten, die Israel mit dem Hitlerfaschismus gleichsetzen oder ihre Kritik nicht gegen die israelische Regierung und das israelische Militär richten, sondern gegen „die Juden“.
Das ist nicht akzeptabel. Wir ziehen die Lehre aus der Geschichte und stehen deshalb heute gegen Antisemitismus und jede andere Form des Rassismus.
Angriffe auf und Bedrohungen von Menschen sowie gewalttätiges Agieren auf, vor und nach Demonstrationen werden von uns nicht akzeptiert.
Deswegen ist es auch richtig, breite Bündnisse gemeinsam mit der Friedensbewegung, mit Palästinensischen Gemeinden und mit Moscheegemeinden aufzubauen, die sich auf einen Demonstrationskonsens einigen, der sich klar von antisemitischen und antimuslimischen Äußerungen distanziert. Dass so ein Konsens dann auch durchgesetzt werden kann, haben wir beispielsweise auch vergangenen Samstag in Frankfurt am Main und in Berlin gesehen.
Wir weisen aber den Versuch einiger Medien und Politiker zurück, durch Diffamierung der gesamten Friedensdemonstrationen den Widerstand gegen den Krieg kleinzuhalten, indem sie die große Mehrheit derer, die gegen den Krieg demonstrieren möchten, verunsichern.
Und ebenso wenig wie wir Antisemitismus tolerieren, toleriert DIE LINKE den antimuslimischen Rassismus, der im Kontext dieses Krieges auftaucht: Ganz vorne dabei ist wieder die BILD Zeitung. Nicolaus Fest hetzt in der Bild am Sonntag von gestern gegen den Islam:
„Ich bin ein religionsfreundlicher Atheist. Ich glaube an keinen Gott, aber Christentum, Judentum oder Buddhismus stören mich auch nicht. Nur der Islam stört mich immer mehr. Mich stört die weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund. Mich stört die totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle. Mich stören Zwangsheiraten, „Friedensrichter“, „Ehrenmorde“. Und antisemitische Pogrome stören mich mehr, als halbwegs zivilisierte Worte hergeben. Nun frage ich mich: Ist Religion ein Integrationshindernis? Mein Eindruck: nicht immer. Aber beim Islam wohl ja. Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen! Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.“
Anders als BILD stehen wir gegen den latent hohen Antisemitismus in Deutschland und gegen die zunehmende Hetze gegen den Islam. Menschenrechte sind unteilbar. Rassismus ist in jeder Form abzulehnen. Das ist Islamhetze wie bei Thilo Sarrazin, die wir scharf zurückweisen.
In Israel werden Anti-Kriegs-Demonstrationen von der Polizei, von Rechten oder terroristischen Organisationen wie der Jewish Defense League angegriffen, die „Tod den Arabern“, „Tod den Linken“ skandieren.
Wir stehen an der Seite der Minderheit von Juden und israelischen Palästinensern, die in Israel gemeinsam gegen den Krieg demonstrieren. Sie antworten auf die Flaschen und Steine der Rechten mit dem Slogan: „Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein“. Das gibt mir Hoffnung.
Und genauso setzen viele Palästinenser auf zivilen Widerstand: Täglich finden Aktionen im Westjordanland gegen Landnahme, Verhaftungen und Willkür statt.
DIE LINKE fordert einen sofortigen Stopp aller Kampfhandlungen. Die Bundesregierung muss endlich die Unterstützung für das Vorgehen der israelischen Regierung beenden.
Die Rüstungsexporte in den gesamten Nahen Osten müssen sofort gestoppt werden.
Die Blockade und die Besatzung muss beendet werden. Nur so wird es Frieden und Sicherheit für alle in Israel und Palästina geben.
Liebe Freundinnen und Freunde. Wir kennen eure Sorge um das Leben und die Gesundheit eurer Familien, eurer Brüder und Schwestern in Gaza. Wir lassen Euch nicht alleine.