Hier meine Rede zur Debatte um Beschneidung im Bundestag, in der ich begründe, warum ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen werde.
 


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Ich spreche hier für den Teil meiner Fraktion, der im Grundsatz den Gesetzentwurf der Bundesregierung unterstützt. Ich sage „im Grundsatz“, weil ich vor dem Kölner Urteil nicht der Meinung war, dass ein Gesetz zur Regelung der religiös motivierten Beschneidung in Deutschland nötig ist.
Aber das Kölner Urteil war ein Schock für die übergroße Mehrheit der Juden und Muslime in Deutschland. Es hat eine Situation geschaffen, in der ein Ritus, der für die Mehrheit der Juden und Muslime zentrale Bedeutung hat, kriminalisiert wird und bereits beschnittene Jungen und Männer als andersartig und nicht zur Gesellschaft dazugehörig stigmatisiert werden.
Ich glaube, vor zehn Jahren wäre ein solches Urteil nicht möglich gewesen. Ich kann es mir nicht anders erklären: Es steht im Zusammenhang mit steigendem antimuslimischem Rassismus und einer in diesem Land immer noch weitverbreiteten antisemitischen Haltung. Vor wenigen Wochen haben wir hier den Antisemitismusbericht diskutiert. Daher war es absolut richtig, dass die Regierung die Initiative ergriffen hat, eine Lösung zu suchen, die den Kindern und Eltern hilft, die niemanden an den Pranger stellt und keine weiteren Ressentiments schürt.
In der teilweise sehr emotional geführten öffentlichen Debatte wird die Beschneidung mit der Verstümmelung weiblicher Genitalien gleichgesetzt oder in einem Atemzug mit Körperverletzung, Gewalt und Misshandlung genannt. Damit wird Vorurteilen Vorschub geleistet. Das ist nicht die Intention vieler Befürworter der Einschränkung des Rechts auf Beschneidung, aber es ist leider die Wirkung. Damit müssen sie sich auseinandersetzen.
Ich halte es auch für in der Sache nicht gerechtfertigt; denn auch medizinische Fachmeinungen haben immer einen Bezug zu der Gesellschaft, in der sie entstehen, und sind keine universellen Urteile. Im Gesetzentwurf der familienpolitischen Sprecherinnen der Oppositionsfraktionen selbst wird auf die „weltweit unterschiedlichen Fachmeinungen und -empfehlungen“ in Bezug auf die Beschneidung hingewiesen. Sie könne, so ist zu lesen, durchaus „Ausdruck von im Interesse des Kindes gelebter Elternverantwortung“ sein. Es heißt: Aus der Sicht von deutschen Ärzten ist eine medizinisch nicht notwendige Beschneidung nicht ratsam.
Meine Damen und Herren, ich halte es für unzulässig, den Juden und Muslimen in Deutschland die christlich geprägte Sichtweise eines Teils der medizinischen Zunft zum Maßstab zu machen. Das ist nicht mein Verständnis einer lebendigen, toleranten, multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft.
Es wurde hier von der Kinderrechtskonvention gesprochen. Ich möchte auf den Art. 14 hinweisen, der die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit beinhaltet und in dem ganz klar formuliert ist, dass Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auch Teil dieser Konvention sind und dass das Kind bei der Ausübung dieses Rechts in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise zu leiten ist. Daher denke ich, dass die Beschneidung nicht im Widerspruch zur Kinderrechtskonvention steht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Manche setzen das Bekenntnis zur Religionsfreiheit mit Freiheit von Religiosität gleich. Ich als Nichtjuristin möchte den Blick auf die Rolle zweier Juristen richten, die gewissermaßen Stichwortgeber des Kölner Urteils sind, auf den Strafrechtler Holm Putzke, der zufrieden erklärt, mit dem Kölner Urteil sei nun mittel- und langfristig das Ende der religiösen Beschneidung eingeleitet, und auf seinen Doktorvater, Rolf Dietrich Herzberg, der erklärt, schließlich habe man ja auch die Praxis der Kastration im Morgen- wie im Abendland überwunden.
Wer die theologische Bedeutung der Beschneidung, die im Judentum das Schließen des Bundes mit Gott ist, mit der historischen Praxis der Kastration gleichsetzt, ist nicht nur ignorant gegenüber den Gläubigen; er haut in die Kerbe des alten christlichen antijüdischen Klischees, das in dem geistigen Bund mit Gott eine Erhebung über die angeblich barbarische Praxis des Judentums sieht. Das dürfen wir nicht zulassen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine Änderung der Religionspraxis muss von innen, aus den Religionsgemeinschaften selbst, kommen. Es ist doch auffällig, dass es zwar viele Berichte von Einzelnen gibt, die ihre Beschneidung als traumatisch erlebt haben – und keiner in diesem Raum spricht ihnen diese Erfahrung ab – , aber es gibt keine innerjüdische oder innermuslimische Initiative von Betroffenen gegen die Beschneidung.
(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Das ist falsch!)
Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Ich möchte in diesem Sinne mit den Worten des Schriftstellers Navid Kermani schließen:
Darum müssen Minderheiten in dem Augenblick nervös werden, in dem sie vom Recht nicht mehr gegen die Urteile und Vorurteile der Mehrheit geschützt werden. Das ist jetzt Deutschlands Minarettverbot, allerdings mit viel weitreichenderen praktischen und symbolischen Folgen, falls das Urteil Bestand haben sollte.
Deswegen unterstützen ich und einige meiner Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion den Gesetzentwurf der Bundesregierung.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)