Vortrag von Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag am 15. und 21. März 2012 in Berlin und Frankfurt (Main)
Vor genau einem Jahr gingen Menschen in der Stadt Deraa im Süden Syriens auf die Straße. Daraus ist eine revolutionäre Bewegung entstanden. In der Öffentlichkeit ist vor allem von dem pro-westlichen „Syrischen Nationalrat“ (SNC) die Rede. Es gibt aber auch eine linksgerichteten Opposition, die sich klar gegen das Regime, sektiererische Gewalt und eine ausländische Intervention in Syrien ausspricht.
Ich freue mich sehr, dass wir mit Mais Elkrydee eine junge Aktivistin aus Syrien hier haben, die uns aus erster Hand berichten kann. Sie gehört dem Nationalen Koordinierungskomitee der Kräfte für den demokratischen Wandel in Syrien an.
Vorab möchte ich ein paar Stichpunkte aus der Sicht der Linken in Deutschland zur Entwicklung in Syrien darstellen.

  1. 1.    Die Bewegung trotzt der Repression

Wir sehen die fürchterlichen Nachrichten aus Homs und anderen Städten. Gerade am vergangen Wochenende haben Sicherheitskräfte bei Razzien 200 Personen aus dem Umfeld des Nationalen Koordinierungskomitees festgenommen. Das ist die eine Seite.
Aber Syrien macht auch Mut.
Zunächst einmal zeigt die Bewegung in Syrien, dass Revolution möglich ist, selbst dort, wo die Unterdrückung massiv ist. Wer hätte sich vor zwei Jahren träumen lassen, dass die Bevölkerung ganzer Städte wieder und wieder auf die Straßen geht, obwohl die Armee gegen sie Panzer und Heckenschützen einsetzt, der Geheimdienst Menschen foltert und verschwinden lässt?
 

  1. 2.    Die Revolution in Syrien ist Teil des arabischen Frühlings

Die Bewegung begann, nachdem in Tunesien Ben Ali und in Ägypten Mubarak gestürzt worden sind. Die Bewegung in Syrien ist Teil der Erhebungen der arabischen Bevölkerungen gegen ihre Diktatoren.
Die arabischen Herrscher sprechen seit je her von arabischer Einheit. Die syrische herrschende Partei – die Ba’ath-Partei – hat den Panarabismus sogar zum Programm erhoben. Doch in der Praxis passiert genau das Gegenteil. Die Staaten lassen sich in unterschiedliche internationale Bündnisse hineinziehen und führen Krieg gegeneinander. 1991 war Syrien unter der Ba’ath-Partei Teil des Militärbündnis unter amerikanischer Führung, das den Irak unter der Führung Saddam Husseins und der dortigen Ba’ath-Partei beteiligt. Die arabische Revolution hat das Potenzial, die arabischen Völker zu vereinen – von unten, gegen ihre Herrscher.
 

  1. 3.    Das Assad-Regime hat immer mit den Großmächten paktiert

Das Assad-Regime posiert als ein antiimperialistisches Bollwerk. Tatsache ist: ohne die Unterstützung durch Russland würde das Regime sich nicht mehr halten können. Aber verfolgt Russland unter Putin nicht auch imperialistische Ziele?
Fakt ist: Das Assad-Regime hat bisher mit jeder Großmacht kooperiert, wenn es ins eigene Programm passte. 1976 marschierten syrischen Truppen mit Billigung des Westens nach Libanon ein. Sie haben zugesehen, als die Falangisten palästinensische Zivilisten, Frauen und Kinder in Tel-Al-Zaatar hinrichteten. 1991 dann die erwähnte Beteiligung an der Kriegsallianz mit den USA, und den Golfstaaten gegen den Irak. Hunderttausende fielen dem Bombardement zum Opfer.
Schließlich kam der so genannte „Krieg gegen den Terror“ nach den Anschlägen Al Qaedas in den USA vom September 2001. Syrien diente nicht nur als Aufnahmeort für das folgende Verschleppungs- und Folterprogramm der CIA. 2002 waren sogar Fahnder des deutschen BKA in einem syrischen Gefängnis, um einen deutschen Staatsangehörigen syrischer Herkunft zu verhören.
 

  1. 4.    Deutschland kooperierte mit Assad

Damit komme ich zum Verhältnis der deutschen Regierungen zu Assad. Vor allem die Regierung Steinmeier – Merkel hat die Nähe zur Assad gesucht. Außenminister Steinmeier war derjenige, der die internationale Isolation beenden wollte. Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul hat Syrien zu einem Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit gemacht. Nun ist ja im Prinzip nichts dagegen einzuwenden, die wirtschaftliche Isolation eines Landes zu beenden – denn niemand hat mehr darunter gelitten als die Bevölkerung. Doch es ist schon sehr heuchlerisch, wenn nun von Seiten der aktuellen Regierung und der SPD versucht wird, die Linken als Freunde des Assad-Regimes zu zeichnen.
 

  1. 5.    Unterdrückung wird sichtbar

Die Bilder, die wir aus Homs zu sehen bekommen, sind erschütternd. Einige sagen, die Bilder seien manipuliert, um eine Intervention zu rechtfertigen. Natürlich können Bilder manipuliert werden. Die Erfahrungen aus den Kriegen gegen Irak und Jugoslawien sind nur die schrillsten Beispiele dafür, wie mit Bildern Angriffe vorbereitet wurden. Aber aufgrund der Kommunikationstechniken in Händen von Millionen ist es heute viel schwerer möglich, die Repression völlig zu verneinen. Einige Bilder sind sicher manipuliert. Aber alle? Um eine eigene Einschätzung zu bekommen, sind Berichte von Freunden vor Ort wichtig. Das ist auch ein Grund, warum wir Mais eingeladen haben. Als Assad senior 1982 die Stadt Hama in Schutt und Asche legen ließ, gab es praktisch kein einziges Bild davon.
Assad behauptet, nicht das Volk demonstriere gegen ihn. Sondern es handele sich um von außen gesteuerte „Terroristen“.
Dieses Argument ist austauschbar. Es wurde von Despoten zu allen Zeiten verwendet, wenn sie sich einer Rebellion der eigenen Bevölkerung gegenüber sahen. Lenin wurde im April 1917 in Russland als „deutscher Agent“ denunziert; 1918 die deutschen Revolutionäre als „Bolschewisten“ verteufelt. Die britischen Kolonialisten bezeichneten so die Rebellionen in Kenia, die Franzosen in Algerien. Für die US-Regierung war der Widerstand des Vietkong eine von Russland ferngesteuerte Bewegung. Alle arabischen Despoten nutzen nun dieselben Zerrbilder von den von „außen“ gesteuerten „Terroristen“: nicht nur Assad, sondern zuvor auch Mubarak in Ägypten, Ben Ali in Tunesien ebenso wie König Khalifa in Bahrain, für den die dortige Bewegung nichts als eine vom „Iran gesteuerte Verschwörung“ war.
 

  1. 6.    Gegen Intervention und Sanktionen, die die Bevölkerung treffen

Die Regierungen in Washington, Paris und die Berlin haben ein Interesse an einer Stabilisierung der politischen Situation. Und sie haben ein Interesse, dem Iran und auch Russland einen wichtigen Verbündeten zu nehmen.
Die einfachen Menschen in Syrien sind ihnen völlig egal. Deshalb wendet sich DIE LINKE gegen jeden Versuch, eine Militärintervention vorzubereiten oder durchzuführen.
Nun fordern ja einige Golfstaaten eine militärische Intervention, bzw. die Bewaffnung von Rebellen. Auch Obama soll dem Vernehmen nach verschiedene Optionen prüfen.
Die syrische Bewegung wird durch eine Intervention dieser Mächte nicht gerettet, sondern geschwächt werden. Auch die offene Bewaffnung bestimmter Rebellen der freien syrischen Armee durch Saudi-Arabien und Qatar macht die Bewegung nicht stärker, sondern beschleunigt das Abgleiten des Landes in einen Bürgerkrieg.
Die Ausweitung der Protestbewegung hingegen ist entscheidend für einen Erfolg.
 
Der Westen und seine Freunde in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten sind doppelzüngig. Als vor einem Jahr die schiitische Mehrheit und sunnitische Demokraten in Bahrein den Sturz der Monarchie gefordert haben, da äußerte sich der US-Botschafter in Saudi-Arabien sehr besorgt. Ergebnis: die saudische Armee rückte mit Panzern ein und zermalmte die Bewegung. Menschen verschwanden in den Gefängnissen und wurden gefoltert. Doch die US-Marine, die einen ganzen Stützpunkt in Bahrain hat, hat keinen Finger gerührt. Schlimmer: die USA und selbst Deutschland schickte den Invasoren sogar noch Waffen und Panzer! DIE LINKE fordert statt dessen ein umfassendes Verbot des Exports von Waffen, Panzern und anderen Rüstungsgütern.
 
Die LINKE steht an der Seite der Kräfte des demokratischen Wandels in Syrien. Wir sind solidarisch mit den großen Teilen der syrischen Bevölkerung, die trotz der brutalen Übermacht weiter an ihrem Kampf festhält.