Den folgenden Beitrag habe ich auf Blog der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum 33. Evangelischen Kirchentag in Dresden gepostet.
Mir ist es wichtig, dass DIE LINKE als nichtreligiöse Partei nicht in die Falle einer antireligiösen Propaganda tappt. Sie würde damit das Grundrecht auf Selbstbestimmung und Religionsfreiheit in Frage stellen und zudem sich zur unfreiwilligen Gehilfin für antimuslimischen Rassismus machen. Auch die „Kampagne für Laizismus“ der französischen Regierung Sarkozy sollte uns ein Warnsignal sein: Sarkozys Partei UMP schürt systematisch Rassismus gegen die muslimische Minderheit. Nutznießer dieser Politik ist nicht die UMP, sondern die rechtsradikale Partei Front National, die erschreckend hohe Ergebnisse bei der Kantonalwahl einfuhr:
Vor einigen Wochen bekam ich eine erboste Zuschrift einer französischen Linken, die sich darüber beschwerte, dass DIE LINKE auf einer Veranstaltung zum Ökumenischen Kirchentag in München im Mai 2010 mit drei männlichen Religionsvertretern diskutiert habe. Die Dokumentation dieser Veranstaltung zum „Feindbild Islam – Der neue Rassismus“ findet sich hier.
Sie kritisierte, dass DIE LINKE mit dem damaligen Generalsekretär und jetzigen Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime Aiman Mazyek eingeladen hatte. Offenbar fand sie es nicht anstößig, dass mit Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrates der Juden und Raphael Nikodemus, Kirchenrat aus Nordrhein-Westfalen, Judentum und Christentum ebenfalls von Männern repräsentiert wurden. An der Stelle von Aiman Mazyek hätten wir die Islamkritikerin Necla Kelec einladen sollen.
Die Autorin bezeichnete sich als „echte Laizistin und Atheistin“. In ihrer Argumentation konzentrierte sie sich auf die Frage des Verbotes des (muslimischen) Kopftuches. Ich dokumentiere hier meine Antwort auf die oben erwähnte Zuschrift:
„Die Partei DIE LINKE ist offen für alle humanistischen Weltanschauungen und Religionen. In der Bundesrepublik Deutschland sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses als Grundrecht geschützt.
Das Recht auf freie Religionsausübung gilt für alle Menschen in der Bundesrepublik, gleich welcher Herkunft, Geschlecht und Weltanschauung.
Die LINKE hat sich nicht „den männlichen Vertretern der Religion gebeugt“. Ich halte ein Verbot von Symbolen persönlichen Glaubens, die sich spezifisch auf Angehörige einer bestimmten Religion beziehen, für unvereinbar mit den demokratischen Freiheitsrechten des Einzelnen und darüber hinaus für eine Bevormundung und Diskriminierung muslimischer Frauen.
Woher nehmen Sie die Überzeugung, sämtliche Trägerinnen eines Kopftuchs seien unterdrückt und Opfer ihrer Ehemänner, Väter oder Brüder? Es gibt eine ganze Reihe von Frauen, die sich freiwillig und bewusst für das Tragen eines Schleiers entschieden haben. In einem Interview erklärt die französische Niqab-Trägerin Al Keyr etwa: “Ich bin nicht verheiratet und niemand hat mich zu irgendetwas gezwungen. Es ist mein persönlicher Weg, mich so dem Herrn zu nähern!”
Wir können nicht die eigenen Interpretationen solcher Frauen ignorieren; damit sprächen wir muslimischen Frauen ein eigenes Urteilsvermögen ab; einen solchen Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau lehne ich ab, da er bevormundend und paternalistisch ist.
Auch wenn eine Verschleierung für die meisten Menschen in Deutschland nicht nachvollziehbar ist: solange nicht die Grundrechte der Trägerin oder anderer beeinträchtigt werden, schützt die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik auch Menschen, die Dinge tun, die die Mehrheitsgesellschaft nicht versteht oder ablehnt.
Diejenigen, die das Verbot fordern, um damit eine patriarchale Kultur zu bekämpfen, tun dies mit den Mitteln des Patriarchats: die betroffenen Frauen sind in ihrer Wahrnehmung auch nur Objekte, nicht Subjekte. Frauen, die einen Schleier freiwillig tragen, werden durch ein Verbot daher unzulässig in ihren Grundrechten eingeschränkt.
Aber auch Frauen, die zum Tragen des Kopftuchs gezwungen werden, wird durch ein Verbot desselben keineswegs geholfen; im Gegenteil: Für sie würde ein Verbot mit hoher Wahrscheinlichkeit die Verbannung aus dem öffentlichen Leben bedeuten.
Wer soviel Macht über Frauen ausübt, dass er sie zum Tragen des Schleiers zwingen kann, hat auch die Macht, diese Frauen zu Hause einzusperren. Mit einem Verbot würden wir sie auch noch der letzten Chance berauben, sich von unterdrückenden häuslichen Verhältnissen aus eigener Kraft zu befreien – z.B. indem sie öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen, oder durch die Teilnahme an Schulen und Weiterbildungsangeboten berufliche Qualifikation erwerben, die sie ökonomisch unabhängiger von Männern machen würde. Ihr Freiraum für eine individuelle Emanzipation durch Bildung und Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen würde sich dadurch also dramatisch verringern. Das kann nicht unser Ziel sein!
Frauenunterdrückung liegt nicht in einer bestimmten Religion oder in Religiosität per se begründet; sie ist ein strukturelles Merkmal dieser Klassengesellschaft und findet auch in nichtgläubigen Strukturen statt.
Wir unterstützen alle Mädchen und Frauen, egal welcher Herkunft oder Religion, die sich aus patriarchalen Zwängen befreien wollen. Wir, als LINKE, setzen uns dafür ein, dass sie bessere Bedingungen dafür vorfinden, selbstbestimmt zu leben:
Was Frauen brauchen, ist wirkliche Gleichheit vor dem Gesetz, sind höhere Löhne und Aufstiegschancen, ist eine geschlechtsunabhängige Bezahlung, eine moderne Familienpolitik, die sie nicht auf Mutterrollen und Reproduktionsarbeiten reduziert, ist der freie Zugang zu Bildung und vor allem: solidarische Unterstützung statt Bevormundung.
Frauen, die von ihren Männern, Vätern oder Brüdern in ihrer Lebensweise eingeschränkt oder unterdrückt werden, ist viel mehr geholfen durch Frauenhäuser, kostenlose Sprachkurse und Qualifizierungsmaßnahmen, damit sie unabhängig von ihren Männern leben können – aber gerade in Frankreich wurden in den letzten Jahren zahlreichen Frauenberatungszentren die Subventionen gekürzt.
Sie schreiben: “Wir müssen den Frauen helfen und nicht ihre Peiniger unterstützen!” Mit einem Kopftuch-/ Niquab- oder Burkaverbot ist das Gegenteil getan: Denn ein Verbot betrifft die Frauen direkt und persönlich – die Männer, die Frauen zur Verschleierung zwingen, bleiben unbehelligt.
Zu Ihrer Forderung, es hätten weibliche Vertreter der Religionen, etwa Necla Kelec, sprechen sollen: Prinzipiell unterstütze ich Ihre Position: auch ich befürworte es, wenn grundsätzlich – auf allen politischen Podien – mehr Frauen, als es bisher der Fall ist, sprechen. Necla Kelec ist jedoch keine Vertreterin des Islam. Sie ist dezidiert antireligiös und könnte daher auch nicht für die Muslime in Deutschland sprechen.
Mit solidarischen Grüßen,
Christine Buchholz, MdB
Mitglied im geschäftsführenden Parteivorstand der Partei Die LINKE“