Frage zum Thema Verlängerung Afghanistaneinsatz (ISAF):
Ich beziehe mich auf ihre Rede vom 26.2.2010 zur Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes. Dabei kamen bei mir, als ehemaliger Soldat der sich berufsbedingt mit diesem Thema befassen musste, einige Fragen bezüglich ihrer Argumentation auf.
1.
Sie sagen in Ihrer Rede das die Aufständigen in Afghanistan Zivilisten sind und somit eine Bekämpfung dieser nicht mit dem Schutz der Zivilbevölkerung vereinbar sind.
Sind die Aufständigen laut Hager Landkriegsordnung Art. 2 nicht feindliche Kräfte, selbst wenn sie nicht zu erkenne sind? Kann man dann diese Kämpfer als Zivilisten bezeichnen?
2.
Sie nennen in Ihrer Rede 2140 Zivilisten die in Afghanistan „getötet“ wurden darunter 346 Kinder. Wieviele wurden davon bei Anschlägen von Aufständigen auf Zivilisten getötet?
3.
Sie beschreiben in ihrer Rede wie sie sich mit den Opfern der Bombadierung am Kundusfluss unterhalten haben und beschreiben die Folgen für sie. Haben sie sich als Vertreter des Volkes auch mit deutschen Soldaten unterhalten, die im Auftrag des deutschen Volkes im Einsatz sind der durch die Vertreter dieses Volkes also sie, die Abgeordneten des deutschen Bundestages, beschlossen wurde, und die mit ihren Steuern ihr Gehalt bezahlen? Wie fühlen sich die Soldaten nachdem Kameraden neben ihnen erschossen oder durch Explosionen getötet wurden. Haben sie sich die Folgen für die Familien der getöteten deutschen Soldaten angesehen oder diese erwähnt?
4. In einem Ihrer Antworten sagen sie, dass sie absolut für das Recht auf Selbstverteidigung und Widerstand gegen Besatzungstruppen sind. Gilt dieses Recht nur für Afghanische Bürger oder hat die Bundesrepublik Deutschland nicht auch das Recht sich zu Verteidigen, wenn das Leben der Bürger durch Terroristen bedroht wird die in einem anderen Land ausgebildet werden und von dessen Regierung unterstützt werden, selbst wenn hier noch keine solche Anschläge stattgefunden haben.
Antwort von Christine Buchholz:
Ich freue mich, dass Sie sich meine Rede angeschaut haben.
Zu 1.:
Das Humanitäre Völkerrecht betont die Notwendigkeit zum Schutz der Zivilbevölkerung. Unabhängig davon, ob man einen Krieg richtig oder falsch findet, müssen Zivilisten bei Kampfhandlungen möglichst geschont werden. Im Falle eines sogenannten „asymmetrischen“ Konfliktes ist es aber schwer, zu unterscheiden, wer Zivilist und wer Kämpfer ist.
Deswegen gilt die Regelung, dass im Zweifel eine Person so lange als Zivilist zu behandeln ist, wie sie sich nicht an Kampfhandlungen beteiligt oder erkennbar unmittelbar davor steht, sich zu beteiligen. Unter anderem deshalb ist nach unserer Auffassung der Einsatz von Drohnen zur Ermordung von Personen weit ab von Gefechten illegal.
Ein asymmetrischer Konflikt ist immer ein Hinweis darauf, dass die von der staatlichen Armee bekämpften Gruppen signifikanten Rückhalt in der Bevölkerung haben. Wenn diese Armee auch noch aus dem Ausland gestellt wird, ist nach unserer Interpretation des Völkerrechts der bewaffnete Widerstand legal und legitim.
Das führt zu 2.:
Die Verantwortung für die Opfer trägt in erster Linie die Besatzungsarmee, auch wenn, wie im Falle Afghanistans, etwa zwei Drittel der Toten in Folge von Anschlägen der Aufständischen sterben.
Beide Seiten reklamieren für sich, dass sie nur „legitime Ziele“ angreifen, also Aufständische oder Einrichtungen der Besatzung. Aber beide Seiten treffen mehrheitlich unbeteiligte Personen. Das ist übrigens in unseren Augen ein weiteres grundsätzliches Argument gegen Krieg.
Zu 3.:
Die Bundeswehr ist nicht im Auftrag des deutschen Volkes in Afghanistan. Sie ist auf Befehl des Oberkommandierenden (Verteidigungsminister) und mit Mandat der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestages dort. Die große Mehrheit des deutschen Volkes lehnt diesen Krieg und die Beteiligung der Bundeswehr ab.
Es ist übrigens nicht das einzige Thema, bei dem die Mehrheit des Bundestages gegen die Interessen und ausdrücklichen Wünsche der Mehrheit des Volkes entscheidet: Mindestlohn, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Atomkraft, Bankenrettungspacket, Kontrolle der Lobbyisten und Parteispenden, um nur einige zu nennen.
Das Bild, das sich uns bietet, ist immer dasselbe: Die Mehrheit im Bundestag entscheidet im Interesse einer privilegierten Minderheit. Die Mehrheit muss die Zeche zahlen – im Falle der Soldaten auch einige mit ihrem Leben.
Denn diese Fragen sind mit einander verknüpft. Die Bundeswehr als Einsatzarmee zur Verteidigung des Zugangs zu Märkten und Rohstoffen (siehe Aussagen der Herren Köhler und zu Guttenberg, siehe aber auch Weißbuch der Bundeswehr und Verteidigungspolitische Richtlinien des Ministeriums) bedeutet: Junge Menschen (hauptsächlich Männer) aus strukturschwachen Gegenden, die ihre einzige soziale Perspektive bei der Bundeswehr sehen, werden in den Kriegen für die Interessen der Reichen verheizt.
Und ja, ich habe mich mit Soldaten im Einsatz unterhalten. Und mit Angehörigen. Auch mit solchen, die von ihrem Einsatz bleibende psychische Schäden davongetragen haben.
Auch in deren Interesse, davon bin ich fest überzeugt, wäre ein Politikwechsel hin zur Beendigung der Auslandseinsätze und mehr sozialer Gerechtigkeit.
Zu 4.:
Die Vereinigten Staaten von Amerika waren das Ziel der Anschläge vom 11. September 2001, nicht Deutschland. Und dafür gibt es Ursachen, die zu benennen nicht mit einer Rechtfertigung der Anschläge gleichzusetzen sind.
Nach Angaben der UNO sind aufgrund des von den USA durchgesetzten Embargos gegen Irak über 500.000 Kinder gestorben. Ich nenne dieses eine Beispiel als Spitze des Eisbergs. In den Augen von Hunderten Millionen Menschen in der Welt stehen die USA und ihre Verbündeten für eine Politik der Unterdrückung, Erniedrigung und Ausbeutung.
Solange das so ist, wird es Menschen geben, die auch Formen des Widerstandes wählen, die wir falsch finden. Anders formuliert: Solange unschuldige Menschen unseretwegen sterben, werden auch bei uns unschuldige Menschen sterben.
Ich finde das falsch, aber das ändert nichts an der Tatsache. Auch eine Militarisierung der Gesellschaft, die Abschaffung bürgerlicher Rechte und Freiheiten, die Einführung von immer mehr Überwachung und das Führen von Kriegen in aller Welt wird das nicht verhindern. Im Gegenteil. Je mehr Gewalt von uns ausgeht, desto mehr Hass und Gewalt schlägt uns entgegen.
Wir hingegen fordern eine andere Politik. Dazu gehört, Diktatoren nicht zu unterstützen, nur weil sie in einem Konflikt auf der „richtigen“ Seite stehen, wie Karsai zum Beispiel. Dazu gehört, Militär nicht in aller Welt zu stationieren und einzusetzen.
Dazu gehört auch, eine gerechte Wirtschafts- und Handelspolitik zu machen. Die Interessen deutscher Aktionäre und Millionäre sind nicht wichtiger als das Leben von Menschen in Afrika, Asien oder Südamerika.
(Frage wurde gestellt über Abgeordnetenwatch am 24. Februar 2011)