von Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Die Bundesregierung stellt diese Woche im Bundestag ihren „Fortschrittsbericht“ zu Afghanistan vor. Aber von Fortschritt kann keine Rede sein. Der Bericht erweckt den Eindruck, dass 2011 eine Trendwende in Afghanistan bevorstehe. Die Realität ist: Dieses Jahr war das blutigste seit Beginn des Krieges. Die NATO fliegt regelmäßig Drohnenangriffe auf Zivilisten in Afghanistan und in Pakistan. Sie hat den Krieg eskaliert, die Zahl der Soldaten erhöht und mehrere Offensiven gestartet. Deshalb starben in diesem Jahr so viele Zivilisten und mit 692 ausländischen Soldaten so viele wie nie zuvor.
Zwei Drittel der Afghaninnen und Afghanen bewerten das westliche Engagement in ihrem Land laut einer Umfrage im Auftrag der ARD negativ. 27 Prozent befürworten den Beginn des Rückzugs im kommenden Sommer. Noch einmal fast genauso viele wollen sogar einen noch schnelleren Abzug. Vier von zehn Befragten im Nordosten sind der Ansicht, die NATO nehme immer weniger Rücksicht auf zivile Opfer und vernachlässige den zivilen Aufbau. Es gibt kaum Jobs. Die Preise steigen. Die wirtschaftliche Situation, insbesondere auf dem Land, ist schwieriger geworden. Weniger Menschen haben Zugang zu sauberem Wasser. Die internationale Hilfe erreicht die Bevölkerung nicht und versickert zum Großteil in korrupten Kanälen.
Die Bundesregierung schreibt von einer „Übergabe“ an die afghanische Armee, die „keinen Abzug“ bedeute. Dabei macht die Regierung die Übergabe ausdrücklich nicht von Terminen abhängig, sondern von der Lage vor Ort. Das verdeutlicht auch, dass die Ende November medial transportierte „Abzugsoption“ der NATO eine doppelte Mogelpackung ist. Die NATO verkündet minimale Abzugszahlen und will gleichzeitig den Krieg in den nächsten vier Jahren ausweiten. Selbst über das angestrebte Jahr 2014 hinaus sollen laut NATO 50 000 ausländische Soldaten in Afghanistan verbleiben. Es geht um eine dauerhafte Präsenz von ausländischen Soldaten wie im Irak.
Wenn jetzt von der Übergabe gesprochen wird und der Eindruck eines beginnenden Abzugs suggeriert wird, ist das eine Beruhigungspille für die Bevölkerung in Deutschland, die den Krieg mehrheitlich ablehnt. Sie bedeutet noch mindestens vier Jahre Krieg. Denn die NATO will um jeden Preis eine militärische Niederlage in Afghanistan vermeiden, weil das ihre Möglichkeit einschränken würde, weltweit ihre Interessen zu verfolgen.
Auch Deutschland macht bei diesem nicht zu gewinnenden Krieg mit, um auch zukünftig in der Lage zu sein, seine wirtschaftlichen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Kein Mensch soll für wirtschaftliche Interessen sterben. Die Bundeswehr muss sofort aus Afghanistan abgezogen werden. Solange die NATO-Truppen im Land sind, wird es keinen Frieden geben. Soldaten schaffen keine Sicherheit, sondern Unsicherheit und erhöhen den Hass der Bevölkerung. Wiederaufbau und demokratische Entwicklung setzten also den Abzug der ausländischen Truppen voraus.
DIE LINKE begrüßt die Forderung von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), dem Afghanistan-Mandat nicht mehr zuzustimmen. Die Führung der SPD dagegen fordert, die Truppen im nächsten Jahr zu verkleinern und die bisher ungebrauchte Reserve von 350 Soldaten aufzulösen. Dann wolle sie zustimmen. Diese Position ist weder eine Kehrtwende in der bisherigen Afghanistanpolitik der SPD, noch unterscheidet sie sich wesentlich von der Position der Bundesregierung. Die SPD-Führung löst das Grundproblem nicht, dass Frieden und Versöhnung weiter in die Zukunft rücken, wenn die NATO weiter Krieg führt.
DIE LINKE will Menschen aus Afghanistan in Deutschland Gehör verschaffen, die unter Einsatz ihres Lebens tagtäglich gegen den Krieg und für eine demokratische Entwicklung kämpfen. Parallel zur Mandatsverlängerung im Bundestag organisiert sie die Konferenz „Das andere Afghanistan“ am 28. und 29. Januar 2011 in Berlin. Es sprechen unter anderem die ehemalige afghanische Parlamentsabgeordnete Malalai Joya, der britisch-pakistanische Autor Tariq Ali sowie die afghanische Frauenrechtsaktivistin Zoya.