Beitrag von Christine Buchholz auf der Konferenz „Afghanistan – Probleme, Konflikte, Perspektiven – Teil II“ am 10. Juli 2010 in Berlin
Stabile Ablehnung
Während die Regierung versucht, den Einsatz in Afghanistan zu rechtfertigen – sei als Kampf gegen Terror und für unsere Sicherheit, sei es als Unterstützung für Wiederaufbau und Demokratie in Afghanistan, sei es als Kampf um Frauenrechte –  zeigen Meinungsumfragen stabile Mehrheiten gegen den Einsatz.
In den letzten drei Jahren schwankte die Ablehnung des Krieges in ARD Deutschlandtrend zwischen 52 und 71 Prozent – Tendenz steigend.[1]
Mehrheiten in der Bevölkerung sind auch gegen den Einsatz, wenn die Frage hart gestellt wird: Allensbach ermittelte im Mai 2010, dass 48 Prozent für sofortigen Abzug seien, auch wenn noch kein Friede erreicht sei, nur 32 Prozent meinen, das Land müsse erst stabilisiert werden. Im Osten ist die Ablehnung des Krieges sogar noch deutlicher (68 Prozent für bedingungslosen Abzug).[2]
Gründe der Ablehnung
Die Bundeswehr ist neben der Polizei die Institution, zu der die Menschen in Deutschland das meiste Zutrauen haben (52 Prozent „sehr viel“ oder „ziemlich viel“, zum Vergleich trauen dem Bundestag nur 29 Prozent, der Bundesregierung: 25 Prozent und der Katholischen Kirche vor dem Missbrauchsskandal 29 Prozent.[3]
Gründe von Ablehnung sind also im Einsatz selbst zu suchen: Erstens meinen 86 Prozent, in Afghanistan herrsche Krieg. Alle anderen Beschreibungen seien unglaubwürdige Versuche der Beschönigung.
Zweitens sehen im Gegensatz  zum Jahr 2006 nicht mehr 61 Prozent die Gefährdung durch Terroranschläge, sondern nur 31 Prozent. Außerdem glauben nur 15 Prozent, der Einsatz trage zur Sicherheit Deutschlands bei, 69 Prozent meinen, Deutschland werde NICHT am Hindukusch verteidigt.[4]
Drittens erklärten in einer Emnid-Umfrage vom Februar 2008  41 Prozent der Befragten, ihrer Meinung nach sei die Bundeswehr für den Einsatz nicht ausreichend ausgerüstet und ausgebildet.[5]
Auch die Berichterstattung aus Afghanistan widerspricht der Darstellung der Regierung. Einerseits wird über Verluste der Bundeswehr berichtet, andererseits gibt es trotz aller Anstrengungen der Kriegsbefürworter kaum „Erfolgsstories“ als Gegengewicht. Auffällig ist auch die zunehmende kritische Berichterstattung über die Misserfolge der Besatzung.
Die Bombardierung von Kundus hat vielen Menschen deutlich gemacht, dass die afghanische Bevölkerung zu den Opfern des Krieges gehört, dass es keinen Kampf gegen einen klar abgrenzbaren „Feind“ gibt. Sie hat die Ablehnung des Krieges nicht signifikant erhöht, aber vertieft.
Die  NATO ist unfähig mit ihren 150.000 Soldaten, dazu rund 130.000 afghanischen Sicherheitskräften und 100.000 Söldnern, den Widerstand zu brechen und für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. Die Bündnispartner geben sich gegenseitig die Schuld. Das wirft Fragen auf, die auch medial widergespiegelt werden.
Plötzlich ist die Korruption der Regierung Karsai im Fokus der Berichterstattung – natürlich zu Recht. Die Erkenntnis, dass die Korruption zur Unbeliebtheit der Regierung beiträgt, hat mittlerweile ihren Weg in die Spalten des SPIEGEL und anderer Medien gefunden.[6] Nicht so allerdings die banale Erkenntnis, dass Korruption, der Drang nach persönlicher Bereicherung auf Kosten der afghanischen Bevölkerung, das einzige ist, was die Regierungsclique um Karsai überhaupt zusammenhält.
Die Ablehnung des Krieges wird, bei allen Schwankungen je nach Formulierung der Frage und Tagesereignissen, weiter auf hohem Niveau bleiben, eventuell noch ansteigen, weil
–          der Widerstand gegen die NATO wächst, und damit auch die Verluste;
–          mit wachsendem Widerstand auch die Unzulänglichkeiten der Besatzung und der Regierung Karsai in den Blick kommen;
–          keine Perspektive sichtbar ist, wie der Krieg gewonnen werden könnte, er somit in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zunehmend unsinniger wird;
–          sich unter diesen Umständen immer neue Risse unter den Verbündeten auftun, bis hin zum Abzug einzelner Staaten wie z.B. Kanada oder die Niederlande;
Schlussfolgerungen
Der Krieg ist verloren. Die Verantwortlichen in der NATO hoffen noch auf ein Wunder und versuchen, durch massive militärische Eskalation die Nachkriegsordnung noch zu ihren Gunsten zu verändern. Aber die Erkenntnis der Niederlage ist da. McChrystal sagte bereits zum Beginn seines Kommandos, zitiert in jenem Bericht im Rolling Stone Magazine, der Krieg sei militärisch nicht zu gewinnen, es gehe darum, die Afghanen zu überzeugen.[7]
Petraeus will nun die Einsatzregeln verändern, die die NATO eingeführt hatte, um afghanische Zivilisten zu schützen. Der Schutz der eigenen Soldaten solle wieder Vorrang haben. Die regelmäßigen zivilen Opfer und die „Irrtümer“, bei denen die NATO-Soldaten afghanische Soldaten töten, bestärken die afghanische Bevölkerung in ihrer Ablehnung der Besatzer und stärken den Widerstand.
Es besteht die Gefahr, dass die NATO tut, was das US-Militär in Vietnam getan hat: angesichts der Niederlage den Krieg auf Kosten der Bevölkerung eskalieren. Die USA hatten in Vietnam die Niederlage seit dem Jahr 1969 vor Augen, eskalierten den Krieg, töteten weitere rund drei Millionen Menschen und flohen dann im Jahr 1975 panikartig aus Vietnam.
Unsere Aufgabe besteht darin, dieses Leiden zu verkürzen, alles daran zu setzen, die Truppen so schnell wie möglich und mit sowenig Verlusten auf allen Seiten wie möglich herauszuholen.
Da die Bundesregierung offensichtlich plant, auf Gedeih und Verderb Teil der NATO-Operation zu bleiben, liegt es an der Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments den Druck zu erhöhen.
Die Aktivitäten der Friedensbewegung und der LINKEN zu diesem Thema sind in den letzten Jahren wichtig gewesen. Die Aktion zu Kundus im Bundestag hat weltweit und in der deutschen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregt. Der Untersuchungsausschuss ebenfalls. Unsere Plakate, Broschüren und Internetauftritt liefern regelmäßig Argumente.
Aber wir müssen uns die Frage stellen, warum die Mobilisierungen verglichen mit der Ablehnung des Krieges so verhältnismäßig klein ausfallen. Im Vorfeld des Irak-Krieges waren rund 500.000 Menschen auf der Straße. Davon sind wir heute sehr weit entfernt.
Das hat mehrere Gründe:
Erstens: damals waren SPD und Grüne mit im Boot. Zu Afghanistan aber haben sie bestenfalls eine halbherzige Haltung, die SPD unterstützt den Krieg immer noch, die Grünen stellen ihn nicht grundsätzlich in Frage. Ihre Strukturen sind nicht Teil der gesellschaftlichen Mobilisierung gegen den Krieg in Afghanistan. Auch wenn beide Parteien den Einsatz inzwischen deutlich kritischer bewerten als in den Jahren zuvor, sie stehen weiter mehrheitlich dazu.
Zweitens: und mit erstens zusammenhängend, gibt es ein inhaltliches Problem. Im Fall des Irak war es einfach, „Kein Blut für Öl!“ machte deutlich, worum es ging. Die Argumente für den Krieg waren alle offensichtlich konstruiert. Beim Afghanistankrieg gibt es zwar hohe Ablehnungsraten, aber auch viel Verunsicherung und Unkenntnis über die Lage im Land und die Kriegsgründe. SPD und Grüne tragen zu dieser Verunsicherung tatkräftig bei.
Drittens: damals hatten die Menschen die Hoffnung, Demonstrationen könnten den Irak-Krieg verhindern. Im mittlerweile zehnten Jahr kann sich kein Friedensaktivist vorstellen, warum gerade die nächste Demo etwas ändern soll.
Viertens: auch wenn die Umfragen hohe Ablehnungsraten belegen, rangiert der Krieg unter den Problem der Menschen weit hinten, wie die Allensbach Umfrage vom Mai 2010 belegt.
Für DIE LINKE ergeben sich folgende Aufgaben:
–          Vertiefung der Argumentation gegen den Krieg, der Kenntnisse über die reale Lage in Afghanistan, Konsequenzen des Krieges für die Menschen in Afghanistan. Besondere Bedeutung hat die Diskussion in Kirchen, die SPD- und Grünen-nahen entwicklungspolitischen Organisationen und den Gewerkschaften. Es bleibt die Aufgabe der LINKEN deutlich zu machen was die Hintergründe des Krieges sind, dass der Polizeiaufbau in Afghanistan die Probleme verschärft und dass nur der Abzug der Truppen eine Voraussetzung für die Entwicklung des Friedens in Afghanistan ist.
–          Verbindung mit innenpolitischen und sozialen Fragen. Dabei geht es um die Kosten des Krieges, die Konsequenzen für die Soldatinnen und Soldaten, aber auch über die tiefergreifende Militarisierung der Gesellschaft, durch die verstärkte öffentliche Präsenz der Bundeswehr. Die Aufgabe der LINKEN ist es Alternativen für die Ausbildung und berufliche Perspektive von jungen Menschen jenseits der Bundeswehr zu entwickeln.
–          Gemeinsam mit der Friedensbewegung arbeitet die LINKE weiter an der Vernetzung aller Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, um weitere Aktivitäten wie den 1. Jahrestag der Bombardierung von Kundus, der nächsten Mandatsverlängerung und dem 10. Jahrestag des Krieges im Oktober 2011 zu planen.


[1] http://www.tagesschau.de/multimedia/bilder/deutschlandtrendgrafiken128_mtb-1_pos-3.html;
http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2010-01/15845150-ard-deutschlandtrend-januar-2010-afghanistan-zustimmung-zum-bundeswehr-einsatz-auf-neuem-tiefstand-007.htm;
http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2010/januar/.
[2] http://www.faz.net/s/Rub0CCA23BC3D3C4C78914F85BED3B53F3C/Doc~EF43EDA9FE3814A86B60E403BF4EFFB77~ATpl~Ecommon~Scontent.html
[3] Dr. Thomas Bulmahn (Hrsg.), Sicherheits- und verteidigungspolitisches Meinungsklima in Deutschland. Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung Oktober/November 2009. Kurzbericht, Januar 2010, S. 21.
[4] „Während im September 2006 – vermutlich unter dem Eindruck der kurz zuvor vereitelten Bombenanschläge auf deutsche Eisenbahnzüge – 61 Prozent der Deutschen sagten, sie fürchteten, dass es in Deutschland ‚in nächster Zeit‘ zu Terroranschlägen kommt, sagen dies heute noch 31 Prozent.“, Dr. Thomas Petersen, Wird Deutschland am Hindukusch verteidigt?, in: FAZ, 26. Mai 2010.
[5] http://www.bild.de/BILD/news/politik/2008/02/10/afghanistan/bundeswehr.html.
[6] Vergl.: http://www.welt.de/politik/ausland/article8205830/In-Afghanistan-verschwindet-Geld-kistenweise.html, http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,702117,00.html und http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5146700,00.html.
[7] Das entspricht auch der Analyse, die Stanley McChrystal in seinem „Initial Assessment“ formulierte. Siehe: Stanley McChrystal, COMISAF’s Initial Assessment, 30. August 2009.