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Vor einem Jahr wurde die Ägypterin Marwa El Sherbini in Dresden ermordet, weil sie Muslima war. Ich bin am Morgen des 1. Juli in die sächsische Landeshauptstadt gefahren, um an verschiedenen Gedenkveranstaltungen teilzunehmen.

Im Landgericht wird eine Gedenktafel enthüllt. Vertreter des Koordinierungsrates der Muslime, des Zentralrats der Juden, von Migrantenorganisationen aus Dresden, der sächsischen Justiz und des Landtages, sind anwesend. Unfassbar, wie hier vor einem Jahr Alex W. im hasserfüllten Rausch über die junge Frau herfiel, sie mit 18 Messerstichen ermordete und ihren Ehemann, der sie schützen wollte, lebensgefährlich verletzte. Nachdem die meisten Leute gegangen sind, beobachte ich eine Mutter mit ihrem Sohn, die vor der Gedenktafel innehält. Marwas Sohn Mustafa war zum Zeitpunkt des Mordes ungefähr genauso alt – drei Jahre.
Der Ort, an dem das Unglück seinen Lauf nahm, liegt nur wenige Minuten vom Tatort entfernt. In Johannstadt, einem Plattenbauviertel, in dem Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund zusammenleben. Ich gehe vorbei an dem Haus, in dem Marwa, ihr Mann Elwy Okaz und ihr Sohn gelebt haben, zwischen den Häusern durch, vorbei an Bäumen und Teppichstangen zu einem Spielplatz. Hier saß Alex W. auf einer Schaukel, als Marwa hinzukam. Als sie ihn bat, für ihren Sohn Platz zu machen, rastete er aus, beleidigte sie als Terroristin, Islamistin und Schlampe. Mehrere russlanddeutsche Frauen kamen Marwa zur Hilfe. Eine lieh ihr das Handy, mit dem sie die Polizei rief. Die Sonne brennt. Hier spielt heute kein Kind.
Mittags stellt der Verein Bürgercourage ein großes, aus Beton gegossenes Messer vor dem Landgericht auf. Ein Monument. Das erste von 18 Betonmessern, die in der ganzen Stadt ausgestellt werden sollen. Sie sind ein Mahnmal zu Ehren Marwa El Sherbinis und sie symbolisieren die großen und kleinen Messerstiche, die viele Muslime Tag für Tag an verschiedenen Orten der Stadt erleben.
Am späten Abend hat ein Bündnis zu einer Kundgebung und einer Demonstration eingeladen. Mit deutlichen Worten kritisiert der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime die Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft und fordert von Angela Merkel ein klares Bekenntnis, dass Muslime Teil der Gesellschaft sind. Die Dresdner Oberbürgermeisterin Orosz hingegen redet kaum von Rassismus, sondern hauptsächlich von Integration. Damit schiebt sie die Verantwortung von der Mehrheitsgesellschaft hin zu den Migrantinnen und Migranten. Marianne Thum vom Bündnis, dass die Kundgebung organisiert hat, stellt hingegen klar, dass die behauptete Weltoffenheit Dresdens bis heute eine Verzerrung der Realität ist. Rassismus sei weiterhin alltäglich. Migranten wollen sich ohne Angst in der Stadt bewegen und nicht um Toleranz bitten.
Der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung, vorbei an der neuen Synagoge zum Landgericht. Viele junge Leute sind dabei, einige muslimische Frauen. Neben mir reiht sich ein junger Mann ein. Er kommt aus Ägypten – wie Marwa El Sherbini.