„Einsatzbereit – jederzeit – weltweit“ LINKE Visite bei der Division Spezielle Operationen in Stadtallendorf
Von Christine Buchholz und Wolfgang Gehrcke
Es ist Freitag 04. Juni, 07:50. Obwohl wir überpünktlich sind, wartet vor dem Kasernentor der Herrenwaldkaserne schon der Kommandeur des Luftlandefernmeldebataillons „Hessischer Löwe“. In der mittelhessischen Kleinstadt Stadtallendorf ist diese Einheit als Teil der Division Spezielle Operationen (DSO) des deutschen Heeres stationiert, der wir heute auf den Zahn fühlen wollen. Es gilt sich einen Eindruck über Beschaffenheit, Auftrag und Ausbildung der Einheit zu verschaffen und einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Als Linke diskutieren wir schon lange darüber, dass sich die Bundeswehr seit geraumer Zeit im Umbruch befindet. Einst als Landesverteidigungsarmee gegründet, wird sie seit dem Ende des Kalten Krieges zu einer weltweit operierenden Kampftruppe umgebaut. Zu den Einheiten, die für diese neue Bundeswehr stehen, gehört die Division Spezielle Operationen, unter deren Dach das bekannte Kommando Spezialkräfte (KSK) operiert und u.a. eben auch das Stadtallendorfer DSO-Bataillon. Der Leitspruch der Luftlandeeinheit verdeutlicht diesen Anspruch: „Einsatzbereit-jederzeit-weltweit“ heißt es selbstbewusst und scheinbar harmlos auf dem Briefkopf.

In einer höflichen Atmosphäre kommen wir mit dem Kommandeur und auslandserfahrenen Offizieren ins Gespräch. „Briefing“ nennt sich die Einführung im Militärjargon. Die Offiziere berichten über ihren Auftrag, die Ausbildung und ihre Einschätzungen zu aktuellen Entwicklungen. Die DSO mit ihren etwa 10.000 Soldaten bezeichnet sich selbst als „die etwas andere Division“. Eine Selbstzuschreibung, die folgende Aufgaben beinhaltet: „bewaffnete Rückführung“ (Geiselbefreiung), „Operationen gegen irreguläre Kräfte“ und „schnelle Anfangsoperationen“. Mit letzterem sind klare Kampfeinsätze gemeint. Die DSO sind „Einheiten der ersten Stunde“, die je nach Auftrag in weniger als 48h weltweit einsatzbereit sein sollen. Nach Angaben der Offiziere zu den bisherigen Missionen, „war das DSO überall dort dabei, wo die Bundeswehr im Einsatz war.“ Auch wenn es in der Außendarstellung der DSO eine wichtige Rolle spielt, Geiselbefreiungen und andere Rettungsaktionen  stellen nur einen kleinen Bruchteil der Einsätze.
In den Gesprächen wird schnell deutlich, wie weit das Selbstverständnis dieser Einheiten schon gediehen ist. Da wird z.B. eine Vereinfachung der Entscheidungsverfahren im Ernstfall gewünscht, damit die Einsätze „effizienter“ angegangen werden können. Im Klartext heißt das: Die mehr oder weniger demokratischen und komplexen Entscheidungsverfahren, die aus der Struktur einer Parlamentsarmee herrühren, werden als hinderlich angesehen. Das Soldatendasein ist kein normaler Beruf. Gelernt wird das Handwerk des Tötens. Ein Soldat tötet und muss mit seinen Taten leben und er ist in Gefahr selbst getötet zu werden. Zu der Frage, wie die Soldaten mit dieser schwierigen Situation umgehen, wird interessanterweise weniger die fachliche Vor- und Nachsorge sowie Betreuung betont, sondern vor allem der „Korpsgeist“ in den kleineren Kampfverbänden herausgestrichen, der im „Kameradenkreis“ wichtigen Halt in mental schwierigen Situationen geben soll. In der Realität führt dieser „Korpsgeist“ dazu, dass die Soldaten die Umstände von Taten nur aus der eigenen Soldatenperspektive betrachten. Und da steht die Angst um das eigene Leben und nicht das potentieller Opfer und deren Interessen im Zentrum. Mögliche Kriegsverbrechen werden nicht aufgedeckt, sondern Täter geschützt. Um den Gegner zu entmenschlichen liegen gerade bei Auslandseinsätzen rassistische Stereotype nah, um zu begründen, warum man wie mit „den Afghanen“ oder „den Piraten“ umgehen „muss“. Um eine Bewältigung von Kriegserlebnissen zu gewährleisten, ist es nach Ansicht von Psychologinnen und Psychologen absolut notwendig, Beratungsinstitutionen zu haben, die außerhalb des Systems Bundeswehr stehen. Auch ein Blick in die Geschichte zeigt, welche gefährlichen Dynamiken ein solcher „Korpsgeist unter Kameraden“ entwickeln kann, haben die rechten Soldatenverbände in der Anfangsphase der Weimarer Republik gezeigt, die ihre Waffen gegen die Arbeiterbewegung und gegen die Demokratie erhoben haben. Uns ist bewusst: Berlin ist nicht Weimar und das Luftlandefernmeldebataillon kein Freikorps. Dennoch gilt es auch hier sehr sensibel zu sein.
Die gesellschaftlichen Debatten um die Legitimation von Auslandseinsätzen im allgemeinen wie von speziellen Missionen im konkreten, scheint die Soldaten auch nach mehrfacher Nachfrage nicht sonderlich zu beeindrucken. So wird beispielsweise die in der Öffentlichkeit mindestens als umstritten diskutierte Kongo-Mission aus dem Jahr 2006 pflichtgemäß als Erfolg dargestellt. Schließlich habe die EU ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Kein Wort über die Sicherung von Ressourcen. Sobald es darum geht, politische Hintergründe zu bewerten, sprechen die Soldaten vom „Staatsbürger in Uniform“, der abends am Tisch natürlich seine eigene Meinung hätte. Die restliche Zeit aber gelte: Dienst ist Dienst. Die Entscheidung über ihren Auftrag lege bei der Politik, sie würden nur ihre Aufgaben erfüllen. Hinterfragen von Befehlen? Fehlanzeige. Aber auf den Rücktritt von Bundespräsident Köhler angesprochen, empören sich die Soldaten weniger über die Wortwahl Köhlers als über den Umstand, dass er deswegen zurückgetreten ist.  Sie bestätigen damit, dass die Bundeswehreinsätze auch wegen der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands geführt werden – wie es ja im Koalitionsvertrag der Schwarz-Gelben Regierung, aber auch in den Verteidigungspolitischen Richtlinien und Weißbüchern der Bundeswehr steht.
Das Gespräch zeigt, dass wir es hier mit hochgebildeten – fast alle haben einen Hochschulabschluss – und bestens ausgebildeten Eliteeinheiten zu tun haben, die auch marketingmäßig für sich zu werben suchen. Das neue Gesicht der Bundeswehr wird hier im kleinen Stadtallendorf ganz konkret erfahrbar. Aus der einstigen wehrpflichtigen Armee zur Landesverteidigung ist schon heute in Teilen eine Elite- und Berufsarmee geworden, eine flexible Interventionsarmee: „einsatzbereit- jederzeit – weltweit“.
Beim Herausgehen kann man neben Informationstafeln zu aktuellen Einsatzgebieten auch eine kleine Tafel sehen, die über der Treppe hängt. Hier stehen die Namen der Gefallenen aus der Einheit. Der letzte Eintrag betrifft einen toten Soldaten, der gerade mal 21 Jahre alt geworden ist. Hinweise auf die Toten der afghanischen Seite finden sich nicht.
Die DSO ist in Stadtallendorf verankert und hat ein „positives Standing in der Bevölkerung“, wie es der Kommandeur ausdrückt. Als wichtiger Arbeitgeber in der Region öffnet die DSO ihr Hallenbad, den Sportplatz und sogar den Hubschrauberlandeplatz für die örtlichen Vereine. Mit umliegenden Gemeinden bilden einzelne Kompanien „richtig gelebte“ Partnerschaften. Ein „Tag der offenen Tür“ sowie die Beteiligung am „Girls Day“ sollen die Akzeptanz in der Bevölkerung weiter erhöhen. Über 60 Millionen Euro wurden aus Mitteln der Bundeswehr und aus hessischen Programmen in den Umbau des Kasernengeländes investiert. Nimmt man diese Ausgangslage ernst, gilt es aus linker Sicht vor Ort nicht nur den Abzug deutscher Soldaten aus Afghanistan zu fordern, sondern sich konkret mit der Frage von Konversion von Bundeswehrstandorten zu befassen sowie die Finanznot der Kommunen zu thematisieren. Eine ordentliche Ausfinanzierung der Städte und Gemeinden muss verhindern, dass Kommunen wie Stadtallendorf von der „Wohltätigkeit“ der Bundeswehr abhängen.