Christine Buchholz, friedenspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., und Niema Movassat, MdB und Mitglied im Ausschuss fu?r wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fu?r DIE LINKE. widerlegen Behauptungen, die in einigen Medien gegen die Free-Gaza-Friedensflotte angefu?hrt werden.

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1. Wer sind die OrganisatorInnen der Free-Gaza-Bewegung? Sind die OrganisatorInnen nicht Islamisten?

Die Free-Gaza-Bewegung hat zahlreiche internationale Unterstu?tzerinnen und Unterstu?tzer aus verschiedenen Ländern. Menschen aus unterschiedlichen politischen Bewegungen, Sprachen und Religionen eint das Ziel, die Blockade Gazas zu beenden. Unter den 700 internationalen Aktivisten befanden sich unter anderem der schwedische Krimiautor Henning Mankell und die beiden Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Annette Groth und Inge Höger, die irische Nobelpreisträgerin Mairead Corrigan-Maguire and der ehemalige UN-Koordinator fu?r humanitäre Hilfe im Irak, Denis Halliday.

Der tu?rkischen Hilfsorganisation IHH, Stiftung fu?r Menschenrecht und Freiheit, die das von Israel angegriffene Boot „Mavi Marmara“ gechartert hatte, wird von einigen Medien vorgeworfen, eine islamistische Organisation zu sein.

Die IHH unterhält unter anderem ein Bu?ro im Gaza-Streifen, das auch mit der seit 2006 gewählten Hamas-Regierung in Kontakt steht. Auch die EU, die Tu?rkei und die UN unterhalten Beziehungen zur Hamas. Als Regierung ist die Hamas fu?r die IHH der Ansprechpartner fu?r die Hilfslieferungen im Gaza. Die IHH berät unter anderem den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.

Die zur Hilfe fu?r die Opfer des Bosnien-Krieges in den 90er Jahren gegru?ndete Stiftung ist in mehr als 120 Ländern weltweit aktiv – auch in Regionen, wo der Islam keine Rolle spielt. Sie hat unter anderem 30.000 Augenerkrankungen in Afrika behandelt, unterstu?tzt Nichtregierungsorganisationen in den kurdischen Gebieten und schickte dieses Jahr 33.000 Tonnen Hilfsgu?ter nach Haiti. „Dort haben wir Hilfsgu?ter fu?r eine Million Dollar verteilt“, sagt IHH-Vize Dede. „Und zwar in einer Kirche.“

Dass seitens der israelischen Regierung nun versucht wird, die IHH als Islamisten zu bezeichnen, ist leider keine Überraschung. In einem politischen Klima in Europa, in dem Muslime häufig pauschal als gewaltbereite Terroristen dargestellt und von verschiedenen Seiten Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus geschu?rt wird, ist dies eine Möglichkeit fu?r Israel, die internationale Solidarität mit der Free-Gaza-Bewegung zu schwächen. Die Hetze gegen Muslime hat dazu gefu?hrt, dass muslimische Opfer leicht zu Tätern umgedeutet werden. Die Quellen, die den „Islamismus“ der IHH und einzelner Passagiere der „Mavi Marmara“ belegen sollen, sind neben einem israelischen Terrorismusinstitut der französische Geheimdienst und ein weiterer sogenannter Terrorismusexperte. Es handelt sich also in keinster Weise um Quellen, deren Recherche man unhinterfragt u?bernehmen kann.

Wie wir sehen, geht diese Rechnung teilweise auf: Statt den Fokus auf den israelischen Akt der Piraterie zu setzen, verlangen Teile der Presse und des Fernsehens von der internationalen Solidaritätsbewegung mit Gaza, sich von der IHH zu distanzieren. Teilweise wird ihnen sogar unterstellt, es wäre ihre eigene Absicht gewesen, zu Märtyrern zu werden.

Der Angriff der israelischen Armee auf das Schiff einer muslimischen Hilfsorganisation wie die IHH ist genauso ungerechtfertigt, wie ein Angriff auf ein Schiff einer christlichen, ju?dischen oder atheistischen Organisation. Denn das Völkerrecht kennt keine Ungleichbehandlung aufgrund der Religion – im Gegenteil, eine Diskriminierung anhand von Religion wird ausdru?cklich verurteilt.

2. War die Aktion der israelischen Armee nicht Selbstverteidigung oder Notwehr, wie die israelische Regierung sagt?

Die israelischen SoldatInnen waren die Angreifer. Sie kamen mit Hubschraubern und Kriegsschiffen, um eine Fähre mit Hunderten von Passagieren, die sich in internationalen Gewässern befand, zu entern. Bereits bevor die Soldaten auf den Schiffen landeten, töteten sie einen Schiffspassagier aus der Luft. Einige Passagiere wehrten sich mit Stöcken gegen die auf das Schiff dringende Armee und versuchten, sie zu entwaffnen. Die Passagiere hatten jedes Recht, sich gegen diesen Akt der Piraterie zu verteidigen. Da die israelische Armee das Schiff auf internationalen Gewässern, mehr als 70 km von der Ku?ste Gazas entfernt u?berfiel, kann dieser Überfall sogar als kriegerischer Akt gewertet werden.

Aber wie sollten sich die Passagiere ernsthaft verteidigen? Die Angreifer hatten modernste Militärausru?stung, die Verteidiger waren unbewaffnete ZivilistInnen. Das israelische Militär präsentierte uns Bilder von Kämpfen an Bord des Schiffes. Passagiere hatten versucht, den Soldaten die Waffen abzunehmen und die enternden Soldaten von Deck zu drängen. Dabei konnte man auch Personen sehen, die mit Stangen oder Latten zuschlugen. Doch das war Selbstverteidigung, nicht Angriff.

Von einem Akt der Notwehr seitens Israel zu sprechen ist vollkommen abwegig. Die israelische Marine hat die Free-Gaza-Boote aus eigenem Antrieb und freiwillig geentert. Das Leben der israelischen Soldaten war zu keinem Zeitpunkt in Gefahr. Drei Soldaten wurden von den Free-Gaza-Passagieren nach Augenzeugenberichten selbst in das eigene improvisierte Schiffslazarett gebracht. Einer der Soldaten war leicht am Arm verletzt, die beiden anderen zeigten keine äußeren Verletzungen und hatten wohl einen Kreislaufkollaps. Leider steht momentan nur das israelische Filmmaterial zur Verfu?gung. Alle Kameras an Bord wurden konfisziert. Deswegen gibt es keine Bilder von den Schu?ssen, von der Brutalität der Soldaten, von den Toten. Die absolute Bildhoheit liegt bei der israelischen Armee. Was es allerdings gibt, sind die ersten gerichtsmedizinischen Gutachten u?ber die ermordeten Passagiere. So wurde beispielsweise ein 19-jähriger amerikanischer Passagier, Furkan Dogan, aus nächster Nähe durch vier Schu?sse in den Kopf und einen in die Brust von den israelischen Soldaten regelrecht exekutiert.

Trotz der Durchsuchungen haben die israelischen Soldaten keine Waffen auf der „Mavi Marmara“ gefunden. Die israelische Armee wusste, dass die Schiffe bereits von den tu?rkischen Zollbehörden durchsucht worden waren. Die Organisatoren hatten sich zudem öffentlich auf Gewaltfreiheit verpflichtet.

Die israelische Armee präsentierte den Fernsehteams und der Weltöffentlichkeit das „Waffenarsenal“, das sie an Bord gefunden hatte und das beweisen sollte, mit welch bösartigen Absichten die Aktivisten angereist waren. Darunter fanden sich Messer, abmontierte Geländerstangen und Holzlatten. All das sind Gegenstände, die auf jedem größeren Schiff, auf dem Menschen natu?rlich auch kochen und essen, zu finden sind. Nicht zu sehen waren Pistolen, obwohl die israelische Armee behauptet hatte, zwei Pistolen seien an Bord gewesen – und selbst wenn es Leuchtpistolen gab, so gehört das zur normalen Ausru?stung eines Schiffes. Murmeln wurden als Steinschleudergeschosse dargestellt, anstatt als das was sie sind: Kinderspielzeug.

Die Passagiere waren schlicht und einfach unbewaffnet. Warum hätten sie sich auch bewaffnen sollen? Hätten sie annehmen sollen, dass sie die israelische Armee militärisch schlagen, sich ihren Weg durch Kriegsschiffe hindurch kämpfen könnten – mit Ku?chenmessern und Murmeln? Und in der ganzen Diskussion gilt es noch einmal festzuhalten: Die Passagiere hätten ohnehin jedes Recht gehabt, sich sogar mit echten Waffen zu verteidigen. Von diesem Recht haben sie zu keinem Zeitpunkt Gebrauch gemacht.

3. Warum hat die Free-Gaza-Bewegung die Hilfsgu?ter nicht auf dem Landweg geliefert, was Israel den Organisatoren angeboten hatte? Täglich werden doch tonnenweise Hilfsgu?ter nach Gaza geliefert?

Der Free-Gaza-Bewegung ging es darum, auf die anhaltende Blockade des Gaza-Streifens aufmerksam zu machen, und einen Beitrag zu leisten, sie zu beenden. Das Hauptanliegen der Flottille war also ein Politisches. Natu?rlich sollten zudem auch noch dringend benötigte Waren geliefert werden. Angesichts der Lage im Gaza-Streifen kann das aber immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Die Flotte hatte rund 10.000 Tonnen Gu?ter an Bord, aber der tägliche Bedarf an humanitärer Hilfe liegt bei u?ber 20.000 Tonnen.

Israel lässt nur einen Bruchteil der benötigten Hilfsgu?ter in den Gazastreifen. Selbst die UNO kann nur einen Teil ihrer Hilfsgu?ter liefern. Diese Waren kommen u?ber Israel in den Gaza-Streifen. Israel verlangt fu?r die Sicherheitsu?berpru?fung pro Container 1.500 US-Dollar. Die Pru?fung kann Wochen dauern. Während dieser Zeit verlangt Israel weitere Lagerungsgebu?hren. Leicht verderbliche Ware, wie frisches Obst und Gemu?se, kann unter diesen Umständen praktisch nicht geliefert werden. Letzten Endes entscheiden dann die israelischen BeamtInnen vor Ort, was durch kann und was nicht – Schulbänke und Rollstu?hle werden beispielsweise nicht hineingelassen. Gefrorene Lachshälften wiederum werden durchgelassen, Instantkaffee aber als Luxus zuru?ck gewiesen.

Aber die entscheidende Frage ist nicht, ob humanitäre Hilfe durchgelassen wird oder nicht. Die Menschen im Gaza-Streifen sind auf diese nur deshalb angewiesen, weil Israel sie seit u?ber drei Jahren belagert. Israels Blockade unterbindet einen normalen Warenaustausch mit der Außenwelt. Selbst die Baumaterialien, die gebraucht werden, um die Schäden der Bombardierungen vor mittlerweile 18 Monaten zu beheben, lässt Israel nicht durch. Die gelieferten Mengen Treibstoff hält Israel willku?rlich gering, so dass Fahrzeuge nicht regelmäßig benutzt werden können, Baumaschinen nicht funktionieren, und aufgrund der Bombardierung des Elektrizitätswerkes in Gaza durch Israel die Stromversorgung regelmäßig unterbrochen ist.

Deswegen sind etwa 80 Prozent der Bevölkerung von UNO-Hilfen abhängig. Deswegen liegt die Arbeitslosigkeit bei u?ber 70 Prozent. Deswegen mu?ssen die Menschen dort Wasser trinken, das nach internationalen Standards kein Trinkwasser ist.

Gegen dieses Verbrechen zu protestieren, das war das wesentliche Ziel der Free-Gaza-Flotte.

Die Behauptung, die Waren hätten auch nach Israel und von dort auf dem Landweg nach Gaza gebracht werden können, ist falsch. Das Angebot war, die Waren der UNO zu u?bergeben, wo sie das selbe Schicksal aller anderen Hilfslieferungen erlitten hätten – ohne die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Da die Schiffe zu einem Großteil Beton und andere Baumaterialien geladen hatten, wären diese eben nicht nach Gaza gekommen. Jetzt, wo die Welt auf diese Gu?ter blickt, haben die israelischen Behörden tatsächlich angeboten, sie durch zu lassen. Aber was ist mit all den anderen Waren, die am Grenzu?bergang warten? Auf die schaut niemand und deshalb werden sie auch nicht durchgelassen.

Die einzige wirkliche Hilfe fu?r die PalästinenserInnen wäre es, wenn die internationale Gemeinschaft den Druck auf Israel so erhöht, dass Israel endlich die Blockade und die militärische Sperrzone aufhebt. Dazu gehört auch, dass es palästinensischen Fischern wieder ermöglicht wird, in palästinensischen Hoheitsgewässern zu fischen. Denn was den Passagieren der Gaza Flottille passiert ist, passiert palästinensischen Fischern fast jedes Mal, wenn sie vor der Ku?ste Gaza unterwegs sind: Israel beschießt ihre Boote. Die Blockade kostet auf verschiedene Art viele Menschenleben. Unter anderem starben in den Tunneln an der Grenze zu Ägypten, die der notdu?rftigen Versorgung dienen, nach Angaben der Vereinten Nationen allein seit Beginn dieses Jahres 27 Palästinenser und 48 wurden verletzt – durch Explosionen, Einstu?rze und Luftangriffe Israels.

4. Warum richtet sich die Free-Gaza-Bewegung nicht gegen Ägypten, das doch auch die Blockade Gazas unterstu?tzt?

Richtig ist, dass Ägypten an der Blockade des Gaza-Streifens beteiligt ist. Das haben die rund 1.400 AktivistInnen aus u?ber 40 Ländern der Gaza-Freedom-Bewegung am eigenen Leib erfahren mu?ssen, als sie sich im Dezember 2009 in Kairo versammelten, um von dort aus nach Gaza zu fahren. Die ägyptische Regierung hat sie mit Polizeigewalt daran gehindert.

Ägypten ist eine Diktatur, in der jeder 14. Erwerbstätige fu?r die staatlichen Unterdru?ckungsorgane arbeitet. Die ganzen letzten Wahlen ließen den Wählern nur einen Kandidaten zur Wahl. Gleichzeitig ist Ägypten ein wesentlicher Verbu?ndeter des Westens, eines der wenigen arabischen Länder, das enge Beziehungen zu Israel pflegt. Ägypten ist drittgrößter Empfänger von US-Militär- und Wirtschaftshilfen; Israel steht auf Platz eins, Kolumbien belegt den zweiten Platz.

Als die AktivistInnen zum Jahreswechsel 2009/2010 in Kairo festgehalten wurden, haben sie selbstverständlich auch gegen diese Maßnahme der ägyptischen Regierung demonstriert. Aber klar ist auch, dass nicht Ägypten, sondern Israel die Blockade verhängt hat. Ägypten ist dabei nur Erfu?llungsgehilfe. Das Mubarak-Regime stu?tzt sich auf die Wirtschafts- und Militärhilfe der USA und Israels, um die eigene Bevölkerung in Schach zu halten und ihre Proteste gewaltsam zu unterdru?cken.

Nicht Ägypten, sondern Israel besetzt völkerrechtswidrig palästinensisches Territorium, baut Siedlungen darauf und drangsaliert die palästinensische Bevölkerung mit Checkpoints, Ausgangssperren, Häuserabrissen und Landenteignungen. Nicht Ägypten, sondern Israel hat den Gazastreifen bombardiert und dabei rund 1.400 Menschen umgebracht.

Es ist die Verantwortung des Mubarak-Regimes, den Rafah-Übergang nach Gaza zu öffnen.

Aber es ist die Verantwortung Israels, die anhaltende Besatzung des Gaza-Streifens endlich zu beenden. Und darum geht es der Free-Gaza-Bewegung.

5. Unterstu?tzt die Free-Gaza-Bewegung mit der Aktion die Hamas?

Das Ziel der Free-Gaza-Bewegung ist es, die Besatzung durch Israel zu beenden. Das ist auch das wesentliche Ziel der Hamas, wie auch der anderen palästinensischen Parteien, der palästinensischen Bevölkerung und der globalen Friedensbewegung. In dieser Interessenu?bereinstimmung eine Unterstu?tzung fu?r das politische Programm oder die Weltanschauung der Hamas zu sehen, ist konstruiert.

Der sogenannte „Osloer Friedensprozess“ hatte den PalästinenserInnen eine drastische Verschlechterung ihrer Lage gebracht. 16 Jahre lang hatten die Fatah und die PLO Zeit, zu zeigen, dass Verhandlungen mit Israel eine Perspektive haben – es gelang ihnen nicht.

Der Grund, warum Hamas und nicht die – zudem korrupte – Fatah 2006 demokratisch gewählt wurde, waren denn auch nicht die religiöse Agenda oder das Versprechen auf eine bessere Welt nach dem Tod: Hamas hatte den „Osloer Friedensprozess“ immer abgelehnt und fu?r die Fortfu?hrung des Kampfes nach Selbstbestimmung und einem Ende der Besatzung argumentiert. Deswegen sind sie der israelischen Regierung ein Dorn im Auge. Und deswegen sind sie unter PalästinenserInnen so beliebt. Doch das Ziel der israelischen Regierung ist es, jeglichen Widerstand zu brechen – egal ob gewaltfrei oder militärisch, politisch oder ökonomisch. Der Gedanke an einen palästinensischen Staat ist alleine schon zuviel des Widerstandes. Denn wenn der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht von der Westbank, sondern von Judäa und Samaria spricht und wenn jede israelische Regierung am Siedlungsbau in der Westbank festhält, bedeutet dies, dass Israel keinen lebensfähigen palästinensischen Staat zulassen will und das israelische Staatsgebiet bis zum Jordan ausdehnen will.

Im Übrigen trägt die Free-Gaza-Bewegung durch die Beteiligung von Aktivisten aus vielen unterschiedlichen Ländern und mit verschiedenen religiösen und nichtreligiösen Überzeugungen dazu bei, jeglichen Vorstellungen einen Riegel vor zu schieben, der Konflikt verlaufe zwischen Religionen oder „Kulturen“. Auch das ist ein Beitrag gegen Ignoranz und Fundamentalismus.

6. Ist die Blockade von Gaza nicht gerechtfertigt, um den Waffenhandel nach Gaza zu unterbinden?

Die Blockade betrifft zwar auch Waffen, aber vor allem Gu?ter des täglichen Bedarfs, Lebensmittel, Schulmaterialien, Medizin, Baumaterial etc. Es handelt sich daher um eine Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung dafu?r, dass sie im Jahr 2006 Hamas in die Regierung gewählt haben. Die israelische Regierung behauptet, die palästinensische Bevölkerung solle mittels der Blockade so frustriert werden, dass sie sich gegen die regierende Hamas erhebt. Diese Rechnung geht jedoch in keiner Weise auf. Fu?r die humanitäre Krise wird nicht Hamas, sondern die Seite verantwortlich gemacht, die die Blockade verhängt hat: Israel und die westlichen Regierungen, die Israel unterstu?tzen.

Der bewaffnete Widerstand ist nur ein Vorwand fu?r die Blockade: Im Jahr 2008 gab es ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Hamas und Israel, das auf ein halbes Jahr angelegt war. Teil des Abkommens war, dass Israel die Blockade aufheben sollte. Dies ist aber zu keinem Zeitpunkt geschehen. Die Hamas-Regierung hielt den Waffenstillstand ein. Einzelpersonen bzw. andere palästinensische Gruppierungen schossen während des Waffenstillstandes trotzdem einige Kassamraketen Richtung Israel ab; dabei kamen keine Menschen zu Schaden. Hamas hat sich eindeutig von diesen Raketenabschu?ssen distanziert und zum Einhalten des Waffenstillstandes aufgerufen. Insgesamt gab es einen Ru?ckgang der Raketen um 98 Prozent. Zu glauben, Hamas könnte in Gaza soviel Kontrolle ausu?ben, dass niemand selbstgebastelte Raketen abschießen kann, ist absurd. Es ist vollkommen inakzeptabel, die gesamte Bevölkerung und ihre Regierung fu?r die Handlungen einzelner militanter Gruppen verantwortlich zu machen. Die israelische Regierung hat allerdings neben der Beibehaltung der Blockade dann im November 2008 den Waffenstillstand zusätzlich durch eine Kommandoaktion gebrochen, bei der sie fu?nf Palästinenser in Gaza tötete. Daraufhin wurden wieder vermehrt Raketen abgeschossen. Ende Dezember begann Israel dann mit der Offensive „Gegossenes Blei“, im Laufe derer sie nach Angaben des Flu?chtlingswerks der Vereinten Nationen UNRWA mehr als 1400 PalästinenserInnen tötete und Infrastruktur und zahlreiche Häuser in Gaza zerstörte. Die Begru?ndung fu?r den Angriff lautete wie so oft: Selbstverteidigung – ungeachtet der Tatsache, dass die israelische Regierung selbst den Waffenstillstand gebrochen hatte.

Ein weiterer Punkt in der Debatte um die Blockade und die Waffeneinfuhr nach Gaza sind die Waffenlieferungen der westlichen Regierungen an Israel. Sie sehen kein Problem darin, Israel mit Waffen zu beliefern, obwohl Israel jede Woche tödliche Angriffe auf PalästinenserInnen ausu?bt. Warum also die weit u?berlegene Militärmacht Israel offiziell mit Waffen, sogar mit atomwaffenfähigen U-Booten ausgestattet wird und gleichzeitig u?ber Gaza – unter dem Vorwand der Verhinderung der Einfuhr von Waffen – eine komplette Blockade verhängt wird, ist nicht nachvollziehbar. Als LINKE sind wir generell gegen Ru?stungsexporte und gegen jede Form von Doppelstandards. Solange Israel von den USA und von Europa mit den modernsten Waffen beliefert wird – unter dem Vorwand des Rechts auf Selbstverteidigung – ist es unglaubwu?rdig, den PalästinenserInnen in Gaza das Recht auf Selbstverteidigung und Waffenimporte nicht zuzugestehen. Den semantischen Trick, einerseits von legaler Aufru?stung eines Staates (Israel) und andererseits vom Waffenschmuggel an Terroristen (PalästinenserInnen) zu sprechen, lehnen wir ab.

7. Waren die Passagiere von Free Gaza nicht naiv?

Die Passagiere und die OrganisatorInnen der Free-Gaza-Schiffe haben nach eigenen Aussagen nicht mit der Anwendung derartiger Gewalt seitens Israels gerechnet. Da sie sich auf dem Boden des Völkerrechts bewegten, hatten sie dazu auch keinen Grund. Nach Israels langer Geschichte von Völkerrechtsbru?chen hatten sie dennoch erwartet, dass Israel beispielsweise versuchen wu?rde, die Schiffe nach Israel abzudrängen und die Passagiere dort festzunehmen. Auch das wäre illegal, aber eben nicht tödlich gewesen. Es kann niemandem vorgeworfen werden, dass er illegale und mörderische Szenarien nicht vorhersieht oder sich von solchen nicht einschu?chtern lässt.

Wann immer Regierungen gegen Recht verstoßen – mag es nun das Völkerrecht oder das Grundgesetz sein – haben Menschen das Recht, sich dagegen zu erheben. Nichts anderes haben die internationalen AktivistInnen von Free Gaza getan.

Auch die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes du?rfen kein Anlass sein, sich von einer Fahrt in die besetzten palästinensischen Gebiete abschrecken zu lassen. Wie Norman Paech, ehemaliger Bundestagsabgeordneter fu?r DIE LINKE. und Passagier der „Mavi Marmara“, richtig feststellte: Diese Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sind Teil der deutschen Unterstu?tzung der Blockade von Gaza. So kann verhindert werden, dass sich Deutsche selbst ein Bild von der Situation in Gaza machen können. Gefährdet sind internationale BeobachterInnen und AktivistInnen durch die israelische Armee, nicht durch die palästinensische Seite. Keine internationalen BeobachterInnen, JournalistInnen oder AktivistInnen kamen im Gaza-Streifen bisher durch Gewalt von Seiten der PalästinenserInnen, ob Hamas oder Fatah, ums Leben.

8. Wenn alle Schiffe aufgebracht wurden, warum gab es nur auf dem Schiff der IHH so starke Gegenwehr?

Die „Mavi Marmara“ war bei Weitem das größte Schiff im Verband. Kein anderes Schiff ist mit solcher Gewalt angegriffen worden. Und nur auf dem großen Schiff waren so viele AktivistInnen, dass es ihnen u?berhaupt in den Sinn kommen konnte, nicht sofort zu kapitulieren, sondern zu versuchen, sich und das Schiff zu verteidigen.

Auf die „Mavi Marmara“ ist schon geschossen worden, als die SoldatInnen noch nicht an Bord waren. Die israelische Armee tötete bereits vor dem Entern einen Passagier. Das Hissen einer weißen Fahne an Bord wurde von der israelischen Marine ignoriert. Stattdessen wurden bewaffnete SoldatInnen auf dem Schiff abgesetzt. In dieser Situation war die Notwehr einiger Passagiere durchaus angebracht, um die Armee davon abzuhalten, noch mehr Menschen zu erschießen. Die Waffen, die den Soldaten dabei abgenommen wurden, warfen die Free-Gaza-Aktivisten ins Meer und versorgten die Soldaten auf der improvisierten Krankenstation des Schiffes. Eine Absicht, die SoldatInnen zu töten, gab es nicht. Die israelische Armee hingegen ermordete laut medizinischer Gutachten mehrere Aktivisten gezielt per mehrfachem Kopfschuss oder Nackenschuss.