Meine Rede auf der Kundgebung gegen den Krieg am 9. September in Frankfurt am Main:
„Fünf Tage ist das Massaker von Kundus her. Noch immer weigern sich Angela Merkel und Verteidigungsminister Jung von Krieg in Afghanistan zu reden. Roland Koch besaß die Frechheit, den Kriegseinsatz der Bundeswehr einen „Polizeieinsatz mit militärischen Mitteln auf der Grundlage eines robusten Mandates“ zu nennen.

Franz Josef Jung muss inzwischen eingestehen, dass auch Zivilisten ums Leben gekommen sind. Da wir ja angeblich mit hochmodernem Aufklärungsgerät in Afghanistan sind, kann es an den technischen Fähigkeiten nicht liegen, die Umstände des Luftschlages gegen die beiden Tanklaster und die Zahl der Toten festzustellen.
Nach dem militärischen und menschlichen Desaster von Kundus fürchtet die Bundesregierung offenkundig ein politisches Desaster. Wir fordern die lückenlose Aufklärung dessen, was in den frühen Morgenstunden des Freitags in Kundus geschah.
Zwar bedauert Kanzlerin Merkel jeden „unschuldig zu Tode gekommenen Menschen“, ihre Konsequenz ist ein „Weiter so“. Der Krieg in Afghanistan sei nötig, um internationale Sicherheit und Frieden zu schützen, sowie den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
Stellen wir zunächst fest: Es geht auf einmal gar nicht mehr vorrangig um den Wiederaufbau, sondern um die internationale Sicherheit. Vielleicht ist bei der Regierung inzwischen angekommen, was Hilfsorganisationen – zuletzt die Welthungerhilfe – immer wieder betonen: Die so genannte Zivilmilitärische Zusammenarbeit ist ein Hindernis für zivile Hilfe.
Zurück zu Merkel. Es geht also angeblich um internationale Sicherheit, Frieden und den Kampf gegen den Terrorismus. Das Ergebnis nach acht Jahren Krieg in Zentralasien ist ein anderes. Der Krieg in Afghanistan, der von den USA nach Pakistan ausgeweitet wird, hat die Welt unsicherer gemacht. Der Terrorismus ist nicht bekämpft worden – im Gegenteil sind die Taliban so stark wie seit 8 Jahren nicht mehr. Die Gefahr von Terroranschlägen gibt es nun auch in Deutschland – wegen der Kriegsbeteiligung.
Mehrfach haben die Bundesregierung, die US-Administration und die NATO offen gesagt, worum es ihnen bei dem Krieg in Afghanistan geht: Es geht darum, einen Zugang zu den Gas- und Ölvorkommen in der kaspischen Region und eine geostrategisch wichtige Position gegenüber Russland und den aufstrebenden Volkswirtschaften in Südostasien zu erobern. Außerdem soll die NATO sich als global einsatzbereite eiserne Faust der westlichen Industriestaaten beweisen.
Der deutschen Bundesregierung geht es im Besonderen darum, die Bundeswehr zu einer Armee im ständigen Einsatz zu machen. Wenn die Bundeswehr künftig weltweit Kriege führen soll, braucht sie Kampferfahrung aus realen Kriegen und nicht nur aus Manövern. Das ist das Kalkül der deutschen Generäle. Kampferfahrung hat sie nach dem Zweiten Weltkrieg aus guten Gründen lange Jahre nicht bekommen. Das war eine der zentralen Lehren aus den Gräueln der deutschen Geschichte. Von deutschem Boden sollte nie wieder Krieg ausgehen. Deutsche Soldaten sollten nie wieder an Eroberungsfeldzügen teilnehmen.
Es geht nicht um Demokratie, Frauenrechte oder Frieden in Afghanistan, es geht um knallharte ökonomische und geostrategische Interessen. Den Preis bezahlen Zivilisten in Afghanistan – denn es gibt keinen sauberen Krieg. Bomben unterscheiden nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.
Den Preis bezahlen auch die jungen Männer und Frauen, die in den Krieg geschickt werden. Mehr deutsche Soldaten werden sterben und für jeden von ihnen trägt die Regierung die Verantwortung. Dass die Bundeswehr ihre Rekrutierungsanstrengungen – unter anderem auf Berufsbildungsmessen und Arbeitsämtern – verstärkt, ist ein weiteres bitteres Detail. Die US-amerikanische Erfahrung, dass junge Menschen sich verpflichten, um eine gute Ausbildung und eine berufliche Perspektive zu erhalten, wird auch in Deutschland Realität.
Es ist nicht verwunderlich, dass die letzten drei in Afghanistan getöteten Soldaten aus den neuen Bundesländern stammten, wo Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit gerade im ländlichen Raum besonders hoch sind. In diesen Gegenden ist es leicht, junge Menschen mit falschen Versprechen zu rekrutieren. Aber es sind wenige, die die Perspektivlosigkeit so berechnend ausnutzen wie die Bundeswehr.
Ein Argument gegen DIE LINKE und die Friedensbewegung ist, dass Deutschland nicht wieder einen Sonderweg gehen solle. Aber wenn alle in den Krieg ziehen, ist es geradezu eine Pflicht, gegen den Strom zu schwimmen. Es war richtig, dass keine deutschen Soldaten in den Irakkrieg geschickt wurden. Und es war richtig, dass so viele Länder ihre Soldaten nach und nach von dort abgezogen haben. Warum orientieren wir uns an NATO-Staaten wie den USA und nicht an solchen wie Kanada, die den Rückzug bis 2011 angekündigt haben?
Wenn jetzt Meldungen abgegeben werden, dass Schröder und Steinmeier einen Abzug ab 2015 fordern, ist das mehr als unglaubwürdig. Der Wahlkampf lässt grüßen! Die Führung der Bundeswehr wie auch britische und amerikanische Generäle sprechen von 15 bis 20 Jahren, manche auch von einer ganzen Generation, die die Besatzung Afghanistans noch weitergehen müsse. Und: Wer kann übersehen, was bis 2015 alles passiert? Das Grundproblem ist die Logik, dass der Westen dem Land erst seine Regeln und seine Herrschaft aufzwingen müsse, bevor ein Truppenabzug möglich sei.
An dieser Stelle möchte ich explizit auf die SPD und die Grünen eingehen. Wann begreift ihr endlich, dass es so nicht weitergehen kann? Die SPD tut so, als hätte sie mit dem Angriff von Kundus nichts zu tun. Der Generalsekretär der hessischen SPD erklärte am gestrigen Dienstag „Ich rate Herrn Jung, sich wieder in den schönen Rheingau und die dortigen Weinberge zurückzuziehen, da er offensichtlich mit den Problemen in den afghanischen Bergen völlig überfordert ist.“
Offenbar hat die SPD völlig vergessen, dass auch sie in der Regierung sitzt und sogar den Außenminister stellt. Es war die rot-grüne Bundesregierung, die den deutschen Einsatz in Afghanistan begonnen hat. Kanzler Schröder verkündete damals seine „bedingungslose Solidarität“ mit einem kriegführenden Staat, der dann die Bombardierung von Zivilisten, die Zusammenarbeit mit berüchtigten Warlords und massenhafte Folter einsetzte, um seine Ziele zu erreichen.
Herr Steinmeier will einen geordneten Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Warum hat er sich in den vergangenen acht Jahren nicht ein einziges Mal dafür eingesetzt? Warum lässt es die SPD zu, dass für den gesamten Krieg in Afghanistan 250 Milliarden US-Dollar ausgegeben worden sind, während für zivile Hilfe gerade mal 24 Milliarden versprochen wurden, von denen aber nur 14 Milliarden tatsächlich gezahlt wurden? Die Rede davon, man dürfe das von Krieg und Bürgerkrieg geschundene Land nicht einfach im Stich lassen, ist höchst unglaubwürdig.
Die Grünen, die jetzt viel von einer Abzugsperspektive und einer Aufbauperspektive reden, frage ich: Wie werdet ihr Euch verhalten, wenn im Dezember das Mandat für den Bundeswehreinsatz ausläuft? Bisher hat nur eine kleine Minderheit den Mut gehabt, ihre Stimme dem Krieg zu verweigern. Ich hoffe, dass es dieses Mal mehr sind. Denn nicht die, die den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Umwidmung der Kriegskosten für zivile Hilfe fordern, handeln verantwortungslos, sondern die, die am dem Krieg festhalten.
Deshalb:
Schluss mit Lügen
Schluss mit dem Bomben
Schluss mit dem Krieg
Bundeswehr raus aus Afghanistan“