Die globalisierungskritische Bewegung feierte mit den Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm einen großen Erfolg. Nie zuvor gelang es, einen G8-Gipfel massenhaft und gewaltfrei zu blockieren. Gleichzeitig tummelten sich unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Anhörung der Linksfraktion in Bad Doberan und unter den mehr als 2 000 Gästen des parallel zu den Blockaden stattfindenden Alternativgipfels viele Rostockerinnen und Rostocker.
Zum Auftakt am 2. Juni reisten 80.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zur größten globalisierungskritischen Demonstration in der Bundesrepublik nach Rostock. Allerdings löste die Straßenschlacht zwischen einigen hundert Autonomen des so genannten „Schwarzen Blocks“ unmittelbar nach der Großdemonstration eine kontroverse Debatte in der Linken aus: Manche beließen es nicht bei einer Kritik der „Steinewerfer“ und distanzierten sich sehr schnell von ihnen. Das war unnötig und hilft nicht bei der politischen Bewältigung der Vorfälle.
Sowohl innerhalb des Demonstrationsbündnisses als auch bei attac forderten manche, den „Schwarzen Block“ aus dem Anti-G8-Aktionsbündnis auszuschließen. Viele sprachen nebenbei die Staatsgewalt im Großen und Ganzen frei: Die Polizei trage keine Schuld an der Entstehung der Gewalt, habe sich tadellos verhalten und sei bei dem Konzept der Deeskalation und der Kooperation geblieben. Ähnlich äußern sich Michael Brie und Lutz Brangsch von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In ihrem Papier „In der Sackgasse – oder: Mittel beherrschen Ziele“ (rls standpunkte 9/2007) fordern sie, „Grenzen zu ziehen“ und schlussfolgern: „Eine gemeinsame Demonstration ist nicht mehr möglich.“ Brie und Brangsch fordern nicht nur den „Bruch“ des Aktionsbündnisses mit den Autonomen. Sie sprechen von einem „Sieg der Unvernunft und Inhumanität“ und fragen: „Wo liegt der Unterschied zu dem, wogegen demonstriert wird?“
Michael Brie antwortete am 9. Juni im „Neuen Deutschland“ selbst auf seine polemische Frage, wo der Unterschied zu unseren Gegnern hinter dem Zaun noch liege, wenn aus unseren Reihen Polizisten mit Steinen beworfen würden. Die USA seien zur „Hauptgefahr der internationalen Sicherheit geworden.“ Allein durch den Irakkrieg sind 700.000 Tote und 1,5 Millionen Flüchtlinge zu beklagen. Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, hat Recht, wenn er die Steine von Rostock mit einem Verweis auf das tägliche Massaker des Hungers relativiert.
Auch angesichts einer Welle von Medienempörung über die Steinewerfer aus dem „Schwarzen Block“ dürfen wir nicht den kühlen Kopf verlieren. Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag geht mit gutem Beispiel voran, wenn er in seinem am 5.6. veröffentlichten Papier „Gewaltverhältnisse – Rostock und die Folgen“ fordert: „Den eifernden Ordnungspolitikern aller Couleur, die jetzt auf der Woge der Gewaltverurteilung daher kommen, muss der Spiegel vorgehalten werden, der die wahren Gewaltverhältnisse wieder ins richtige Licht rückt.“ Die Demonstration in Rostock habe das zunächst vorbildlich getan und daran gelte es jetzt anzuknüpfen. Inhuman verhalten sich die Heerscharen von Journalisten, die den Unterschied ausblenden zwischen Unrecht, Gewalt und Kriegen der Herrschenden und der ungeduldigen Empörung darüber.
Peter Strutynski meint über den „Schwarzen Block“: „Manche von ihren streben den sofortigen Erfolg an, die punktuelle Auseinandersetzung mit den Repräsentanten der Staatsmacht und den Hauptverantwortlichen für die ungerechten Gewaltverhältnisse in der Welt.“
Die Steine aus den Reihen des „Schwarzen Blocks“ drücken Wut und Ohnmacht aus. Hier liegt der schwere politische Irrtum der Steinewerfer, wenn sie diese Form des Protestes mit Macht oder Gegenmacht verwechseln. Aber wir leisten dem Aufbau des Widerstands einen Bärendienst, wenn wir erklären, dass wir den „Schwarzen Block“ aus unseren Bündnissen ausschließen wollen. Denn wer ist der „Schwarze Block“? Die Leute, die Steine geworfen haben, waren nie offizieller Teil des Bündnisses. Sie haben keine Vorsitzenden und keine Geschäftsstelle, wo wir uns beschweren könnten. Die Interventionistische Linke, in deren Block Steinewerfer mitgelaufen sind, ist nicht für jeden einzelnen Fehltritt einer Person, die in ihrem Block gelaufen ist, verantwortlich. Im Gegenteil: Sie hat viele eingebunden in einen großen, bunten, politischen Block und von daher eine weitere Eskalation verhindern geholfen.
Wenn sich die globalisierungskritische Bewegung erst für Steinwürfe verantwortlich machen lässt und dann beansprucht, sie in Zukunft zu verhindern, besteht der einzig sichere Ausweg darin, gar nicht mehr zu demonstrieren. Und genau das ist das Ziel der „eifernden Ordnungspolitiker“ und vieler Kommentatoren in den Massenmedien: Unsere Bewegung zu zerstören.
Über die Stöckchen, die sie uns hinhalten, darf die Protestbewegung nicht springen. Wir kritisieren die Steinewerfer, aber distanzieren uns nicht von ihnen. Ihre Ohnmacht ist auch unsere Ohnmacht. Es liegt an uns, einen anderen Ausweg aus der Inhumanität der herrschenden Verhältnisse zu eröffnen. Die Hafenarbeiter, die Telekom-Streikenden, die Drucker und Bauarbeiter – die meisten von ihnen fehlten in Rostock obwohl der globale Kapitalismus ihre Zukunft mindestens genauso bedroht wie die von autonomen Jugendlichen. Anders gesagt: Die Ungeduld der Autonomen, ihr Verlangen nach „sofortigem Erfolg“, drückt nicht nur eine falsche politische Strategie aus, sondern auch unsere eigene Schwäche. Noch schwächelt das Bündnis zwischen globalisierungskritischer Bewegung und Gewerkschaften. Dabei brauchen die Gewerkschaften die globalisierungskritische Bewegung, um der Logik der Standortkonkurrenz einen neuen Internationalismus und eine alternative Strategie für die gewerkschaftliche Gegenwehr entgegenzusetzen. Die globalisierungskritische Bewegung braucht die organisierte Arbeiterklasse, weil sie ansonsten – trotz erfolgreicher Blockaden, phantasievoller Proteste und kluger Köpfe – kein Potential hat, Gegenmacht zu entwickeln.
Daran gilt es zu arbeiten und hier kommt gerade der LINKEN eine wichtige Bedeutung zu. Erinnern wir uns an die Wut der Hafenarbeiter, die in Straßburg gegen das „Port Package II“ demonstrierten und dabei auch Steine warfen. Niemandem kam es ernsthaft in den Sinn, diese Gewalt auf eine Stufe zu stellen mit der strukturellen, stillen Gewalt der Europäischen Kommission und der Konzerne, die mit ihrem neoliberalen Feldzug Löhne und Arbeitsbedingungen in den europäischen Häfen ruinieren wollten. Der Straßenkampf in Straßburg stellte den Endpunkt eines erfolgreichen europaweiten Streiks in den Wochen zuvor dar. Der einzige Unterschied zwischen den Hafenarbeitern und den Rostocker Steinewerfern bestand darin, dass die Hafenarbeiter die Fähigkeit hatten, mit ihrem Streik realen Druck zu erzeugen.
Inzwischen wurde bekannt, dass Polizeieinheiten in Rostock brutal in die Demonstration intervenierten und Zivilbeamte Eskalationen provozierten. Menschenrechtsorganisationen brachten harte Kritik am Verhalten der Polizei hervor. Die LINKE kritisierte stets die Eskalation von beiden Seiten. Viele Mitglieder von WASG und Linkspartei beteiligten sich aktiv an der Deeskalation der Situation am 2.6. und riskierten dabei ihre Unversehrtheit.
Dass Teile der Bewegung sich vorschnell und reflexhaft vom „Schwarzen Block“ distanzierten, spiegelt ein zweifelhaftes politisches Kalkül wider, dass darauf setzt, es sich nicht mit den bürgerlichen Medien oder dem Staatsapparat zu verscherzen. Auf der Eröffnung der Anhörung der Linksfraktion in Bad Doberan am Tag nach der Demonstration forderte Oskar Lafontaine eine Demokratisierung der Medien: „Es gibt den gewaltigen Irrtum, in den westlichen Industriestaaten seien die Medien demokratisch. Das ist ein gewaltiger Irrtum. Sie sind frei von staatlichem Einfluss, jawohl, überwiegend. Sie sind aber in der Hand der Wirtschaft. Und eine freie Presse kann nicht in der Hand der Wirtschaft sein.“
Zum Glück ging die Strategie der Regierung und der Medien nicht auf, mit den gewollten Gewaltbildern die Proteste zu diskreditieren, weil die Mehrheit der Protestbewegung besonnen und diszipliniert ihren Protest fortsetzte. Das war die Quelle des Erfolges von Rostock.
Nicht ein „anderer Protest“ (Brie/Brangsch) ist nötig, sondern eine Ausweitung der Bündnisse, des Protestes und eine bessere Verzahnung mit sozialen Bewegungen und Gewerkschaften. Eine bündnisinterne Diskussion wie mit Eskalation und Steinewerfern umzugehen ist nötig und eine unaufgeregte Auseinandersetzung mit der Unzulänglichkeit autonomer Strategie und Taktik.
Literaturhinweise:
Michael Brie/Lutz Brangsch, In der Sackgasse – oder: Mittel beherrschen Ziele Eine gescheiterte Strategie. rls standpunkte 9/2007
Christine Buchholz/Wolfgang Gehrcke/Katja Kipping, „G8-Demo großer Erfolg – Gewalt geht von G8 aus“, PM vom 3.6.2007
Oskar Lafontaine, „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich wie die Wolke den Regen“, Rede auf der Anhörung der Linksfraktion in Bad Doberan
Peter Strutynski, Gewaltverhältnisse – Rostock und die Folgen
Christine Buchholz war an der Vorbereitung und Durchführung der G8-Proteste beteiligt. Sie ist Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Partei DIE LINKE. christine.buchholz@web.de
Quelle