Der Gründungsparteitag machte allen TeilnehmerInnen eins deutlich: Sie hatten Teil an einem historischen Ereignis. Ergriffenheit und Aufbruchstimmung prägten den Parteitag. Francis Wurtz, Vorsitzender der Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke im Europäischen Parlament, machte die europäische Dimension deutlich. Die große öffentliche Resonanz auf den Parteitag zeigt, dass DIE LINKE die politischen Verhältnisse zum Tanzen bringen kann. In seiner Grundsatzrede verband Oskar Lafontaine die Perspektive eines demokratischen Sozialismus mit einem deutlich antikapitalistischen Reformprogramm, mit praktischen politischen Initiativen und einer historischen Verortung: DIE LINKE steht in den Traditionen der Arbeiterbewegung, Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts.
Rosa Luxemburg riet der Linken, immer auszusprechen, was ist. Rosa und Karl lebten die Verpflichtung, gegen Krieg zu sein und dem Zeitgeist zu widerstehen. Die deutsche Arbeiterbewegung und die Linke spalteten sich an den Fragen Krieg und Frieden, Sozialreform oder Revolution, und die Folgen dieser Spaltung stürzten Deutschland und Europa in zwei große Katastrophen. Heute ist die Einheit der Linken möglich. Eine Linke, für die das Nein zu Kriegen, der organische Zusammenhang von Demokratie und Sozialismus, und das Bestreben konstituierend sind, alle Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse aufzuheben. Guido Westerwelles Angriff aus der Mottenkiste „Freiheit statt Sozialismus“ beantwortete Oskar für die LINKE mit „Freiheit durch Sozialismus“.
Die Gründung der LINKEN bedeutet einen Schub für eine demokratische Erneuerung gegen die Krise des repräsentativen Systems in Deutschland. „Ob Rente, Gesundheit, Steuern, ob Bundeswehr in Afghanistan, ob Arbeitsmarkt – was immer ihr wollt, immer entscheiden Zweidrittel des Bundestages gegen die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung. Die Demokratie ist in der Krise, deshalb brauchen wir in Deutschland eine demokratische Erneuerung“. Die Antwort ist direkte Demokratie, auch in der Partei. Dazu gehört auch die Stärkung der gewerkschaftlichen Rechte durch den politischen Streik als Mittel demokratischer Auseinandersetzung und die Verhinderung wirtschaftlicher Macht. Die Wiederherstellung und Erneuerung des Sozialstaats und die Verteidigung und Rekommunalisierung öffentlicher Güter, wie der Energie- und Wasserversorgung, prägen das Programm der LINKEN. Oskar Lafontaine machte den Anspruch der LINKEN deutlich, auch Partei der ökologischen Erneuerung zu sein: „Ein System, das nur auf Mehrverbrauch, Umsatz- und Gewinnsteigerung orientiert ist, kann die ökologische Frage nicht lösen. Deshalb ist die grüne Formel von der ökologischen Marktwirtschaft ein Placebo. Nein, die Systemfrage wird durch die Umweltfrage gestellt.“
Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts wird und muss eine internationale Dimension haben. Er muss die Antwort auf kapitalistische Globalisierung im internationalen, europäischen und nationalen Rahmen geben. Auch dies skizzierte Oskar in seiner Rede: von der Solidarität mit der lateinamerikanischen LINKEN, bis hin zu Forderungen der Regulierung der Finanzmarktakteure. Der Schulterschluss der LINKEN mit der globalisierungskritischen Bewegung in Heiligendamm wurde hier programmatisch manifestiert. Selbstverständlich kämpft DIE LINKE für konsequente Friedenspolitik – parlamentarisch und außerparlamentarisch.
Völlig zu Recht forderte Lafontaine zusammen mit direkter Demokratie als Antwort auf Vertrauensverlust der Politik insgesamt Glaubwürdigkeit der LINKEN als Markenzeichen ihrer Politik ein. Diese Programmatik macht deutlich, dass die LINKE. mehr ist als die Summe der Einzelparteien, sondern sich tatsächlich auch qualitativ in ihrer Politik neu formiert. Viele Gäste von Gewerkschaften, gesellschaftlichen Bewegungen und kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nahmen teil und machten die Bedeutung der LINKEN für diese Bewegungen deutlich. 1500 Eintritte noch am Wochenende, darunter viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, aber auch ehemalige Sozialdemokraten oder Ex-Grüne unterstrichen dies. Dass diese Partei auch im kulturellen Milieu angekommen ist, machten die Auftritte von Konstantin Wecker, Peter Sodann und Werner Schneyder deutlich.
Weder die Breite der programmatischen Grundlinien, noch ihr antikapitalistischer Inhalt sind unumstritten. Dies wurde in der Erklärung der Strömung „Forum demokratischer Sozialismus“ vor dem Parteitag deutlich. Zentrale Politikorientierung ist für das Forum DS eine Regierungsbeteiligung. Damit ignoriert das Forum DS die Realität, dass es die Bewegungen und die Gewerkschaften sind, die zum Beispiel zusammen mit der linken Opposition im Bundestag den gesetzlichen Mindestlohn auf die Tagesordnung gesetzt haben. Sie ignorieren, dass es der globalisierungskritischen Bewegung weltweit gelungen ist, neoliberale Globalisierung in eine Legitimationskrise zu führen. Sie ignorieren, dass Regierungsentscheidungen unter Mitwirkung der Linken im Gegensatz dazu die LINKE immer wieder in Glaubwürdigkeitskrisen geführt hat, statt ihre Entwicklung zu fördern. Auch in den programmatischen Schwerpunkten heben sie sich deutlich ab. Statt Rekommunalisierung und Verteidigung öffentlicher Daseinsvorsorge nur die Kritik an blinder Privatisierung. Was ist an der neoliberalen Privatisierungspolitik blind? Sie wurde auf allen Ebenen durchaus sehend durchgesetzt, um kapitalistischen Konzernen diesen Bereich zur Profitverwertung zu Füßen zu legen. Blinde Übernahme der Theorie von der Wissensökonomie, statt deutlich zu machen, dass die gegenwärtige Wirtschaftspolitik Wissen in Form der Durchsetzung von Patentierung und Renditeorientierung von Forschung und Hochschulbildung privatisiert. Das genaue Gegenteil einer „Wissensgesellschaft“. Die Begrenztheit ihres wirtschaftspolitischen Reformprogramms auf einen „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“ hat wenig mit der umfassenden wirtschaftspolitischen Kritik und den Reformalternativen zu tun, wie sie in Oskar Lafontaines Rede ausgedrückt wurde, genauso wenig mit der ökologischen Erneuerung als Systemfrage. Und als krönenden Abschluss provozieren sie die neugegründete LINKE mit ihrer Forderung, die konsequente Ablehnung von Militäreinsätzen der Bundeswehr im Ausland aufzugeben.
Dass dieses Profil nicht dem Willen der Mehrheit der Parteitagsdelegierten entspricht, wurde bei den Wahlen zum Parteivorstand deutlich. Das macht Hoffung, dass sich die neue LINKE mehrheitlich programmatisch linkssozialistisch formiert. Die Vertreterinnen und Vertreter der Strömung der Sozialistischen Linken stellen die Hälfte der von der WASG nominierten Mitglieder des Parteivorstandes, die Antikapitalistische Linke drei. Bei der Linkspartei wurden Wolfgang Gehrcke von der SL und Sahra Wagenknecht von der AKL für den Vorstand nominiert. Beide Strömungen sprachen sich auch deutlich für Sascha Wagener als Vertreter der Jugend im Parteivorstand aus. Viele Mitglieder im neuen Parteivorstand kommen aus den Gewerkschaften oder den globalisierungskritischen Bewegungen.
Auch in den politischen Anträgen, die auf dem Parteitag verabschiedet wurden, wurde die Orientierung deutlich: Solidarität mit den Telekom-Beschäftigten und die Forderung nach sofortigem Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan und Unterstützung der entsprechenden bundesweiten Demonstration und Kampagne der Friedensbewegung am 15. September, ein Antrag gegen Studiengebühren, für Kita-Ausbau, finanziert durch Besteuerung von Konzernen und Reichen, Fortsetzung der Mindestlohnkampagne und ein Resümee der G8-Aktivitäten, in dem sich die LINKE. noch einmal deutlich auf die Seite der globalisierungskritischen Bewegung stellt. Die neu gegründete Linksjugend.solid und der Hochschulverband Die LINKE.SDS wurden einmütig auf dem Parteitag anerkannt.
Wir werden mit anderen im Parteiaufbau und in der anstehenden programmatischen Debatte eine gewerkschaftliche, bewegungs- und bündnispolitische Orientierung vertreten und weiterentwickeln. Auf einer Sommerakademie der Sozialistischen Linken werden wir im August eine breite Debatte dazu führen und laden dazu Mitglieder und Nichtmitglieder ein.
Das Parteiensystem ist aufgebrochen, die SPD in der Krise. Was bedeutet das für DIE LINKE? Der Gründungsprozess ist abgeschlossen, nicht abgeschlossen aber darf die neue LINKE sein. Sie muss für alle offen sein, die dazu kommen wollen. Die LINKE bietet sich den Gewerkschaften als Partner an, das Verhältnis Gewerkschaften und LINKE wird sich neu sortieren. Heiligendamm ist beendet, aber nicht der Prozess der programmatischen Profilierung in Bezug auf Alternativen zur kapitalistischen Globalisierung. Die LINKE als Partei ökologischer Erneuerung muss noch deutlicher im Inhalt gefüllt werden.
Die Linke darf nicht an Dynamik verlieren – weder im Parlament noch auf den Straßen und Plätzen. Die nächsten Wahlen stehen vor der Tür und sind noch lange nicht gewonnen. Selbstverständlich braucht DIE LINKE strategische Analysen, programmatische Arbeit und Diskussion, Demokratie und Transparenz in ihren Reihen. Vor allem aber braucht sie linke Politik. Nur über glaubwürdige Politik wird DIE LINKE die Einheit in ihren Reihen immer wieder herstellen können und in der Öffentlichkeit weiter an Einfluss gewinnen.
Autorinnen und Autoren: Ulla Lötzer (MdB), Wolfgang Gehrcke (MdB), Christine Buchholz und Ralf Krämer sind Mitglieder des Parteivorstands der LINKEN. Sie arbeiten in der innerparteilichen Strömung der Sozialistischen Linken mit.
Erschienen im Juni 2007